Viele ahnen es bereits: Game of Thrones basiert in Wirklichkeit auf der wahren Geschichte des Chemnitzer Mittelaltermarkts. Der wird offiziell auch Klosterweihnacht genannt — weil er sich in der Inneren Klosterstraße befindet, ansonsten aber nicht sonderlich asketisch daherkommt. Jedenfalls ist es mit dem Mittelaltermarkt so: Man hält ihn entweder für den romantischsten aller Weihnachtsmärkte oder für ein Event, schlimmer als Pest und Cholera zusammen. Wir behaupten: Menschen, die den Chemnitzer Mittelaltermarkt ablehnen oder gar hassen, sind verweichlichte Wesen aus der westlichen Welt, und haben einfach nur Angst vor der brutal unkomfortablen Realität des mittelalterlichen Lebens oder davor, sich dort mit der Pest zu infizieren. Für genau diese Menschen haben wir eine kleine Anleitung geschrieben, mit der euer nächster Kreuzzug über die Chemnitzer Mittelaltermeile garantiert zum Zuckerschlecken wird.
Mittelalter: das ist das, wovor sich Pegida-Anhänger angeblich sehr fürchten, sich gleichzeitig aber offensichtlich danach zurücksehnen. Es beschreibt die ziemlich lange, düstere, brutale, rückständige Zeit nach der Antike — also quasi das, was nach dem Untergang einer Zivilisation kommt, die viel zu dekadent und protzig gelebt hat und daran sang- und klanglos gescheitert ist. Ähem.
Essen: Die Mittelaltermeile ist berühmt für ihre kulinarischen Köstlichkeiten, in erster Linie für den legendären Langos — das ist ein original frühmittelalterliches Fettbrot, das früher vom fahrenden Volk traditionell bei Ritterturnieren und Feuerspeierfesten gebacken wurde und das seine Renaissance in den Neunzigerjahren auf sächsischen Stadtfesten feierte. Ansonsten ernährt man sich auf dem Mittelaltermarkt überwiegend nach den Prinzipien der Paleo-Küche. Die stammt zwar aus der Steinzeit, aber das ist ja ähnlich. Typisch für die Chemnitzer Steinzeitcuisine sind jahrhundertealte Höhlengerichte wie „Gezupfte Sau“, Crepes, Kartoffelpuffer und Knoblauchbrot. Grundlegend gilt: Wenn das Essen stark nach Knoblauch riecht und auf einem heißen Stein gebacken, in einem Kessel verrührt oder über offenem Feuer geröstet wurde, ist es auf jeden Fall authentisch und vielleicht sogar lecker.
Trinken:
Im echten Mittelaltergame trinkt man Met aus von Miko Runkel handgetöpferten Humpen. Dazu serviert man die in Chemnitz absolut obligatorischen Wortspiele. Also: „Einen Becher Mett bitte, höhö“ oder „Met? Ist das Chemnitzer Abwasser? Höhöhö“. Met knallt jedenfalls fast so sehr wie der Knoblauch, den man überall riecht, deshalb ist hier erfahrungsgemäß Vorsicht geboten.
Bezahlen: Aufgepasst beim Bezahlen. Auf der Klosterweihnacht zahlt man nicht wie sonst in Chemnitz mit Euro, Bitcoins, Fausthieben oder Paybackpunkten, sondern mit Thalern. Der Umrechnungskurs in Euro beträgt 1:1, das macht den Thaler zur stabilsten Währung überhaupt, quasi zum CHF der Weihnachtswelt. Wichtig ist, im Kopf trotzdem immer umzurechnen, um sich nicht zum Narren zu machen: Ein Mutzbraten mit Sauerkraut kostet zünftige acht Thaler — das sind umgerechnet 16 Mark. Eine Rostbratwurst für dreieinhalb Thaler entspricht einem Preis von sieben Mark — das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Bei einigen Ständen, zum Beispiel am Met-Stand, hat die Währungsreform bereits stattgefunden. Hier kann man mit Euro zahlen und muss nicht vorher umständlich in der Spielothek am Getreidemark sein gründlich gewaschenes Geld wechseln.
Kleidung: Die meisten Mittelaltermarkt-Besucher tragen die Ritterrüstungen der Neuzeit: Dunkle Daunenjacken. Wenn ihr in der Inneren Klosterstraße nicht als moderne Kreatur gelten, sondern als OG (Original Gaukler) auffallen wollt, solltet ihr auf folgende Kleiderordnung setzen: Lumpige Kapuzen, auch Gugel genannt und sowas wie der sexy Prototyp der Sturmhaube, hochmodische Hauben, goldene Schnabelschuhe, wollig warme Schafsfelle, selbstgeschmiedeter Schmuck, Kettenhemden und Keuchheitsgürtel. Dazu empfehlen wir farbige Accessoires — hier könnt ihr eurer Mittelalterfantasie freien Lauf lassen, Hauptsache ist, sie sind aus Filz. Wichtig für den Mittelalterweihnachtsmarktbesuch ist auch, dass ihr dabei immer gut bewaffnet seid. Wir reden hier nicht von den vor allem im Erzgebirge populären sächsischen Standardwaffen wie Elektroschocker und Schlagstöcke, sondern von schwerem Geschütz. Ohne Schwerter, Speere und Äxte könnt ihr euch an der Punschbude sonst nur schwer gegen die anderen Glühweingeier durchsetzen.
Sprache: Um nicht als übler Eindringling aus dem 21. Jahrhundert aufzufallen wie der Starbucks-Becher in der GoT-Folge, ist es wichtig, auf die Sprache zu achten. Das heißt: Keine digitale Jugendsprache, keine Hip-Hop-Lingo, keine neumodischen Chemnitzer Abkürzungen wie Bibo oder StraNa, nicht in Memes reden, kein Englisch, außer es sind Shakespeare-Sonette oder Macbeth-Zitate. Sonst werdet ihr in der ehemaligen Absyntheria eingekerkert. Drum sprechet lieber Euer erlesenstes Alt- bis Mittelhochdeutsch oder gar gleich die Gelehrtensprache Latein, sodass man für findige Gesellen euch hält. Zieret Euch nicht, recht ritterlich zu klingen, auch wenn ihr euch dabei wie Hobbits aus dem Auenland oder direkt wie Gollum anhören solltet. Falls euch die edlen Worte sollten nicht kommen in den Sinn, so singet einfach ein weihnachtliches Lied des großen Dichters Walther von der Vogelweide — dem Wham! der Altzeit. Oder zitieret sexistische Luther-Kalendersprüche. Wenn auch das nicht klappt, besinnt euch einfach auf die altbewährte Barock-Lyrik aus dem Deutschunterricht, die ist zwar aus der falschen Epoche, aber auch mit Latein: Carpe diem, Memento mori, alles ist vergänglich, zum Glück auch die Weihnachtsmarktzeit.
Wanne: Viele Legenden und Mythen ranken sich um die hölzerne Wanne hinterm Honigwein-Verkauf. Zum Beispiel: Wie oft hat Ritter Runkel hier schon im Borat-Einteiler drin gebadet? Wird die Wanne nachts zum Whirlpool für die überspielten CFC-Stars? Wie oft wird das Wasser gewechselt und ist es wirklich Schlossteichwasser (der Schnaps natürlich, nicht das modrige Teichwässerchen)? Und was genau sind die Reste an dem Rückenschrubber? So viel können wir jedenfalls dazu sagen: Das Wasser ist 38 Grad warm, und alle zwei Minuten bleibt ein Chemnitzer davor stehen und sagt genau das: „Achtunddreissch Grad“. Die Wanne ist seltsamer Weise oft voller voller Männer, die sich hier scheinbar zum Stammtisch treffen, und niemand weiß, wo die Umkleiden sind. Es gibt keine Badeaufsicht. Es gibt kein Burkini-Verbot. Es gibt aber Räucherstäbchen-Eso-Atmosphäre und Handtücher.
Was man sonst noch unternehmen kann: Auf die Mittelalterparty geht man hauptsächlich zum Rumluthern, also zum Saufen und Fressen und unangebrachte Kommentare ablassen. Darüber hinaus kann man sich auch noch bei Schmied- und Steinmetz-Vorführungen vergnügen oder mit Holz-Zwillen auf dämlich blinkende Weihnachtsmützen zielen. Wer noch Geschenke braucht, findet vielleicht bei den Heilenden Edelsteinen oder sodomistischen Fantasy-Elfen das Passende. Es gibt eine Fegefeuerstelle, an der man sich wärmen und den Gesängen der Gaukler lauschen kann, wobei wir uns fragen, warum Pyrocatharsis ständig auf der kleinen Bühne auftreten darf, nie aber Ritter Noctulus. Obacht beim Thema Tanzwut — die ist wesentlich ansteckender als die Pest und viele Chemnitzer sind nicht dagegen geimpft. Highlight ist ein enger eiserner Käfig, in dem man sich oder seine Kinder einsperren und vielleicht ja sogar bewerfen oder anspucken lassen kann. Nirgendwo ist das Kerkerfeeling mehr on fleek als hier.
Weltbild/ die harten Gesetze der (Inneren Kloster-)Straße: Auf dem Mittelaltermarkt herrscht — wie auch bei Pro Chemnitz und in Teilen der Bevölkerung — ein chemzentrisches Weltbild: Chemnitz ist eine Scheibe, wie der gelehrte Stadtschreiber Remarxus längst wissenschaftlich bewiesen hat. Das anzuzweifeln ist riskant, denn leider gibt es auch hier immer noch Folter, zum Beispiel die Musik, die aus vielen Weihnachtsbuden klingt. Ansonsten glauben viele, der Mittelaltermarkt sei eine NoGo-Area äh ein Nicht-Geh-Gelände für rothaarige Frauen, bzw. generell für Frauen, auch Hexen genannt. Aber wenn man eine schützende Filzmütze trägt, kann einem dort eigentlich nichts passieren. Gegen die Pest hilft vorbeugend übrigens immer ausgiebig Hände waschen und reichlich Ingwerwasser trinken.