Memo aus der Sportredaktion: Für mich soll’s rote Dosen regnen. Beim Heimspiel von RB Leipzig.
Memo aus der Sportredaktion: Für mich soll’s rote Dosen regnen. Beim Heimspiel von RB Leipzig.

Memo aus der Sportredaktion: Für mich soll’s rote Dosen regnen. Beim Heimspiel von RB Leipzig.

Bei jeder unserer Redaktionskonferenzen stürzen wir uns in stundenlange Selbstreflexionen und überlegen, welche Themen bei den Lesern so richtig gut zünden und die Klicks stets in den Millionen-Bereich treiben könnten. Neulich lag die Antwort klar wie eine Chemnitzer Glasfläche auf dem Platz: Es sind unsere Fußball-Beiträge, die die magische fünf Likes-Hürde kaum übertreffen, und deshalb, so die bestechende Logik, brauchen wir wirklich mehr davon. Aus diesem Grund wollen wir heute das Naheliegende tun, und einen Blick nach Österreich werfen. Viele wichtige Bösewichte kommen aus Österreich. Also eigentlich war es nur einer, der den Lauf der Welt für immer tragisch verändern sollte, und ohne den Guido Knopp heute arbeitslos und das deutsche Fernsehen ein einziges großes Sendeloch wäre. Abgesehen davon denkt man an abgeschwächtere Formen des Bösen: Tiroler Blasmusik, Joseph Haider, die Musik von Christina Stürmer, kalorienreiche Süßspeisen oder fiese Entführer. Aber darum soll es heute nicht gehen, auch nicht um die braune Sau aus Braunau. Es geht um das Böse in Konzernform: Um Red Bull.

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Ein Mann mit dem softdrink-tauglichen Name Dietrich Mateschitz – ein Name, den jeder in B-Mitte und C-Mensa auch gerne hätte – importierte in den Achtzigerjahren die Rezeptur für die taurinhaltige Energiebrause aus Thailand nach Europa und macht heute damit Milliarden-Umsätze (5,11 Mrd waren es 2014, Tendenz steigend). Seit 1987 ist das nach flüssigen Gummibären, großen Abenteuern und überhaupt nicht gut schmeckende Getränk in Österreich auf dem Markt: In Deutschland wurde Red Bull zunächst nicht zugelassen, die Dosen zur Schmugglerware, der Reiz des Verbotenden befeuerte den Hype um die Brause mit der „Drogen-Aura“. Red Bull, das Ecstasy für Feiglinge, der klebrige Koffein-Kick für alle, denen Kaffee zu gesund ist. Das Getränk ist nicht das Problem. Das Problem ist die global agierende Marke Red Bull, die in den letzten Jahren vor allem die Sportwelt durchtränkt und mit süffigen Sponsoring verklebt hat. In die Kritik geraten war die Red Bull GmbH vor allem, weil sie als Sponsor und Vermarkter von fragwürdigen Extremsportarten mehr Geld schöpft als mit dem Verkauf von Limo-Dosen, und damit mehr oder weniger indirekt schon sieben Todesopfer der Sorte „hätte man ahnen können“ gefordert hat.
Hinzu kommt das Eindruck, Red Bull habe halb Österreich gekauft und arbeite nun auf die Annektierung Deutschlands hin. Zum Konzern gehören mittlerweile eine Air-Race-Serie, ein Medienhaus (darunter der Fernsehsender Servus TV, Magazine wie das Bulletin, das Benvento Publishinghouse und ein Salzburger Buchverlag), eine Flugzeugflotte, zwei Formel1-Rennställe, ein Wetterdienst, ein Eishockey-Team in München, eine Fußball-Akademie in Ghana und vier Fußball-Mannschaften. In Salzburg, New York, Brasilien – und in Leipzig.

IMG_9014Womit wir im nächsten Hort des Bösen gelandet wären oder wie es bei Tolkien gehießen hätte: „Gerüchte wurden laut über einen Schatten im Osten.“ Ostdeutschland gleicht für viele, uns eingeschlossen, ja (wie schon tausendmal erwähnt) Mordor in jeder Hinsicht. Der Begriff „Dunkeldeutschland“ kann da kein Zufall sein: Nazis, Hools, Pegida, die langen Schatten des SED-Regimes, Stasi-Akten, Ostrock und die dritte Bundesliga, na ihr wisst schon. Und neuerdings reiht sich in diese hundertgliedrige Achse des Bösen eben auch RB Leipzig, ein Verein, der gar kein richtiger Verein ist, sondern eine über ein Fußballfeld rollende Marketingmaschine, die jegliche Fußball-Romantik unter einem gigantischen Haufen Geld dagobertduck’schen Ausmaßes zu begraben droht. Kurz: Ein Kunst-Produkt.

Re:marx, ein weiterer im Verborgenen agierender Akteur der Achse des Bösen, geht bekanntermaßen stets dort hin, wo es weh tut: Und zwar in die V.I.P-Lounge von RB-Leipzig, in das kalte Herz des gentrifizierten Fußballs, um in einem orgiastischen Brause-Rausch das Leder von den gepolsterten Sitzschalen zu fetzen und mit Kaviar auf den Pöbel zu spucken. Wie man das als echter Fußball-Fan eben so tut.

IMG_8985„Rasenballsport“ Leipzig also: Für Kritiker ist RB der Club-gewordene Untergang des Fußballs. Die Blutgrätsche unter den Zweitbundesligisten, die Kommerz-Klatsche für alle Teams der Idealisten. Der Angstgegner der Tradition. Fußball ist einer der wenigen modernen Gesellschafts-Bereiche, in denen die Tradition, ein eingestaubtes, vergilbtes Konstrukt aus der Vergangenheit, das doch eigentlich nur die Konservativen konservieren wollen, heute noch glorifiziert wird. Sie erinnert daran, wofür Fußball auch steht: Für sozialen Kitt, für Identitätsstiftung, für einen Hort der Demokratie. Daran, dass der Sport von Leuten lebt, die zu jedem Auswärtsspiel fahren, die „wir“ sagen, wenn sie eine Sportmannschaft meinen, die nicht etwa bei einschneidenden Familienangelegenheiten dicke Tränen vergießen, sondern bei wichtigen Niederlagen oder Siegen. Fankultur nennen das die Fachsimpler, und die trägt hier immer noch das Haar von Günter Netzer. Fußball lebt von regionaler Identifikation, die dafür sorgt, dass Derbys bestenfalls hitzig oder Anhänger schlimmstenfalls rechts sind. Wenn bei Krawallen dann Fäuste und Steine fliegen, kann Tradition ein ziemlich fragwürdiger Wert sein. Außerdem: Keiner der heutigen Clubs mit „Tradition“ hatte eine solche zur Zeit seiner Gründung.IMG_8991RB Leipzig hieß vor sechs Jahren noch SSV Makranstädt und kickte irgendwoin der Oberliga. Bis Mateschitz auf seinem roten Bullen einritt, weil ihm der Kaiser (behauptet er zumindest) Leipzig als Fußballstandort empfohlen hatte, etwas Geld locker machte und das Startrecht für die Oberliga sowie die 1. Mannschaft samt Trainerstab übernahm. Also ungefähr so, als würde die Vice 100 Millionen Euro in die Hand nehmen und beschließen, Re:marx zum Leitmedium des Ostens zu machen, vom fünftklassigen Blog ohne Impressum zur Bastion des Qualitätsjournalismus mittels bunt flimmernder Werbung für – meinetwegen – Pfeffi.
IMG_9020Nach dem finanziellen Dosenöffner folgte der Durchmarsch in die Zweite Liga, jetzt strebt RB in die Erste. Befürworter argumentieren gerne mit dem Profit, den auch die Stadt Leipzig daraus schlagen könnte. Mit Investitionen in attraktive Standortfaktoren. Damit, wie wichtig es wäre, wenn der Osten wieder in der ersten Liga mitspielen würde und der Fußball-Liebhaber nicht mehr neidisch Richtung Ruhrpott schielen muss, wo sich die großen Vereine aneinanderreihen wie die Jecken in der Polonaise beim Karneval. Zudem gibt es viele Leipziger oder Sachsen, die sich nach dem ständigen Scheitern, den Insolvenzen und Unterwanderungen der ortsansässigen Traditionalisten LOK, BSG oder FC Sachsen einfach nur über endlich-mal-erfolgreichenFußball in der Region freuen und im Dauerbeschuss von 11Freunde und co. eine Art Weltverschwörung und Propaganda gegen den Fußball Ost wittern.

Mittlerweile gehört Kommerz schließlich zum Fußball wie Ausländerfeindlichkeit zu Sachsen. Der Sport scheint bis auf den letzten Grashalm durchkapitalisiert, man kann die Beispiele gebetsmühlenartig herunterbeten wie den Osterspaziergang in der achten Klasse.
Wolfsburg und die Ingenieurskünstler von VW,
Leverkusen und die Pharmafieslinge der Bayer AG,
Hannover 96 und der Hörgeräte-Guru Kind,
Bremen und die Wurstfabrik,
Schalke und Gazprom,
Chelsea und der russische Oligarch,
der Aufsichtsrat der Bayern und Adidas, Audi und die Allianz.
Wer frei von moralbereinigter Kommerzialisierung ist, der zünde die erste Pyro.

Diese Vereine schützt jedoch ihre hundertjährige Geschichte, die 50+1 Regel, die grob besagt, dass Konzerninteressen von Vereinspolitk getrennt gehören, und die Tatsache, dass sie sich ihre Erfolge erspielt und nicht gekauft haben. Nur ein Sponsor oder doch  gleich der Besitzer – das ist ein anderes Paar neonfarbener Fußballschuhe.
Im Gegenzug dazu gilt RB-Leipzig als Retorten-Club, zu Marketingzwecken am Reißbrett entstanden, weshalb Fans anderer Mannschaften Auswärtsspiele in Leipzig boykottierten, Freundschaftsspiele abgesagt werden mussten und ihn die 11Freunde zu einer Art Todfeind erklärt hat. Keine Leidenschaft, keine Authentizität, keine Seele. Reines Kalkül. „Eine Farce“ sei Rasenballsport Leipzig, eine „Simulation von Fankultur“.

Aktive Fans, Ultrakultur, Mitbestimmung der Fans – all das kann gerne in Halle, Jena, Berlin stattfinden, nicht aber in Leipzig. Der Klub steht stattdessen für fusselfreies, cleanes Entertainment für die ganze Familie, planbar und überraschungsarm wie ein Musicalbesuch. Wer die Atmosphäre in der Arena elektrisierend findet, hält sicher auch beim siebten Besuch von Starlight Express die Spannung kaum aus.“

Das schrieben sie 2014, dann wurde bekannt, dass der neue Stadion-Caterer der Leiziger das „Gastrobüro“ wird, das fortan Bockwürste an die falschen Fans verkauft. Dessen Geschäftsführer heißt Matthias Hörstmann, und zu seiner Unternehmensgruppe gehören die Intro, Melt!Booking, die gesamte Ferropolis samt Splash und Melt!, das Berlin Festival und damit die halbe Festivallandschaft. Und: Er ist Herausgeber der 11Freunde. Was das Magazin auch nicht umgehend zu einem seelenlosen Heft ohne Herz macht.

IMG_8991IMG_8992Als Kommerz-Schweine haben wir von Re:marx natürlich mafiöse Verbindungen nach Leipzig und uns dank dieser einen absolut gewissenlosen Very-Important-Blogger-Sonntag bei RB gegönnt, um uns ganz im schlechten Journalismus-Sinne mit dem Bösen gemein zu machen. So lange es Freibier gibt, kennen wir keine Scham.

IMG_8989RB, das steht für „Rasenballsport“, und falls diese Abkürzung irgendwelche andere Assoziationen weckt, dann ist das absoluter Zufall und hat rein gar nichts mit einem österreichischen Energy-Drink zu tun, genauso wie die Bullen im Vereinslogo, die nur ein Fehler des zuständigen Grafikers sind und eigentlich Löwen werden sollten. Stattdessen wurden sie Teil des Lizenzstreites, der vom Zaun brach, als RB in die Zweite Liga aufstieg, bei dem es aber vor allem um Strukturen eines Vereins ging, der weniger Mitglieder hatte als Re:marx Autoren, weil er einen Mitgliedsbeitrag von 800 Euro verlangte. Die DFL erteilte Auflagen, die Satzungsänderungen und Neustrukturierungen fordern. Heute kann für 70 bis 1000 Euro monatlich Fördermitglied werden, hat aber trotzdem nichts zu sagen, die Vereinsführung liegt in der Hand der Konzernmitglieder.

IMG_9000Die „Bullen“, nach Entlassung von Trainer-Talent Zorninger nun angeleitet vom früheren Sportchef Ralf Rangnick, der schon Schalke, Hannover und Hoffenheim trainierte, spielten am Sonntag gegen den 1. FC Nürnberg –  den „Glubb“, einer dieser Vereine, dem die Tradition schon lange anhängt (1900 gegründet, neunmal Deutscher Meister, immer wieder mal zweitklassig) Das Gute gegen das Böse, der ewige Kampf, den wir Nicht-mal-Erfolgfans von der Loge aus beobachten.
IMG_9029Dafür nistet man sich seidenbeschalt in einer „Sky-Box“ ein, das sind rot-weiß möblierte Lounges mit Glasfront und Blick aufs Spielfeld, die verschiedenen Firmen gehören, darunter Nike, Porsche oder die Deutsche Bank, die sich hier eine exklusive Edel-Zelle aus schwarzem Holz und violetten Samt eingerichtet hat. Eine V.I.P-Karte kostet an die 200 Euro, und damit fast weniger als ein Mitgliedsbeitrag. Das glorreiche Leipziger Zentralstadion, das jetzt Red Bull Arena heißt, und in dem schon Zidane eine Klotür eintrat, der junge Messi auf der Bank schmollte und Helene Fischer zwei ausverkaufte Shows spielte, ist mit über 28.000 Zuschauern zweidrittelvoll. Vorbei an silbern schimmernden Vereins-Wappen, begleiten  uns  dauerlächelnde Hostessen durch die Loge. Ein Leipziger Spitzengastronom namens Enk serviert fränkische Fleischspezialitäten, Lachskaviar und Lamm und einen eigens gekelterten Riesling namens „Enkelkind“.

IMG_8971IMG_8986Es gibt Wein-, Sekt- und Selters-Flaschen, die gekühlt in den Esstischen lagern, Nürnberger Würstchen, Erdnüsse, Kuchen, Käse, Bier und: Energy-Drinks. Weshalb wir Firstworld-Bonzen von Re:marx es uns heute so richtig Hunter S. Thompson-mäßig geben wollen. Bis man im Zuge eines ungehemmten Zucker-Koffein-Bier-Weißwein-Rausches plötzlich rot sieht und wütet wie ein wildgewordener Bulle. Sektflaschen und Gläser zertrümmert, vierzigtausend Dosen kaputt tritt, bis die Flüssigkeit alle Sitze verklebt, fünfhundert Flachbildschirme von den Wänden reißt, Porsche-Manager beschimpft, das Wohnzimmer der „Deutschen Bank“ verwüstet und sich mit „Soccer-Mums“ anlegt, alles in der Halbzeitpause. Danach ist man derart beflügelt, dass man sich – in einen energetischen Wahnsinn getrieben – das Versace-Dress vom Leib reißt, drei Sicherheitskräfte aus dem Weg räumt und als Flitzer über Platz rennt, während die „Glubb“-Anhänger singen „Alle Bullen sind Schweine“. Zumindest in unserer Fantasie. Am Ende bleibt doch nur ein gemäßigter Weißweinschwipps und ein mit Dessertvariationen vollgeschlagener Magen.  Und natürlich ein Fußballspiel. Weil: Fußball wird ja hier trotz aller künstlicher und echter Empörung auch noch gespielt.

IMG_9013Das Spiel lässt sich so zusammenfassen: Nach gut einer Viertelstunde steht es 3:0 für die „Bullen“, der FCN ist „one man down“, weil eine Notbremse im Strafraum dem RB einen Elfmeter und den Nürnbergern eine Rote Karte beschert hatte.  Aber weil eine 3:0 Führung gegen zehn Mann trügerisch ist, steht es nach zwei Freistößen für Nürnberg in der zweiten Halbzeit plötzlich 3:2, und in den letzten 15 Minuten kommt tatsächlich Spannung auf. Das 3:3 fällt in der Nachspielzeit, wird aber wegen Abseits abgepfiffen, dann ist das Spiel aus, und RB von Platz neun auf Platz fünf geklettert.

IMG_9008Die Stimmung ist nicht schlecht, aber doch ein bisschen halbgar. Vom Hexenkessel ist das Stadtion noch mindestens fünmal Umrühren entfernt. Die Leipziger Fankurve, das wollen wir noch sagen, war stets bemüht, der Gästeblock aber irgendwie cooler. „Alle Bullen sind Schweine“.
IMG_9001Doch die reell existierenden RB-Fans, denen man das „Fan“-Sein so gerne absprechen will, singen, in Anlehnung an all den Hass, während der 3:0-Führung irgendwann ihr Leipzig-Lied mit dem Text: „Wir sind Schweine, Rote Bullen Schweine, wir zahlen keinen Eintritt, und trinken Champagner statt Bier“, was ungefähr so elegant wirkt wie wenn Nazis sich „Wir sind das Pack“ auf ihre erbärmlichen Banner schreiben. Immerhin wird aber schon ordentlich provoziert und Hass geschürt, wie sich das im Fußball gehört, und deshalb kann man diese „Simulation von Fankultur“ fast als gelungen beschreiben.

IMG_9010„2025 ist RB ein ganz normaler Verein“, mutmaßte der Tagesspiegel. Die Frage ist nur, ob Champions League oder Kreisklasse.

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