Chemnitzer Freisitze haben ihre eigenen Gesetze – vor allem, was das Auflaufen betrifft. In den aaltra-Biergarten gelangt man bodenständig durch den Rhododendron-Busch, nachdem man den alteingesessenen aaltra-Hardlinern auf der Bank davor scheu zugewunken hat. Beim Balboa fährt man einfach lässig mit dem Fixie/Ringbus vor – oder panisch weiter, falls überraschenderweise überhaupt niemand davor sitzt, den man kennt. Dann kann man unauffällig drei bis dreizehn Runden um den Brühl/durch die gesamte Stadt drehen, das soziale Selbstbewusstsein beim Yasmin mit Knoblauch-Soße aufpolieren, später nochmal ganz zufällig am Balboa vorbeifahren und dort dann einfach bis in die Brühldämmerung versacken. Wer ins Lokomov möchte, aber unsicher ist, kann sich in der Parkanlage gegenüber verstecken und von dort aus die aktuelle Inszenierungslage observieren. Zu Emmas Onkel geht man nicht einfach, man reserviert dort einen Tisch – auf dem Kaßberg sitzt man schließlich gesittet. Und dann wäre da noch der Weltecho-Hof:
Der Eingang zum Weltecho-Hof ist die Zauberkugel von Chemnitz, das Wurmloch in eine andere, geheime Dimension, in der Chemnitz endlich cool ist und sich ein bisschen wie Berlin Kreuzberg anfühlt. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, wie man dort einläuft, denn ein altes Chemnitzer Sprichwort besagt: Wie man in den Weltecho Hof einläuft, so schallt es hinaus. Dabei zu scheitern ist, als würde man aus der Zauberkugel kommen und – von Mareike Amado anmoderiert – im dichten Shownebel stolpern, sich das Knie aufschlagen und den spektakulären Glitzerfummel mit Blut beflecken. Kurz: Es ist keine Option. Damit der handelsübliche Weltecho-Mittwoch auch für dich zum Erfolg wird und du im Hof nie wieder lange rumlauchen musst, solltest du in Zukunft einfach folgende Tipps der zertifizierten Coolness-Profis von re:marx beachten.
1_ Anreise
Weil der Weltecho-Hof ein Paralleluniversum der Coolness ist, fährt man hier ausnahmsweise nicht mit dem SUV, sondern mit dem Fahrrad vor, dem Status-Symbol der Millennials. Doch Achtung! Fahrrad ist nicht gleich Fahrrad: Classic-Renner, Fixies, das alte Diamant von Opa und generell alles, was schlank und aus Stahl ist, sind akzeptiert. Wenn du allerdings ein schwerfälliges Mountain-Bike fährst, ist es ratsam, an der Zenti zu parken und den Rest zu Fuß zu gehen. Fat Bikes sind die SUVs unter den Fahrrädern, und somit ein absolutes No Go! Wenn du mit dem Fahrrad am Weltecho angekommen bist, stellt sich auch hier unmittelbar die ultimative Chemnitz-Frage, nämlich die nach dem Parkplatz: Die wetterfesten Parkplätze im Eingangs-Torbogen sind begrenzt und deshalb stark begehrt, der gemeine Pedal-Pöbel parkt unten am Fluss. Profis schließen ihr Fahrrad gar nicht erst irgendwo ab, sondern nehmen es mit an den Tisch, als wäre es ein geliebter Hund, den man nicht alleine lassen kann. Oder sie platzieren ihr Rad ganz lässig hinten am Zaun – und gucken auf dem Weg dahin schon mal, wo genau man wen kennt.
Tipp: Falls dir die Anreise per Rad zu riskant, zu anstrengend oder schlichtweg zu unspektakulär ist, eignen sich als Alternative folgende Fortbewegungsmittel, die wir auf einer Coolness-Skala von eher peinlich bis absolut Swagway wie folgt einstufen würden:
E-Bike
Inline-Skates
elektrisches Einrad
blinkende Sneaker
Skateboard
Bierbike
Segway
2_Einlaufen
Das inoffizielle Weltecho-Credo lautet: Auf jeden Fall gesehen werden, aber um keinen Preis auffallen. Es ist ein ziemlich schmaler sozialer Grat, auf dem man balancieren muss, ohne dabei auf dem harten Pflaster auszurutschen oder angetrunken vom Podest zu fallen. Aus diesem Grund empfehlen wir die sichere Anreise in der Gruppe: Man fühlt sich erstens wohler, wenn man gemeinsam statt einsam durch die Zauberkugel marschiert, und vermeidet zweitens, dass man sich zum Weltechohofnarren macht. Doch auch hier lauern soziale Gefahren, die durch außer Kontrolle geratene Gruppendynamiken verstärkt werden können: Wenn du beispielsweise gemeinsam mit deiner riesigen Radfahrsportgruppe einläufst, solltest du auf keinen Fall vergessen, vorher deinen Helm abzunehmen. Auch durch penetrantes Kichern, Parolen grölen oder CFC-Fangesänge könntet ihr euch für den Weltecho-Hof disqualifizieren und auf eine einsame Uferstrand-Insel verbannt werden, wo ihr dann in sozialer Verdammung mit einem Beachvolleyball namens Wilson spielen müsst.
Falls du aus verdächtigen Gründen doch alleine ins Weltecho einlaufen musst, kann dir nichts passieren, wenn du dich auf eine der folgenden Survival-Strategien besinnst:
Direkt an die Bar durchlaufen: Diese Methode ist so sicher wie der Stadthallenpark unter der eisernen Fuchtel von Miko Runkel: Mit Eintritt in die Weltecho-Atmosphäre steuerst du direkt auf die Bar zu, an der Vokuhila-Maik schon mit einem eisgekühlten Radler auf dich wartet. Wichtig: Auf dem Weg zur Bar den Blick unauffällig über den Hof schweifen lassen und schon mal heimlich abchecken, welcher Tisch später der richtige für dich ist. Kurzer Plausch mit Maiki, die ersten Bekannten beiläufig abgrüßen, runterkommen, ankommen.
Tipps, falls Vokuhila-Maik gerade im Albanien-Urlaub ist: Statt an die Bar erstmal aufs Klo gehen, auch da kann man wunderbar runter- und ankommen, ohne dass alle chemnitzkranken Augen auf einem ruhen. Beim Wiedereintritt in den Hof versuchen so auszusehen, als wäre man schon seit zwei Stunden da. Für Kultivierte: Die Galerie aufsuchen und mit fachmännisch hinter dem Rücken verschränkten Armen mindestens zehn Minuten lang vor jedem Exponat stehen bleiben. Für ganz Schüchterne: Lieber erstmal hoch ins Kino gehen und dort drei Stunden lang eine lakonische Indie-Komödie über Neurotiker in einer Mittelgroßstadt gucken. Anschließend die Lage vom Fenster aus sondieren und zwei weitere Stunden für die Entscheidung brauchen, ob man sich jetzt an den Tisch mit den entfernten Bekannten traut oder doch lieber nach Hause radelt. #beentheredonethat
Unverblümt ans DJ-Pult treten und sich fünf Minuten lang einen Song wünschen. Damit machst du dich zwar extrem unbeliebt bei der DJane, kannst aber gleichzeitig dein Ansehen im kompletten Hof steigern, weil alle annehmen, dass ihr irgendwie befreundet oder mindestens gute Bekannte seid. Jetzt steht dir jeder Tisch offen – du kannst dich problemlos einfach überall dazu setzen.
Die Profi-Strategie: Du fährst mit deinem beleuchteten Segway direkt an die Tischtennisplatte, und hast die Kelle am besten schon in der Hand, um sofort ins Ping Pong einzusteigen. Achtung: Nur was für Leute mit krassen Tischtennis- und Segwayskills.
Show-Working: MacBook aufklappen und erstmal demonstrativ einen 5G-Hotspot einrichten, damit alle im Hof sehen, wie geil viel Datenvolumen du hast. Bisschen klicken, hin und wieder mal was tippen, an der Limo nippen, free-, aber nicht faulancen. So fällt keinem auf, dass du alleine da und eigentlich ein Opfer bist.
Brille vergessen: Praktisch für Kurzsichtige, hat allerdings Vor- und Nachteile. Größter Vorteil: Es ist vollkommen legitim und wird dir natürlich verziehen, wenn du beim Einlaufen nicht sofort alle begrüßt oder einige Tische zunächst komplett ignorierst. Größter Nachteil: Du findest deine eigenen Freunde nicht und nimmst das wichtige Geschehen nur verschwommen wahr, ein Effekt, der sich übrigens auch gut mit viel Alkohol erzeugen lässt.
No-Gos: Oberstes Gebot: Niemals, wirklich nieniemals am Eingang oder mitten im Hof stehen bleiben und sich minutenlang Bekannte- und hilfesuchend umschauen. Auch nicht empfohlen: Mit dem Einlaufen warten bis es dunkel ist, denn der Weltecho-Hof ist ziemlich gut ausgeleuchtet. Aus Verzweiflung mit dem Rauchen anfangen. Erstmal ein paar Tische umräumen. An der Bar fragen, ob man auch mit Kreditkarte zahlen kann. Sich bei großer Hitze Luft mit Fuffis zufächern. Beim Gang an die Bar stolpern. Brettspiele spielen. Generell tanzen.
3_Den richtigen Platz finden
Im Weltecho ist es wie früher in der Schule, im Bus oder auf der Pariser Fashion Week: Die Coolen, zum Beispiel die Leute von re:marx, sitzen wahlweise ganz hinten und kippeln oder sie sitzen ganz vorne und sehen gut aus.
Das hat einen einfachen Grund: Wenn du dich ganz vorne am Eingang oder zentral ganz hinten platzierst, sehen deine Freunde gleich beim Einlaufen, wo sie hingehören und müssen nicht erst awkward im Hof rumdrucksen. Hier greift nämlich die Sieben-Sekunden-Regel: Wer nach Ankunft länger als sieben Sekunden rumsteht, ohne wichtige Leute zu kennen, kann den Abend vergessen und gleich rüber an den Uferstrand Beachvolleyball spielen gehen. Außerdem gilt: Je näher man an der Bürgerprotest-Gegenparty dran sitzt, desto besser, denn so kann man erstens Teil einer Gegenbewegung sein und zweitens dafür sorgen, dass sich der Konflikt so lange hochschaukelt, bis David Hasselhoff im Echo-Hof auftritt und die Bauzaun-Mauer niedersingt- und blinkt. Die Geltungsbedürftigen finden wiederum meistens oben auf dem Holz-Podest statt, während die Entspannten auf den Stufen cornern. Wenn alle Plätze schon besetzt sind (vielleicht sollte man auch hier über ein Reservierungssystem nachdenken), bleibt dir nichts anderes übrig, als den ganzen Abend an der Bar zu stehen oder endlose Runden um die Tischtennisplatte zu drehen.
4_Den Abend entspannt genießen
Wenn du endlich beeindruckend lässig in den Hof eingelaufen, mit Bier versorgt und an einem angesehenen Tisch gelandet bist, kannst du dich zurücklehnen und den Abend genießen. Wenn alle sitzen, wenn es langsam dunkel wird am Himmel über Chemnitz, wenn die DJane chillige Beats dropped, gilt hier ein neues Gesetz, nämlich: Im Weltecho-Hof sind alle gleich. Egal ob sie Bier, einen farblich zum Outfit passenden Aperol Spritz oder doch nur eine lasterfreie Limo trinken, egal ob sie dabei Leisure Wear oder Casual Chic tragen, egal ob sie über ihre neuesten Chemnitz-Projekte oder über den CFC reden – Hauptsache ist, sie fahren kein Fatbike.
Tipp, falls es an eurem Tisch langweilig wird: Spielt doch mal eine Runde Akteur*Innen-Spotten. So funktioniert’s: Wer am Tisch zuerst einen Chemnitzer Kulturschaffenden spotted, muss einen Kurzen trinken. Funktioniert übrigens auch wunderbar in anderen Locations; am besten im Lokomov und im Balboa.
5_Aftershow
Standard wäre, ins Atomino zu “Endlich Mittwoch” zu gehen, aufregender ist der abenteuerliche Absacker auf dem Weindorf. Wer krass drauf ist, wechselt rüber zum Uferstrand, sollte sich vorher aber gut einölen und mindestens ein vorzeigbares Sixpack besitzen. Unser Tipp: Beim Salsa-Abend versacken und neue, feurige Bekanntschaften machen. Und wer weiß, vielleicht kommt ihr ja schon nächste Woche Latin-tanzend in den Hof eingelaufen und könnt euch das teure Geld für ein neues Bierbike sparen.
Die schönen Illustrationen hat Cutesyartstuff für uns gemacht