Wiki-How Chemnitz: Deinen Künstler-Schwarm beeindrucken und Teil der kreativen Szene werden
Wiki-How Chemnitz: Deinen Künstler-Schwarm beeindrucken und Teil der kreativen Szene werden

Wiki-How Chemnitz: Deinen Künstler-Schwarm beeindrucken und Teil der kreativen Szene werden

Chemnitz ist eine Stadt, die es einem noch nie sonderlich leicht gemacht hat. Haben wir ja schonmal gesagt, neulich irgendwann. Da es auch in nächster Zeit vermutlich nicht  unbedingt einfacher werden wird, finden wir, dass die Stadt einen ordentlich Ratgeber für alle Chemnitz-Lagen braucht. Damit auch Chemnitz endlich mal das große Großstadt-Glück findet, das in den anderen Städten die ganze Zeit so ungehemmt fröhlich pulsiert. Und weil es wirklich nirgendwo bessere Lebensratschläge gibt als bei Wiki-How, der Bravo des Internets, haben wir das Prinzip einfach geklaut und uns nicht mal beim Namen Mühe gegeben. „Wiki-How Chemnitz“ heißt unsere neue Rubrik – und verrät euch ab jetzt regelmäßig wie ihr in Chemnitz richtig trinkt, flirtet, weint, protestiert, Bus fahrt, cool wirkt, kurz: klar kommt. Der Auftakt unserer Chemnitz-How-Reihe hätte früher wahrscheinlich „abgefakt: Freie Szene“ gehießen, aber weil wir zu viele Glücksratgeber gelesen haben und jetzt voll konstruktiv und positiv und so sind, heißt er „Wie man seinen Künstlerschwarm beeindruckt und Teil der freien Szene wird“.

1 Finde die richtigen Spots
Orte, an denen sich Kreative, Subkulturelle und co. versammeln, sind in Chemnitz so selten wie Wasserlöcher in der Wüsten-Steppe. Das Lokomov ist so ein Wasserloch, obwohl hier meistens was anderes getrunken wird. An der shabby Schnapspfütze am Fuße des Sonnenberges tummeln sich regelmäßig vielversprechende Artists und Artistinnen, Freigeister, Queerdenker, koole Kettenraucher, melancholische Musiker, betrübte Beatniks und andere Proll-Poeten (m/w/d). Vor allem sonntags, wenn absolut nichts in Chemnitz Hoffnung auf Exzess verspricht außer der Döner Drive-In hinterm Tietz, finden die armen, aber saxony Kreativen Trost in der warmen Sonntagssuppe oder sitzen, über die letzte Nacht seufzend, mit verkaterten Sonnenbrillen im Dieseldunst der kredibilen Straßenkreuzung. Jedenfalls triffst du hier garantiert immer jemand Interessanten, den du ganz einfach beeindrucken kannst, wenn du dir unsere Tipps zu Herzen nimmst.
Falls dir das Lokomov zu subversiv ist, kannst du es auch auf einer Vernissage versuchen. Im Weltecho und in der Galerie Borssenanger finden regelmäßig welche statt, und es gibt meistens Salzstangen-Buffet und Wein aus Zapfkartons, über den man wunderbar mit spannenden Kreativen ins Gespräch kommen kann. Auch Big Player wie die Kunstsammlungen bieten mindestens Sekt und Grissini und ziehen damit in der Regel wohlhabendere Wichtige an.


Andere Orte und Anlässe, bei denen du in Chemnitz potentielle Künstlerschwärme triffst:
Theaterpremieren im Komplex, Biergarten im aaltra, Podiumsdiskussionen zur Kulturhauptstadt-Bewerbung, Zehn-Kurze-Interviews von re:marx

2 Versuche mit deinem Künstlerschwarm ins Gespräch zu kommen
Das geht am besten, wenn man sich an der Lokomov-Bar ums Bier drängt oder im Weltecho Cafè um die letzte Olive prügelt. Als Gesprächseinstieg eignet sich eine dezent provokante Bemerkung wie „Der Sonnenberg ist mir zu spießig, ich wohne lieber auf dem Kaßberg“, „Ah ja, die Begehungen! Ist das Kunst oder kann das weg? LOL!“ oder „Wozu braucht ihr eigentlich Fördergelder, wenn ihr eure Festivals eh nur für euch selbst macht?“. Gib die Hoffnung nicht auf, falls das nicht auf Anhieb funktioniert und sich dein Künstlerschwarm von dir ab und einer vermeintlich interessanteren Person zuwendet. Weil sich in Chemnitz Kreative und Künstler so zuverlässig anziehen wie Massen bei Newton, kann man im Sommer im aaltra Biergarten, vorm Lokomov oder im Weltechohof sogenannte Künstlertische beobachten. Das ist meistens eine größere Ansammlung von Menschen, die ranzige Resales-Sachen tragen und rauchen. Aber weil das immer noch Chemnitz ist, kennst du sicher mindestens eine Person am Künstlertisch und kannst dich unauffällig dazu setzen. Mache alle am Tisch auf dich aufmerksam, indem du eine Runde Schnaps spendierst. Kreative mögen das.

3 Rede viel über die Stadt
Tief in ihren übersensiblen Herzen sind Chemnitzer Kreative noch größere Lokalpatrioten als Leute mit C:FC-Kennzeichen (Edit: Den Text haben wir vorm CFC-Gate geschrieben, wir meinen hier auch nicht die Ultras). Sie hassen und sie lieben die Stadt und sind deshalb genauso stark emotional involviert wie die Menschen, die ihre Kinder freiwillig im CFC-Kreissaal zur Welt bringen. Ja, sie identifizieren sich seltsamerweise so sehr mit der Stadt, dass sie Kritik an ihr persönlich nehmen und sofort in schwärmerisch-raue Chemnitz-Elegien verfallen, wenn man Leipzig auch nur erwähnt. Experten sprechen auch vom „Chemnitz-Paradoxon“, eine sehr starke Hassliebe, die die Menschen in der Stadt wie ein unsichtbares Band miteinander verbindet, der soziale Kitt der Chemnitzer. Dein heimlicher Kreativcrush wird garantiert auf dich aufmerksam, wenn du mit derselben resignierten Begeisterung über Chemnitz sprichst. Sag wie sehr du die Freiräume liebst, preise die Mieten, sprich von Entfaltungsmöglichkeiten, wie es sie in keiner anderen Stadt gibt, vom Entwicklungspotenzial diverser Stadtteile, lästere über die Leute, die jetzt noch ernsthaft nach Leipzig ziehen und zitiere ganz beiläufig die Existenzialisten. Oder probiere mal was anderes und schimpfe auf festgefahrene Strukturen im Verwaltungsapparat und raune verschwörerisch über einen elitären Kreis „gefälliger Kulturschaffender“. Wenn du dann noch die Entmachtung der Stadtverwaltung durch die freie Szene forderst, werden dir die heimlichen Herzen der Kulturszene nur so zufliegen.

4 Lerne die Lingo
Generell reden Chemnitzer Subkulturelle gerne viel und viel zu kompliziert und viel zu viel über sich selbst. Das mag am Anfang etwas abschreckend wirken, aber mit den richtigen Fachbegriffen kannst du bald mithalten und den coolen Kulturellen krass imponieren. Am populärsten ist derzeit das trendige Mode-Wort „Narrative“, das heißt eigentlich nur „Erzählungen“, klingt aber nicht so sehr nach Deutschleistungskurs-Loser, sondern nach sexy Germanistik-Magister. Begriffe wie „Freiräume“, „Gentrifizierung“ und „Diversität“ sind Klassiker, mit denen du nichts falsch machen kannst. Sage „dekonstruieren“, sage „Partizipation“, sprich vom „Subtext“, von „Netzwerken“, vom „Prozess“, fordere „Fördergelder“. Nehme dir immer Zeit zum Gendern.

Garantierte Eisbrecher sind Sätze wie: 
„Das ist auf so vielen Ebenen spannend“
„Das ist aber auch nur ein Teilaspekt des Ganzen“
„Vor allem im Hinblick auf die Kulturhauptstadt-Bewerbung“
„Ich muss zum Schur fix“
„Ich bin Feminist“ (wenn du ein Mann bist)
„Die Verwaltung muss kreativisiert werden!“
„Wir müssen endlich raus aus der Blase!“
und
„Hast du mal Tabak?“

5 Mach dich selbst interessanter
Natürlich darf es keinen Chemnitzi-How-Artikel ohne Tipps geben, wie man sich am besten verbiegt, um jemand anderen zu gefallen. Damit sich dein Künstlerschwarm für dich interessiert, musst du selbst noch ein bisschen interessanter werden.
Fange das Rauchen an, voluntiere bei den Begehungen, koche Sonntagssupppe fürs Lokomov,  schreibe ein Chemnitz-Blog, organisiere ehrenamtlich ein Festival, überzeuge durch Alkohol-Resistenz, bewirb dich bei KRACH, trete einer Partei (also den Grünen) bei, vermeide Plastik-Müll,  reiche ein Mikroprojekt ein, tanze die Lulatschfarben, zeichne Zenti-Gesichter, stelle Förderanträge, sammle Müll am Schlossteich, hetze gegen die Stadtverwaltung, lese viele Bücher – ganz egal was es ist, Hauptsache, du redest ständig darüber. Als ausgewiesenem Lokalpatrioten wird es deinem Kreativschwarm garantiert gefallen, wenn du dich inbrünstig für die Stadt engagierst. Doch Achtung, das kann durchaus Nerven kosten und Energie rauben. Wenn du dich dem noch nicht gewachsen fühlst, dann nimm einen Nebenjob als Barkraft an: Dort triffst du alle, die daran schon grandios gescheitert sind und die ihren Chemnitz-Kummer jetzt mit Schnaps wegspülen.

6 Frage nach einem Date
Nachdem du all unsere Tipps befolgt und die freie Szene auf dich aufmerksam gemacht hast, wird es Zeit für ein erstes Date mit deinem Kreativschwarm. Keine Sorge: Es muss nicht aufregend, nicht glamourös, nicht sexy sein, denn in Chemnitz ist räudig das neue Sexy. Trefft euch zum Wodka kaufen im Sonnenbergnetto oder zum Rauchen an der Star-Tankstelle, geht gemeinsam zum Kultur Jour fixe, fahrt eine Runde Ringbus und diskutiert die demographische Entwicklung der einzelnen Stadtviertel, besucht ein Konzert oder eine Vernissage, testet Chemnitzer Dönerbuden oder besauft euch einfach hemmungslos im Tesla. Am romantischsten wird es dein Schwarm finden, wenn ihr ohne Ziel, aber mit Bier, zusammen durch die leere Chemnitzer Nacht spaziert und neue Freiräume für euch entdeckt.

7 Plant ein Projekt zusammen
Nach den ersten erfolgreichen Dates solltest du den nächsten Schritt wagen. Ganz egal, ob deine Beziehung zur freien Szene romantisch, platonisch oder toxisch ist, Hauptsache ihr unterstützt euch gegenseitig und engagiert euch gemeinsam für eure Stadt. Fass dir ein Herz und frage, ob die Person deiner Künstlerbegierde ein Projekt mit dir planen möchte. (Nenne es lieber „realisieren“, das kommt besser an). Von jetzt an könnt ihr euch regelmäßig treffen, um Entfaltungsmöglichkeiten auszukosten und nach Lust und Laune Freiräume zu bespielen

Tipps:
– Kreative sind sehr empfindsam und oft befindlichkeitsfixiert, du musst also behutsam mit ihnen umgehen
– Falls unsere Tipps nicht helfen und sich der Künstlerschwarm schlecht knacken lässt, kannst du auch vorschlagen, eine Runde Flaschendrehen mit ihm/ihr zu spielen wie ein pickeliger Teenager, der das Küssen üben will
– Nicht alle, aber viele Kreative sind Hedonisten. Die Lieblingsdroge der Chemnitzer ist Alkohol. Wenn dir deine Leber lieb und heilig ist, empfehlen wir, der Szene besser fernzubleiben
– Es macht allerdings gar nichts aus, wenn du nicht rauchst
– Geld spielt immer eine Rolle

 

Die schönen Illustrationen hat Cutesyartstuff für uns gemacht. 

Ein Kommentar

  1. Teil der kreativen Szene werden? Das würde bedeuten das man anfangen muß zu saufen, zu kiffen und sich selbst darzustellen. Das ist kreativ? Meine Oma würde sagen das es ein vermorkstes Leben ist. Stört ja keinen. Nicht mal mich.
    Kreative machen Kunst. Kunst spaltet die Gemüter. Die einen bewundern diese. Die anderen werfen diese auf den Müll. Aber die wenigsten können davon leben. Und weil das hier so treffend mit dem Lokomov, am Fuße des südlichen Sonnenberges los ging, könnte man ja auch dabei bleiben? Also beim Lokomov. Also vor Jahren der selbsternannte Sonnenbergmacher das Haus für einen Äppel und nen Ei erworben hat, hätte man denken können nun gehts los. Das Haus war schnell gefüllt und die Kneipe war eröffnet. Das was eigentlich mal gut anfing, kristallisierte sich als ewige Ruine heraus und bleibt nun so bestehen. Das erst mal als man von dem baufälligen Haus so richtig hörte war nicht von Kreativen zu hören sondern von Piraten. Die Piraten waren damals kreativ. Das sind sie heute noch. Nur mit Kunst hat das nichts zu tun. Ein Glücksfall war es dennoch. Nicht für die Piraten sondern eher für den Eigentümer. Unsere schwul-lesbische Piraten Community hatte eine kurzfristige Heimat gefunden und noch keine Ahnung das sie einige Jahre später im Geiste im Stadtrat wieder vereint werden. Um in das Lokomov zu gehen, muß man sicherlich noch mal geboren sein. Gehobenes Publikum wird nicht angezogen, für den Außenbereicht ist es zu laut und wie innen auch zu dreckig und wenn man sein kreatives Leben nicht mit saufen verbringen will, macht man dann doch eher einen großen Bogen um das Lokal. Dennoch hat das Lokomov seine Daseinsberechtigung. Die Kneipe ist fest in schwul-lesbischer Hand und die drei Zentner Pudding geht dort täglich seiner Internetsucht nach. Der Pudding will lieber alleine irgendwo sein. Schon klar. Er wird nur aktiv wenn die jungen Männer da sind. Von der Krativität ist nicht viel zu erleben. Aller paar Wochen findet noch irgendwas musikalisches statt. Da treffen sich die kreativen Musiker die es sonst nicht schaffen irgendwo ihre Musik unter die Massen zu bekommen. Der Sonnenberg zieht an. Da kommen auch die drogenabhängigen Mietpreller von der anderen Seite des Bahnhofes welche sich schon paar Tage als Fitneßstudioleiter erfolgreich durchgeschlagen haben und mehr Schulden haben wie Haare auf dem Kopf. Aber es macht Spaß. Zumindest solange bis die Polizei gerufen wird. Ringsherum wohnen noch ChemniterzInnen welche anderen Tags wieder arbeiten gehen müssen. Irgendjemand muß den Kreativen ja ihren Lebensunterhalt bezahlen.
    Also gehen wir ins Tesla. Einmal die Woche sollte es möglich sein. Erscheint man zu zeitig, ist keiner da. Erscheint man zu spät, bekommt man in dem Laden mit einer Bezeichnung welche nicht mit Kreativität zu tun hat weder was zu trinken noch Luft. Nach einer halben Stunde war dann zwar mein Handy weg aber dafür hatte man wenigsten paar Hände am Arsch gehabt. In diesem Falle hat die Kreativität ein jähes Ende gefunden.
    Aber der Sonnenberg hat noch ganz andere Gesichter: Die Begehungen. Die ersten Begehungen auf dem Sonnenberg waren klein und kreativ. Die letzten Begehungen auf dem Sonnenberg waren die Zurschaustellung der Besitztümer des Mannes welcher sich selbst zum Macher auserkoren hat und dessen Besitztümer in der Zwischenzeit drastisch zusammen geschmolzen sind. Die Banken haben den Geldhahn zugedreht. Sein Lokomov behält er und seine knabenhaft aussehende Alibifreundin auch. Und die Begehungen? Da ist schon längst die Luft raus. Kreativ wird nun durch Müll ersetzt. Hingehen tut auch niemand mehr groß. Die wohlhabenderen Wichtigeren sollen aber auch schon mal dagewesen sein. Die Zeit arbeitet dagegen. Wir bewerben uns als Kulturhauptstat. Da können wir punkten: Kreativität in Luxusruinen.
    Wir reden über unsere Stadt. Ich rede über meine Stadt. Am liebsten rede ich aber über meinen Sonnenberg. Und am allerliebsten rede ich über die großen Mäuler welche sich schützend vor Kinderschänder stellen, Schwarzarbeit betreiben und aus dem großen Staußenei nur einen kleinen schmutzigen Spatz ausbrüten. Und das ist kreativ. Oder auch nicht. Also fange ich nun an in meinem Alter zu haschen um mich der kreativen Szene zugehörig zu fühlen oder lasse ich es doch?
    Ich bin noch am überlegen.

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