Der Chemnitzer geht zum Feiern gerne in den Keller oder in Räumlichkeiten, die immer irgendwie ein bisschen finster, ranzig und verbraucht aussehen und vom Stil her grundsätzlich an die Bazillenröhre erinnern. In dunklen Ecken und schäbigen Provisorien schlägt das immermüde Chemnitzer Arbeiterherz stumpf im Viervierteltakt. Understatement im Untergeschoss, das ist simpel, sympathisch und fast schon authentisch — wenn Authentizität generell nicht so unauthentisch wäre. Doch zum Glück gibt es noch Locations wie das Oberdeck, das selbstlos gegen das Ewig-Authentische ankämpft, wie der Name schon verrät. Hier schlürft die erste Klasse loungige Longdrinks, hier stürzt die Oberschicht besoffen von der Dachterrasse. Das gefällt dem handelsüblichen Re:marx-Redakteur — snobbistische Schale, proletischer Kern — insgeheim ziemlich gut. Und weil wir uns zum Bloggeradel der Stadt zählen, haben wir uns vergangenen Mittwoch zum Beatconnect eingeladen, bevor die Veranstaltungsreihe in die Spinnerei zieht, um dort endlich gemeinsam mit den Stars der Stadt Longdrinks zu schlürfen und vom Rooftop in den Vollmond zu springen und euch davon zu berichten. Glaubt uns — das war nicht so schön, wie es klingt.
Oberdeck, das klingt nach Yachthafen und Yuppiehaufen, nach unvergesslichen Events für die Oberen Zehn von Chemnitz. Nach jener Art von Veranstaltungen, für die Alt-Industrielle, Anwälte und Ärzte auch mal ihre Schönauer Stadtrandvillen verlassen und unser Infografiker eigens vom Adelsberg herabsteigt, um dann wieder aufzusteigen, in eine Welt, in der längst alle ganz oben angekommen sind. Das klingt auch ein bisschen nach Berlin, so Kreativbranche, Rooftop-Party, Afterpitch, Sunset-Feeling, Life-Work-Balance, Koks und kurze Sätze*. Yuppie, Yuppie, Yeah!
Am Einlass: Werden wir natürlich mit DJs verwechselt und für den Mainact gehalten, was wir gar nicht erst korrigieren. Anderswo gibt’s nur einfache Stempel und unfreundliche Gesichter, hier gibts spätrömische Dekadenz. Weintrauben werden in den guten Plastikbehältern vom Discounter gereicht, man kann sie mit Schnaps und Schokobonbons herunterspülen, bevor man die Dekatanzfläche betritt. Doch der Eintritt ist nicht für jeden oder nur für Verrückte. Wir bekommen einen eigenen Liftboy zur Seite gestellt, der uns erstmal ins Party-Regelwerk einweist als wäre das hier eine Privatorgie für VIPs, very impotent Perverse. Keine Treppenhausnutzung, sagt er, nur Fahrstuhl, keine Handys, keine Fotos, Rauchverbot sowieso und es werden ausschließlich Kreditkarten und Kondomhüllen in platinfarben akzeptiert. Das könnte also das Berghain von Chemnitz sein, nur dass die anderen Clubs mehr so Darkroom sind und das Oberdeck eher Panoramabar.
Location:
Über den selbstgeschreinerten Sofas für je 800000000 Euro thront es also, das Oberdeck, das ziemlich klein ist für eine so große Yacht. Tatsächlich erinnert die Bar an eine dieser Themen-Theken auf einem Donaukreuzfahrtschiff, an der sich wohlbetuchte und gutbehutete Pensionäre zum Frühschoppen treffen. „Wir schaffen Erlebnisse“ prangt als Slogan auf der Homepage, dazu ein Text aus Wörtern wie „edel“, „außergewöhnlich“, oder „Unterschied machen“. Man kann das Oberdeck auch mieten für Hochzeiten, Firmenfeiern, Tagungen oder die bald anstehenden Feierlichkeiten für „Tausend Jahre Re:marx“. Die Dekoration ist sehr vielfältig und dabei wenig geschmackvoll: Ein waldgrünes Moosaik dient als Wandbild und erinnert an ein christlich-evangelisches Gemeindezentrum. Echte Kerzen flackern in handgeschnitzten Särgen, in der Mitte hängt ein Raumtrenner, der aussieht wie diese Bilder, die man damals im Kindergarten aus Transparentpapier gebastelt hat, eine einsame Fusion-Light-Form fürs authänzerische Technofeeling darf natürlich auch nicht fehlen. Es gibt Sofalandschaften mit Ausblick und Stehtische auf denen zwar Schalen mit asiatischem Reiscrackermix, an denen aber kaum Menschen stehen. Das Ganze sieht aus wie eine Mischung aus Uni-Empfang und Afterworkparty im Til Schweiger-Film. Der würde hier jedenfalls sicher auch gerne mal betrunken von der Dachterrasse stürzen, sich dann aber natürlich einhändig retten und im Hintergrund würde was explodieren, der Lulatsch vermutlich, und Lilli Emma Lulatsch Schweiger hätte auch eine Rolle, nämlich als Tochter. Der Rest der Location ist zugegebenermaßen ziemlich geil, also das ganze Glas und die Dachterrasse und natürlich der Ausblick
Der Ausblick: Ist fast wie Berlin, nur besser, weil in der Ferne nicht der farblose Fernsehturm blinkt, sondern der Lulatsch dampft. Es ist der beste Ausblick in ganz Chemnitz, besser als Pegasus-Parkdeck und Mercure-Restaurant zusammen, weil man direkt auf dieses eine berühmte Gebäude guckt, das in der warmen Abendsonne noch viel schöner strahlt als sonst und überhaupt eine Chemnitzer Architektur-Ikone und auf allen Memes zu sehen ist. Außerdem guckt man auf die Reichsstraße und damit endlich mal auf den Kaßberg statt immer nur vom Kaßberg herab.
Die Veranstaltung: Beatconnect, die Party mit dem Fotoverbot, will vieles sein, vor allem eine Mischung aus stylischem Afterwork-Event und Boiler Room. Das DJ-Pult steht deshalb direkt in der Mitte des Raumes und jemand filmt die ganze Zeit, das wird dann irgendwo hingestreamt. Ein Glücksgefühl streamt durch unseren Körper: So muss sich Berlin, muss sich London anfühlen. Die Musik, die gerade läuft, klingt wie Paul Kalkbrenner rückwärts gespielt im Moby-Remix. Einer der Veranstalter versucht uns mit Getränkemarken und anderen dubiosen Schmeicheleien zu schmieren, aber wir sind nicht bestechlich, wir sind Bestecher. So muss sich Zürich, muss sich Fifa anfühlen. „BEATCONNECT ist eine Veranstaltungsinitiative im Bereich alternativer elektronischer Tanzmusik. Beheimatet in Chemnitz – der Stadt, die sich trotz bemerkenswerter Leistungen und Ereignisse im elektronischen Musiksektor nie richtungsweisend etablieren konnte“, sagt der Pressetext. Beatconnect baut deshalb viel um die Veranstaltungen drumrum: Dreht Künster-Interviews im Treppenhaus vor der postindustriellen Ziegelwand oder auf dem Dach mit echten Platten im Hintergrund, stellt Sets online und so weiter, wie man das halt macht. Das ist zwar gut gemeint, wirkt aber letztendlich wie Großstadt gewollt und doch nur Provinz gekonnt.
Publikum: Gäste, die hier normal sind, hätten in der Spinnerei oder anderswo Hausverbot oder würden zumindest komisch beäugt. Von den oberen Zehn der Stadt ist nur einer da. Er steht auf der Dachterrasse, trägt einen absolut vorbildlichen Anzug und mit Gel zurückgeschmierte Haare. Die anderen tragen karierte Brauclub-Hemden, die angesagtesten Camp-David-Kapuzenpullover und pinke Abiballkleidchen. Die Tanzfläche ist voll, die Party gefällt. Also den anderen. Wir stehen draußen auf der Terrasse, heulen misanthropisch den Mond an und überlegen, was genau wir hier eigentlich tun müssten, um rausgeschmissen zu werden.
Preisklasse: Der Eintritt kostet sechs Euro, das ist gut. Das Bier an der Bar kostet vier Euro, das ist Festivalniveau. Der Gin Tonic kostet zwölf Euro, das ist absurd. „Wir wollen hier gerne ein Publikum anziehen, das bereit ist auch mal einen Euro mehr für die Getränke auszugeben“ , sagt der „Barchef“. Oder eben das Doppelte von dem, was angemessen wäre. Uns wird schlecht. Wir spucken die zwölf Euro vom Dach, direkt in die Kaviar kauenden Münder der Reichen und schön Geföhnten.
Die Toiletten: Wer aufs Klo muss steigt im Treppenhaus hinab Richtung Hades. Hier fließt auch der Fluss der Unterwelt, also irgendeine Spülung. Es gibt keinen Fährmann, aber wir geben uns einfach als KlomännerInnen und verlangen fünf Euro pro Klogang, schließlich wollen wir ein Publikum anziehen, das gern auch mal paar Euro mehr fürs Kacken bezahlt. Generell aber fühlen wir uns wohl, hier sind wir Mensch, hier könn’ wir sein. Die Toiletten sehen aus wie begehbare Schränke und das Klopapier ist rosa. Die Urinale im Männerklo sind vollverspiegelt, weil this is where the magic happens. Leuten, die auch eine Spiegeldecke über dem Kingsize-Bett haben, gefällt das.
Fazit: Beatconnect im Oberdeck ist eine Veranstaltung von Yuppies für Yuppies, nur eben ohne Yuppies, sondern mit Leuten, die in Boxspringbetten schlafen und Brauclubkleidchen tragen. Also ganz normalen Menschen, deren Interessen andere Szene-Veranstalter in Chemnitz nicht tangieren oder oft einfach ignorieren. Das erhöhte Yuppie-Ausbleiben ist ein auf einer Yuppie-Party allerdings ein bisschen suboptimal, schließlich wollen die Drinks ja unbedingt zehn Euro kosten. Am Ende bleibt festzustellen, dass Chemnitz wohl nie eine hochgepichte Rooftop-Society sein, sondern immer ein downgetuntes Kellerkind bleiben wird.
Und wie wars da so mit Resteficken?