Shitstorm überm Nischel – Eine Stadt sieht Schwarz, Rot, Gold.
Shitstorm überm Nischel – Eine Stadt sieht Schwarz, Rot, Gold.

Shitstorm überm Nischel – Eine Stadt sieht Schwarz, Rot, Gold.

Auf Chemnitz‘ Schultern lastet in diesen Tagen die unendliche Schwere der deutschen Vergangenheit. Die Aktion der „Die Stadt bin ich“-Macher, das Karl Marx Monument mit Unterstützung von Mercedes Benz im Zuge der diesjährigen Fußball-WM in ein Deutschland-Trikot zu hüllen, reißt alle längst verheilt geglaubten Nationalstolz-Wunden der Chemnitzer wieder auf. Deutschland, deine schweren Schultern, möchte man resigniert seufzen, in einem Land, das unter der Last seiner eigenen Vergangenheit so sehr ächzt, wie kein anderes dieser Welt. Dass nun die bronzegewordene Ikone des Antikapitalismus in ein (oh mein Gott!) deutsches (!!! ja – deutsches.. krass, oder?) Fußballtrikot gekleidet wurde, um für eine der umstrittensten, kapitalistischen Großveranstaltungen der modernen Neuzeit zu werben, ist außerordentlich ungeschickt.
Das eigentliche No-Go (#die90erwollendaswortzurück) an der ganzen Geschichte offenbart sich aber erst in der Rezeption des Ganzen, denn die Werbeaktion ist Wasser auf die Mühlen der selbsternannten Sittenwächter politisch korrekter Symbolik. Wo immer die Farben Schwarz-Rot-Gold innerhalb Deutschlands auftauchen, müssen Nationalisten am Werk gewesen sein, so die einhellige Meinung. „One reason why the city we live in and it’s administration sucks: refurbishing the public reputation by nationalistic bullshit” – schreibt jemand auf Facebook. Ein klassisches Beispiel für die Verteufelung eines im Grunde harmlosen Gegenstandes (Nationalfarben). Das Schlimme dabei: Die kopflose, oft nachgeplapperte Dämonisierung arg interpretationsabhängiger, vermeintlich „nationalistischer“ Symbole, erhält ihre übertrieben bedeutungsschwangere Symbolik am Ende doch nur durch eben genau jene kopflose, nachgeplapperte Dämonisierung. Ein Land, das die Namensgebung eines Schnitzels intensiver diskutiert, als zum Beispiel die angespannte asylpolitische Situation, hat eindeutig ein Problem bei der Fokussierung auf wirklich relevante Themen. Symbolik überwindet Inhalte, Interpretation kommt vor Aktion – leider gerade bei den politischen Strömungen, deren Werte man eigentlich uneingeschränkt vertreten kann.
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Symbolik ist auch beim Marx-Trikot-Dilemma das Stichwort, denn das logische, antithetische Verhältnis von Kapitalismus und Marx, Nischel und Fußball-WM, hätte nur dann wirklich symbolische Tragweite, wenn dem Karl-Marx-Monument heutzutage noch irgendeine politische Konnotation innewohnen würde. Der Nischel steht inzwischen aber ohne jeglichen politischen Wert als Wahrzeichen der Stadt Chemnitz in deren Zentrum und seine Bedeutung wurde im Laufe der Jahre wortwörtlich von den Tauben weggeschissen und von der übereifrigen, städtischen Aufkleberpolizei weggerubbelt. Er fristet sein bronzenes Dasein als Fotomotiv für die armen Seelen, die tatsächlich an einer Chemnitzer Stadtführung teilnehmen und irgendwann zu dem Punkt kommen, an dem sie das Wort „Proletarier“ googeln müssen. Die junge Chemnitzer Skater-Szene hat das Beste aus dem archaischen Monument gemacht, in dem sie es zum allgemeinen Treffpunkt nach der Schule erkor. Welcher überdimensionale Kopf dabei Schatten spendet, ist vollkommen irrelevant. Genauso gut könnte dort eine vergoldete Riesenbüste von Kati Witt, Michael Ballack oder Rico Ranunkel stehen. Mit den Werten der marxschen Ideen identifiziert sich hier sicherlich keiner. Facebook aber scheint voller hauptberuflicher Marxisten zu sein, die sich in dessen Mammut-Werken bewegen, wie in ihren eigenen vier Wänden.

„ ähm ich bezweifle das karl-marx ernsthaft für diese wm werbung gemacht hätte. wegen ausbeutung und schlechten arbeitsbedingungen, wegen den ganzen zwangsräumung für stadien wegen den straßenschlachten und so dem zeugs halt“

scheinen einige von da auch nicht zu wissen für was marx steht“

„ Marx wuerde über dieses deutschland weinen!!!!!!“

Das versteckte Wissen um Kapitalismus und Kommunismus fällt allen aber komischerweise dann ein, wenn es darum geht, sich vom allgemeinen Shitstorm gegen Chemnitz mitreißen zu lassen. Beim Einkaufen ist man ja auch von all den tollen Produkten viel zu abgelenkt, um wirklich kritisch zu hinterfragen. Der Hass auf das Trikot ging inzwischen schon so weit, dass es in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von unbekannten entfernt wurde. Wahnsinn, welchen ungestümen Aktionismus ein Fetzen Textil auslösen kann.
Fakt ist, die Trikot-Aktion bietet oberflächlich betrachtet viel Diskussionsstoff, entpuppt sich aber bei ehrlichem Hinsehen als eine Menge Social-Media-Wind um Nichts. Wirklicher Nationalismus tritt an anderer Stelle ernsthaft gefährlich auf, Werbung umgibt uns in viel penetranterer Form Tag für Tag und 7 Milliarden Menschen sind ins System des Kapitalismus leider auf so unumkehrbare Weise integriert, dass es mehr bedarf als Facebook-Posts und Laken-Klau.

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Karl Marx – Das Cappytal

Auch wir von re:marx sollten im Grunde auf die Barrikaden gehen, besudelt die Aktion doch auch unseren Namen. Aber da wir generell deeskalierender Natur sind, kommt hier das ultimative re:marx Statement für alle: (Fuß-)Ball flachhalten, anonymer Trikot-Tausch mit der Zebra-Agentur, Fußball gucken oder nicht. Und nie im Leben einen Mercedes kaufen. #wirberuhigenunserstmalalle

4 Kommentare

  1. pretty uncool

    Vielleicht gibt es ja doch eine mysteriöse Verbindung zwischen Eurer Verwunderung über den Shitstorm und dem postulierten Wissen, der Marx-Kopf ist ein Denkmal „ohne jeglichen politischen Wert“.

  2. Lethargist

    Babohafte Argumentation! Da wir sowieso täglich blind konsumieren, ohne zu hinterfragen und die Ideen eines Marx zu betrachten, sollten wir dies auch dann nicht tun, wenn es einen Anlass gibt. Bloß nicht aktiv werden gegen eine allumfassende Werbung, die unser Unterbewusstsein lenkt. Niemals einen ersten Schritt machen gegen Fremdsteuerung. Lieber die Pseudoexperten aus dem Facebook pauschalisieren und belächeln, schließlich erzeugt das eigene Nichtstun Erhabenheit nie das Falsche getan zu haben.
    Schlussstatement: Schlafende Chemnitzer legt euch wieder hin. Peace, Love and Apathie

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