Abartig! Diese behämmerten Blogger bashen die Begehungen!
Abartig! Diese behämmerten Blogger bashen die Begehungen!

Abartig! Diese behämmerten Blogger bashen die Begehungen!

Jemand wird hier bald Lofts ausbauen. Eigentum, durchsaniert, Beton und Glasfassaden, bestimmt.
Alle würden gerne einziehen. Stell dir vor. Wie geil. Ich nehme die dritte Etage. Was man hier alles machen könnte. Wenn man nur.
Niemand kann sich das leisten.

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Wir stehen irgendwo in der ehemaligen Sporett-Fabrik, oder Poelzig-Areal, zwischen unheilvoll aufbrausenden Soundinstallationen, halben Dutts und halb das Gesicht bedeckenden Hornbrillen. Wir, das ist eigentlich nur eine Person, der Mann hinter re:marx, aber weil sein Charakter so vielfältig und ihm der Kollektiv-Gedanke so wichtig ist, spricht er gerne von sich im Plural. Oder in der dritten Person. Jedenfalls haben „wir“ eine Mission, die weit darüber hinaus geht, die neuen Sticker (8,8 Cent das Stück, mattes Papier, ordentlich groß, Abziehhilfe) unauffällig an der Bar zu drapieren. Wir wollen abfaken, und zwar die Begehungen. Weil es die Begehungen schon in den Deutschlandfunk geschafft haben, und wir nur von NRJ erwähnt wurden.

Erleichtertes Seufzen bei allen, denen wir davon erzählen. Verständnisvolles Nicken selbst beim Vereinsvorstand. Wurde ja Zeit. Irgendjemand muss es schließlich machen. Und wer könnte unangenehme Wahrheiten schöner unverpackt lassen, als re:marx – der drittsonstige coolste Blog Sachsens. Außerdem, das kam uns kürzlich zu Ohren, empfinden es manche schon als Würdigung, von uns mit poetischer Polemik übergossen zu werden. Wir halten es da mit dem sympathisch bescheidenen Zlatan: „I need new haters, the old ones became my fans“ postete der gerade auf Instagram, hihi. Bisher gaben wir uns bei den Begehungen eher kooperativ: Fotostrecken auf Facebook, Po-Ethische Theken-Lyrik, komplizierte Wort-Bild-Kompositionen, damals hatten wir wenigstens noch Ideen, heute ist uns nur der Hass geblieben. Die netten Zeiten sind vorbei!

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Begehungen also. Die Begehungen sind ein internationales Kunstfestival, das einmal im Jahr die sächsische Bohème in die Betonwüste lockt. Als Event, wie es in der Art-Scene korrekt heißt, sind sie für den Kemnitzer Kunstconnaisseur doch recht wichtig: Ihre Internationalität vermittelt dem angeknacksten Selbstwertgefühl der Stadt zumindest drei Tage lang das Gefühl von Bedeutung. Der Eintritt ist frei, das liebt der mit Lohn und Lachen sehr sparsame Chemnitzer. Und das Konzept, das sie verfolgen, macht vergessene, der Abrissbirne geweihte oder von der Stadt stiefmütterlich behandelte Orte wieder zugänglich, eben begehbar. Und das ist, ganz ehrlich gesagt, das absolut beste an den Begehungen, die sich seit 13 Auflagen von einem ungeliebten Stiefkind der Stadt zum anderen bewegen und ihren Höhepunkt, so scheint es, vor fünf Jahren im Knast hatten. Die Begehungen sind seit Jahren schon ein Muss im prall gefüllten Veranstaltungskalender eines jeden Chemnitzers, der ein bisschen was auf sich hält. Da sollten wir eigentlich unbedingt fehlen.

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Doch zur peniblen Pflege eines gewissen Lebensstils (Musik mit schrammeligen Gitarren hören, die schön weit weg klingt/Kerouac und Kundera lesen, aber nur im Original/Arthaus bei Facebook liken, aber die Filme dann von Putlocker streamen/ Samstag 14:00 beim Heimspiel des CFC Roster essen/nein, wir reden nicht von uns, wir hassen Kundera, wirklich!) gehört immer auch ein zumindest nach Außen hin demonstriertes Interesse für Kunst. Das gehört einfach zum guten Ton, aus dem man sich gestern erst eine kunstvolle Pinguin-Skulptur gebrannt hat.

In Chemnitz geht das eigentlich erstaunlich gut, Kunstinteresse simulieren oder sich ein oberflächliches Kunstverständnis aneignen. Logisch, Chemnitz wird ja auch Kulturhauptstadt, und das werden wir jetzt so oft schreiben, bis wir selbst nicht mehr darüber lachen können. Vielleicht nicht unbedingt in den Kunstsammlungen, die sind zu offiziell, zu ernst, zu Rottluff, zu goldgerahmt, zu sehr Museum. Aber bei den Parties der jungen Kunstfreunde. Oder bei den Ausstellungseröffnungen der Galerien Hinten oder Borssenanger, wo man kostenlos Wein aus Kanistern trinken und sich am Buffett den Bauch vollschlagen kann, aber das ist nur ein Geheimtipp, den wir jetzt nicht unbedingt weiter sagen würden. Am besten aber geht es auf den Begehungen.

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TA Lärm. Das ist das Motto dieses Jahr, und für jemanden, der sich mit Behördendeutsch nicht so gut auskennt, klingt das erstmal ein bisschen wie dadaistisches Tourette. TA heißt Technische Anleitung, eine Verwaltungsvorschrift, betreffend Lärm, das passt zu Chemnitz wie der halbe Dutt zum Hipster. Nun ist die Ausstellung aber verdächtig leise: Viel Klang zwar, aber kaum Krach. Dafür blättert der Putz laut von den Fassaden und wir pulen ihn knisternd von den Wänden – weil wir neurotisch sind, das gehört zum Lebensstil. Unsere viel umjubelte Guggenheim Ampellärm-Installation „I’d Rather Go Blind“ haben wir trotzdem irgendwie vermisst.
Als wir die Ausstellung am Donnerstag betreten, sind wir gleich glücklich. Es gibt, vermutlich nur für uns, wieder eine Art Schwebekonstruktion aus weißen Rundkörpern (dieses mal sind es Styroporkugeln in Wolkenform, letztes Jahr waren es Luftballons, die das Wort Patria bildeten), die majestätisch und dekorativ in der Halle schwebt. Saurer Spagetti-Regen wäre jetzt noch fein, aber die Wolke hängt da, friedlich und nichtssagend. Wir machen direkt hundert Fotos davon, weil das alles so geil wirkt in den gigantischen Hallen der ehemaligen Textilfabrik. Die Böden sind brüchig, Risse in den Wänden, Staub wirbelt durchs Treppenhaus und uns ins Auge, das von der fensterlosen Brille nur unzureichend geschützt wird.
Und wenn das hier alles zusammenstürzt? Re:marx begraben unter Betontrümmern, Industriegeschichte, Arbeiterstadtmentalität und Kunst, die keiner versteht, ja irgendwie wäre das passend. Irgendwo oben riecht es plötzlich nach Großbrandgefahr – Panik kriecht uns in die Knochen, doch es ist nur das graue Aschefeld, in dem sich Fußspuren abzeichnen, auch Kunst.

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Warum liegen hier eigentlich Fliesen? Es gibt Roboter, die Schinkenscheiben massieren, Video-Installationen im Klo, das immer noch etwas nach glorreicheren Kacke-Zeiten riecht, einen rassistischen Computer, Haartrockner mit Lautsprechern drin, ein Netz, gestrickt aus Kupferfäden und überhaupt viel Dekoratives und Dekonstruktives. Dekonstruieren ist ohnehin das neue Können und Kunst kommt nicht von. Können muss man trotzdem was. Stark vereinfachen zum Beispiel, wenn man einfach nur besinnlich bashen will. Die Besucher sind nicht nur hip, sie sind teilweise auch stark gebrechlich mit Hüftproblemen, und eigentlich nur hier, um alte Erinnerungen aufzurollen
Bratwurstduft steigt in den vierten Stock, und wir können uns nicht mehr auf die Kunst konzentrieren, hetzen den Treppenaufgang hinab, die Spieluhr dreht, die Videoinstallationen flimmern, die Verstärker rauschen, wir werfen flüchtige Hornbrillen-Blicke drauf, ahaja, aaahja, WURST! Die Bar ist fantastisch, die könnte hier im Sommer immer sein, aber gerade kreischt eine Mädchenband in Second-Hand-Neunzigerjahre-Fummeln, endlich mal Lärm könnte man meinen, aber jetzt wo es laut ist, wünschen wir uns nur noch Ruhe.

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„Diese Kunst ist echt behämmert“ wortwitzte die BILD-Zeitung gekonnt platt über die Begehungen, nicht ohne zu erwähnen, dass die Stadt „45.000 Euro für diesen Krach“ ausgegeben hat – der chronisch wütende Steuerzahler will schließlich wissen, wofür ihm die Kommune da eigentlich das hart erarbeitete Geld aus der Tasche zieht. Danke, Ludwig!! So steht er dann vor zertrümmerten Fließen wie vor den Trümmern seiner längst geplatzten Träume, schüttelt subtil den Kopf und nuschelt ernüchtert: „Fließen zerkloppen. Das‘ doch keene Kunst! Des kann ich ooch zuhause machn“.
Der Behornbrillte indes lacht. Gemeinsam mit dem Bobo-Blogger, der pausenlos die weiße Wolke fotografiert, für Instagram, ja damit sind wir gemeint. Er hat die Kunst in ihrem krtischen Kontext natürlich längst durchdrungen, verinnerlicht, er wird sie in einer neuen Haarfrisur verarbeiten, und macht jetzt ganz erleuchtet ein Selfie vor den farbig fluoreszierenden Bildern. Er nickt interessiert und mit Expertise im gläsernen Blick, wenn er vor den Naturverstärkern steht, und erkennt Dinge in stockwerkübergreifenden Stoffbahnen, die andere nicht mal beim Blick in den Spiegel sehen.

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Die Begehungen sind super, wir sind gerne dort und machen Fotos von weißen Wolken, sie rücken Orte in unser urbanes Bewusstsein, die wir sonst nie auf dem Schirm gehabt hätten. Und obwohl wir sie dieses Jahr eigentlich blöd finden wollten und das Essen  passend zur Location wie Kantine geschmeckt hat, nur ohne Wurstgulasch, waren wir trotzdem fast jeden Tag dort. Aber warum? Um Kunst zu sehen oder um mit Kunst gesehen zu werden? Oder weil wir einfach nur den Staub der lange verwesten Chemnitzer Glanzzeiten atmen, die Industriegeschichte in unseren Lungen spüren wollten?
Denn – jetzt wird’s ehrlich, oder peinlich, aber die Wahrheit ist: Wir verstehen die Kunst einfach nicht. Eigentlich waren wir nur da, um Leute zu treffen, und weil uns langweilig war. Teile der Ausstellung fanden wir schwerer verständlich als Peter Paints Tampon-Post bei Re:marx. Das war im letzten Jahr schon so und im vorletzten, und am Sonnenberg erst recht. Jetzt ist es endlich raus.

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Vielleicht lag es daran, dass die begleitenden Texten zu den Exponaten und Installation so blumig waren wie die Beete im Stadthallenpark und schwammiger als Spongebob, und viel von Universum, Selbst und Reflexion, Natur und Struktur und so erzählten, so als müsse man einfach ein paar ganz bestimmte Buzzwords verwenden, um seinem Kunstkonzept künstlich Sinngehalt zu geben.
Vielleicht will uns Kunst auch gar nichts sagen oder besser, sie will nicht verstanden werden, so wie ein pubertärer Teenager nicht verstanden werden will: Soziale Abgrenzung, Identitätsbildung, nagut. Vielleicht will moderne Kunst auch unbedingt priveligiert bleiben, gemacht von der Bildungsschicht für die Bildungsschicht, unzugänglich für die Masse, trotz aller Barrierefreiheit.
Vielleicht sind wir auch einfach nur intolerante, ignorante Spießer, die auf installative Konzept-Kunst nicht klar kommen und auf ihr eigenes langweiliges Leben sowieso nicht, und die sich lieber die Alten Meister in Dresden angucken, da erkennt man wenigstens noch, was gewollt und was gekonnt war. Sorry Kunst, es liegt an mir, nicht an dir.
Vielleicht geht es manchen aber auch wie uns Menschen, die sich konfus durch Klanginstallationen und Kettensägenarbeiten schieben, und alles ganz cool und spannend finden, aber eigentlich nur, weil es der soziale Kitt gerade so will. In Wirklichkeit haben sie nichts verstanden. Aber die Location ist toll.

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Unser Vorschlag deshalb: Begehungen Nr. 14 in einem Chemnitzer Parkhaus, Motto: Kostenloses Parken in der Innenstadt.
Das lieben hier alle, das versteht jeder, das ist zugänglich auch für die kunstverständnislose Masse, das sieht gut aus auf Fotos, das kann man geil dekonstruieren. Wir würden kommen, auf alle Fälle, mit einer billigen BILD-Schlagzeile im Gepäck.

Ein Kommentar

  1. Habedenschinkengegessen

    Ganz genau! Alles! Ich dachte schon, ich werde ignorant, oder alt und vielleicht stimmt das auch, vielleicht werde ich aber auch dümmer – fun fact: letztes Jahr bin ich gar nicht hingegangen zu den Begehungen und habe stattdessen bestimmt Computer gespielt. Dieses Jahr habe ich auf jeden Fall weniger verstanden als jemals zuvor und dafür wieder mehr besser gefunden. Aha! Eine Korrelation und vielleicht sogar eine Kausalität! Hab mich am Ende vor allem über Bratwurst gewundert. BRATWURST bei den Begehungen! Krasses einself.

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