re:marx in Gefahr: Beim Heimspiel der Niners.
re:marx in Gefahr: Beim Heimspiel der Niners.

re:marx in Gefahr: Beim Heimspiel der Niners.

Wenn man von etwas keine Ahnung hat, soll man einfach mal die Schnauze halten. Oder einen Beitrag schreiben. Wenn re:marx von einer Sache ganz besonders wenig Ahnung hat, dann von Sport. Sport ist für uns das, was Churchill angeblich mal gesagt hat: Mord. Wobei Churchill natürlich nur „No Sports“ gesagt hat, was aber gar nicht belegt ist, weshalb man vermutet, dass die Aussage in Wirklichkeit von re:marx stammt.

In der Grundschule mussten wir zum Sport-Förderunterricht, weil wir an der Kletterstange scheiterten wie der (Lieblingsvergleich!) CFC am Zweitliga-Aufstieg, später waren wir nach der Sportstunde mal alleine in der Turnhalle eingeschlossen, weil wir selbst beim Umziehen die Langsamsten waren. Einmal wollten wir beim Dodgeball in der Mensa zugucken, doch dann haben wir den Ball direkt an den Kopf bekommen und mussten weinen vor lauter Schreck und Unsportlichkeit und generellem Bewegungsunvermögen.

Wir wurden immer als Letze in die Mannschaften gewählt.
Wir werden nie ein Fitnessarmband tragen.
Wir können nur mittelmäßig gut Fahrrad fahren, manchmal sogar geradeaus.
Wir schreiben auch dann in der Wir-Form, wenn wir nur ein Ich sind, so groß ist unser Teamgeist, immerhin.
Wir sind sportlich einfach unbegabt.

Außer Fußball. Fußball können wir. Also gucken. Da sind wir ganz deutsch, da sind wir 80 Millionen Bundestrainer, da sind wir voll CFC.
Nun ist es jedoch ungewiss, wie lange es den CFC überhaupt noch geben wird und ob das schöne neue Stadion vielleicht bald an Kellnberger verkauft und zum Parkhaus umfunktioniert wird oder still vor sich hin verfällt wie die Olympia-Ruinen in Sotschi und in zehn Jahren dann Austragungsort der Begehungen ist oder so. Weil beim CFC gerade alle zurücktreten, auch der Fußball, ist es vermutlich besser, sich schnell eine Ersatzreligion für die Ersatzreligion zu suchen — zum Glück bietet Chemnitz Alternativen wie die Flying Bowlers, die Chemnitz Crocodiles, die Crusaders, den Sachsenring und Ingo Steuer. Und da das Leben kein Fußballfeld und der CFC vorbei ist, wird es Zeit, sich 2018 diversen Randsportarten zu widmen — deshalb haben wir von re:marx uns mal wieder in Gefahr begeben und waren bei einem Heimspiel der Niners.
Denn schon Sartre wusste: Die Hartmannhölle, das sind die anderen.

Himmel und Hartmannhölle.

Basketball also. Das haben damals alle drei coolen Jungs in unserem Jahrgang gespielt, die dann doch nicht so cool waren, weil sie sich in der großen Pause auch nur über die neueste O.C California Folge unterhalten haben. Es ist das erste Heimspiel des Jahres, gegen eine Mannschaft, deren Namen man ständig nachgucken muss: Ehingen Urspring, das klingt mehr nach handgebrautem Bier aus Bayern als nach supercoolen Sportstars in Nike-Schuhen.
Die Niners sind der bessere CFC, denn sie spielen zweite Liga statt dritte, sind auf dem elften Tabellenplatz statt auf dem vorletzten und haben eine „Chemnitz“-Tribüne statt einer Südkurve. Ihre Heimspiele sind immer gut besucht, und manchmal spielen sie auch in der Messe, dort wo sonst nur Michael Ballack „Oldie-Masters“ Hallengigs geben darf.  Deshalb haben die Niners auch ein echtes Maskottchen statt einer rollig-räudigen Katze: Ein dreizehn Meter großer Plüschmarx. Er heißt Karli, benannt nach einer beliebten, alternativen Kneipenmeile im Leipziger Süden. Er schwitzt am Spielfeldrand und tanzt peinlich und winkt wie ein Wolf im Karlspelz. Außerdem wird Basketball im großen Kaßberg-Stil auf Parkett gespielt – der CFC hat nicht mal Laminant und auch keinen PVC-Belag.
Wie der CFC, der Lulatsch und vermutlich auch bald re:marx, werden die Niners von der eins  energie gesponsert: Das Personal trägt Lulatsch-Shirts und die Spieler tupfen sich mit Lulatsch-Handtüchern den Sportlerschweiß aus dem Nacken – das macht die Niners fast zum glaubwürdigsten Sportverein der Stadt, wäre da nicht das unsägliche Marxkottchen. Wir hoffen, dass sie die Handtücher später ins Publikum werfen wie Rockmusiker ihre Plektren, Sticks und Setlisten. Wir würden gerne so ein Lulatschhandtuch fangen, auch wenn wir vermutlich nie Sportlerschweiß produzieren werden.

Die Durchschnittsgröße des Publikums liegt bei 2,93 Meter — wahrscheinlich muss man mindestens 1,87 Meter groß sein, um Basketball wirklich verstehen und fühlen zu können. Das Publikum sieht schwer nach Streetcredibillity aus und hat Unknown Basics Sweat-Shirts an, hier findet man es also noch, das coole Chemnitz, das urbane Chemnitz, das CFC-freie Chemnitz.
Vor dem Spiel läuft Hip Hop und Kendrick Lamar, das ist Hip Hop für Indie-Leute, die eigentlich keinen Hip Hop mögen. Man fühlt sich direkt unfassbar cool, so als würde man selbst irgendwo einlaufen, von Cheerleadern umpompomt, von Mitspielern gehighfived. Überhaupt läuft ständig Musik, auch während des Spiels, nämlich immer dann wenn gewechselt wird, und beim Basketball wird immer gewechselt. Man braucht nur einmal kurz zu blinzeln und schon stehen fünf andere Spieler auf dem Feld. Ein neuer Berufswunsch manifestiert sich: Wenn wir mal groß sind, möchten wir Hallen-DJ bei den Niners werden.

Obwohl wir von re:marx wirklich überhaupt keine Ahnung von der Materie haben, beugen wir uns konzentriert nach vorne und versuchen angestrengt, das Spiel zu verstehen, dafür setzen wir extra die Brille auf. Im Kern ist es recht simpel, und lässt sich wie alles im Leben mit Fußball erklären: Eine Mannschaft greift an, die andere verteidigt, der Angriff führt zum Korb, dafür gibt’s je nach Entfernung zwei oder drei Punkte, die Mannschaft geht in Führung, das Publikum klatscht und jubelt, die Gästefans trommeln. Wir lernen, dass es Pässe, Fouls und Assists gibt und dass ein Schrittfehler nicht das ist, was uns jeden Tag beim Geradeauslaufen passiert. Allerdings finden wir nicht heraus, ob es auch sowas wie Eigenkörbe gibt, warum ständig unterbrochen wird und was die ganzen anderen Regeln sollen. Denn beim Basketball geht alles sehr schnell. Zu schnell für unsere unsportlichen Augen. Also tun wir das, was wir bei re:marx ohnehin am besten können:

Durch provokativ unpassende Zwischenrufe unangenehm auffallen.
Inkompetenz demonstrieren.

Wir rufen:
„Handspiel.“
Wir schreien:
„Der hat schon Gelb!“
Wir fordern:
„Elfmeter“
Wir finden:
„Abseits!“
Wir fragen uns:
Warum wird mitten im Spiel der Hallenboden gewischt und warum müssen wir jetzt schon wieder von unseren Plätzen aufstehen?
(Weil gerade die Hundert-Punkte-Marke geknackt wurde.)

Die Leute neben uns gucken angewidert rüber.  Die Leute hinter uns sind so braustolz auf ihr Team, dass sie kaum noch aufrecht sitzen können. Risch Hartmann-Witze liegen leise lallend auf unserer Zunge, aber wir schlucken sie herunter wie bittere Hustensaft-Pillen. Der Witz wurde bestimmt schon tausend Mal gemacht.

Das viele Hingucken strengt uns an, Sport gucken strengt uns an, wir brauchen unsere Teilsportbefreiung, wir brauchen unser Asthmaspray, jetzt gleich sofort! Noch gefährlicher als Sport an sich sind Sportveranstaltungen. Denn dort sind viele Menschen mit Fanschals, Bierbechern und Bockwürsten und grölen rhythmisch Sachen, die, wenn man sehr Deutschland-sensibel ist, immer noch ein bisschen nach Goebbels schmecken, zum Beispiel: „Sieg! Sieg! Sieg!“. Auch am Samstag in der Hartmannhalle, denn die Niners gewinnen 102:75, das ist relativ eindeutig, das sehen sogar wir.

Je länger das Spiel dauert, desto schlimmer wird die Musik: Am Anfang lief Kendrick, jetzt läuft Hyper Hyper und Zeug, das sonst nur bei der „Woosn“ nebenan gespielt wird, oder im SAX, aber das hat ja jetzt geschlossen, für immer. Uns wird jedenfalls klar, warum es Hartmannhölle heißt: Man schwitzt, man schwankt, man schreit, man geht mit einem Ohrwurm von „Oh, wie ist das schön“ nachhause.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.