Wir sind (angehende) Geisteswissenschaftler, Kreative, Freiberufler. Tausend Semester Studium, hundert Jahre Eigenwilligkeit, ohne Zukunft, ohne Geld. Ohne Perspektive führen wir ein wirres Dasein am Rande der ökonomischen Akzeptanz, vereint im Kampf gegen die mörderischen Mechanismen der Leistungsgesellschaft. Diese Sonderform der geisteswissenschaftlichen Umnachtung führt zur fortschreitenden Identifikation mit allem Randständigen und das wiederum lässt unser Herz für Minderheiten schneller, weiter und höher schlagen. Eine solche Minderheit soll heute nun im Fokus dieses im Beschäftigungsmangel wurzelnden Beitrags stehen. Es geht um ein Phänomen, das beim hyperaktiven Internetnutzer mittlerweile etwa so beliebt ist wie Markus Lanz beim Rundfunk-Gebührenzahler: um den Text.
In unserer schnelllebigen Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne der Webuser die einer Eintagsfliege kaum übersteigt, scheint der Text, der langweilige, der konservative, der eindimensionale Text schlichtweg nicht mehr tragbar, eine unpopuläre Randerscheinung, die kaum noch mit glühender Aufmerksamkeit gehuldigt, sondern nur noch mit bitteren Vorwürfen torpediert wird. Denn mal ganz ehrlich – wer liest den Scheiß?
Stattdessen locken Fotos mit Brüsten, Einhörnern und Katzenbabys vor Hubble-Space-Teleskop-Aufnahmen und verheißen Klicks und Shares, Content-Gold, Facebook-Geld. Ästhetisch inszenierte Werbefilmchen, retro-rote Instagramm-Filter-Fotos von Cheeseburgern, Musik, das geht immer. Auch das ist Text (um mal medienwissenschaftliche Verwirrung zu stiften). Wir aber meinen das, was höchstens noch hip ist, wenn man es sich von blonden Psychologie-Studentinnen auf Poetry-Slams vorlesen lässt oder im Rahmen der virtuellen Selbstdarstellung auf 140 belanglose Zeichen komprimiert – Text in Textform. Nicht nur ein Wort, oder zwei, oder drei, oder fünf, nein, viele viele Wörter, bestehend aus Buchstaben, inflationär angehäuft zu einem Müllberg der Zeitverschwendung. Unzählige nutzlose Worte nebeneinander, große, kleine, federleicht und tränenschwer, prosaisch, poetisch,vernichtend, erhaben, bedeutungsvoll und sinnentleert, sinnvoll und bedeutungsleer, einfach nur so, ohne Foto, ohne Youtube-Einbettung, ohne Spotify-Link. Kurzum: Ekelhaft! Das liest doch kein Schwein!
Doch damit sei der Gipfel der Textlastigkeit noch nicht erreicht: Am Donnerstag sandten wir unsere Atomino-Außenkorrespondenten aus, um ihm Rahmen der „Monsters of Borderline“-Lesung mit zwei Männern zu sprechen, die als Musikjournalisten nicht nur täglich mit Text und Elend zu tun haben, sondern die erst kürzlich Text in seiner vielleicht brutalsten Form bewältigt haben – dem Buch. Wem beim bloßen Anblick von so viel Text schon ganz übel und sterbenselend zumute geworden ist, der sollte an dieser Stelle eigenverantwortlich handeln und lieber nicht weiterlesen.
Für alle militanten Hard-Core-Leser folgt nun ein Gespräch mit Linus Volkmann, seines Zeichens stellvertretender Chefredakteur der INTRO sowie Felix Scharlau, dem Textchef des Musik-Magazins, über Gentrifizierung, Chemnitz und den Brühl, Bücher, die Buchmesse, das Schreiben und den Text im Allgemeinen und Besonderen.
Wart ihr schon mal in Chemnitz?
[Felix Scharlau] Ja, ich glaub ich war schon mal da, aber das ist lange her.
Wie sind denn so Erinnerungen?
[Scharlau] Verschwommen. Ich hatte es auf jeden Fall hässlicher in Erinnerung… Fand es eigentlich sehr schön gerade in der Stadt, hat mir gut gefallen.
[Linus Volkmann] Ja, also bei dem Wetter sieht natürlich alles toll aus. Wir hatten jetzt das Gefühl: WOW! So gut sieht’s hier aus!?
Tja, bei dem Wetter sieht selbst Chemnitz gut aus!
[Volkmann] Naja, morgen soll’s ja regnen. Da gucken wir mal, ob sich der Eindruck hält.
Ihr beide seid ja gerade mit jeweils einem Buch auf einer Lesereise namens „Monsters of Borderline“. Linus, wann kommt dein Buch überhaupt raus?
[Volkmann] Das hab ich letzte Woche auf der Buchmesse in Empfang genommen.
Und, war da ein großer Ansturm? Wie war’s denn generell. Hab da gar nicht so viel mitbekommen.
[Scharlau] Ich war auch nicht groß da, weil ich am Abend vorher gesoffen hatte. Aber du warst doch drin, Linus. Erzähl doch mal.
[Volkmann] Ich war zum allerersten Mal auf der Buchmesse. Und es war total furchtbar. Ich dachte: man geht da rein und dann sind da Stände und man entdeckt verrückte Titel und schüttelt ein paar Hände. Aber man muss sich das vorstellen wie das Endspiel einer Weltmeisterschaft – da ist so viel los, man hat überhaupt keinen Platz. Ich bin rückwärts wieder raus getorkelt – also, vor Entsetzen. Und: Nie wieder Buchmesse! Nichts gegen Buch und so – herrlich! Aber man muss sehr viel Geduld mitbringen. Und Sensibilität draußen lassen.
Um was geht’s denn in deinem Buch „Lies die Biber“? Im Teaser zum Buch wirkt es ja nicht gerade so, als hätte das Team, das ihr da organisiert habt, wirklich Bock das zu machen.
[Volkmann] Ich habe schon immer ein kleines Video zum jeweiligen Buch gemacht, auch beim letzten. Aber so was gibt’s ja viel im Internet, man hat irgendein Produkt und das will man mit einem Film bewerben. Letztendlich ist die Aussage aber immer die gleiche: „Mein Buch ist so geil. Kauft das!“ Irgendwie war mir das zu billig, deshalb dachte ich, ich lasse die Leute mal sagen, dass sie überhaupt keinen Bock auf das Buch haben. Dadurch ist der Trailer originell, aber ich hoffe die Leute nehmen das am Ende nicht für bahre Münze und lassen das Buch links liegen.
Also das Buch enthält 13 Kurzgeschichten, mit verschiedenen Figuren, die ich über die Jahre angelegt habe und die sich zum ersten Mal in diesem Buch begegnen. Man muss sich das so vorstellen wie X-Men oder Avengers – Superhelden, die plötzlich zusammen auftauchen, goldige Figuren, die trotzdem im Widerstreit zu den Verhältnissen stehen und die noch idealistische Ansprüche stellen, die leider nicht mehr in der Realität erfüllt werden können.
Felix, „Fünfhunderteins“ ist ja jetzt schon ein Stückchen draußen, sozusagen ein DJ-Tagebuch …
[Scharlau] Genau. Das heißt „Fünfhunderteins – Ein DJ auf Autopilot“ und ist im Oktober erschienen. Bisschen länger her, aber schon noch aktuell. Zumindest kann ich mich noch daran erinnern, wie ich es geschrieben habe. Es handelt tatsächlich davon, dass in der Jetztzeit ein Tagebuch gefunden wird, bei einer Wohnungsauflösung, und das ist das Tagebuch von DJ Moonshine, der Anfang der Neunziger versucht hat, den Weltrekord im Dauerauflegen zu brechen, der bei 500 Stunden lag. Und er muss nun 500 und eine Stunde schaffen. Vor und während des Rekords führt er Tagebuch, einfach um seine Gedanken zu sortieren, stellt dann aber fest, dass er ja nicht nur mit diesem Weltrekord ein DJ-Star wird (das bildet er sich zumindest ein), sondern auch einen Bestseller schreiben könnte und macht dann einen Erlebnisbericht, während er auflegt. Man kann es sich vorstellen: 500 Stunden – das sind drei Wochen. Das alles an einem Ort zu verbringen, mit zwei Stunden Schlaf täglich, ist letztendlich schwerer, als es sich der Protagonist ausmalt. Darin besteht dann auch die Fallhöhe. Im Prinzip ein humoristisch-dramatisches Kammerspiel.
Lest ihr eure Skripte eigentlich gegenseitig? Wie fallen denn da die gegenseitigen Reaktionen so aus?
[Scharlau] Linus hat bei meinem Buch ganz konkret einige unlogische Stellen aufgedeckt – bevor es gedruckt wurde, natürlich. So was passiert. Das ist auch nicht weiter schlimm, innerhalb von einer Viertelstunde konnte ich alles wieder redigieren. Aber mir ist das tatsächlich auch nicht gar nicht mehr aufgefallen, weil man einfach so tief drin ist, dass man bestimmte Sachen nicht wahrnimmt. Und dann geht’s auch oft um Feinheiten. Figurensprache zum Beispiel, die einheitlich werden muss. Das sieht man dann selbst nicht mehr, wenn man sehr lange an einem Text sitzt. Da ist jeder Tipp dankbar. Andersherum habe ich das bei seinem Buch auch gemacht. Schön vom Leder gezogen, immer an die Seite geschrieben „das ist nicht witzig“ und so. Das hilft sehr und wenn man sich kennt und sich vertraut, dann hilft das erst recht.
Was hast du bei Linus kritisiert?
[Scharlau] Ach, ich hab da nichts groß „kritisiert“. Wir arbeiten ja auch bei Intro zusammen und haben auch dort sehr viel mit Text zu tun. Mittlerweile haben wir beide einen sehr, sehr guten Blick für kleine Buchstaben-Dreher zum Beispiel, denn die gehen oft komplett unbemerkt durchs Lektorat, durch alles. Da hilft es, so was so früh wie möglich anzustreichen.
Nimmt man da schon so viel mit aus der Arbeit bei der Intro, als Textchef beziehungsweise stellvertretender Chefredakteur, wenn man dann abends Zuhause sitzt, nach einem Zehn-Stunden-Tag und sein Buch schreibt?
[Volkmann] Natürlich kann man die eigene Kompetenz, die man sich auf beruflicher Ebene angeeignet hat, benutzen, weil letztendlich geht’s ja auch nur um Text. Aber ich nehme das auch persönlich mit, wenn ich andere Zeitschriften oder irgendwelche Werbung lese, da setze ich im Geiste schon mal ein Komma oder bin wieder wütend, weil in einem vermeintlich vernünftigen Feuilleton-Artikel Fehler drin sind.
[Scharlau] Man wird ja oft gefragt: „Wie ist denn so dein Sprachstil?“ oder „Was ist dir wichtig bei Sprache?“ Bevor man aber überhaupt einen eigenen Stil entwickeln kann, sollte man erstmal lernen, grundsätzlich keinen Scheiß zu schreiben. Wenn man sich viel mit Texten auseinandersetzt und eine Idee davon hat, wie man selber welche schreibt – egal ob es journalistische Texte oder Romane sind – dann muss man sich auch mit den vielen, ganz grausamen Beispielen beschäftigen, die einem nicht gefallen. Da sollte man sich konkret überlegen: was gefällt mir daran nicht und warum nicht? Oft sind es vor allem abgenutzte Sprachbilder, also Sachen, die jeder sagen würde, die eben nicht zur Entstehung von gutem Stil beitragen. Wenn man selber beim Schreiben darauf achtet und das alles weglässt, dann ist der Text schon mal auf einem guten Weg. Und dann entsteht vielleicht auch ein eigener Stil, weil kein Mist drin steht.
Zum Beispiel Plattenfirmen-Infos…
[Scharlau] Oh ja, Plattenfirmen-Infos sind ein großer Quell der Freude. Da müsste man auch mal ein Gesamtwerk machen, wo man die besten abbildet.
Würdet ihr eigentlich gerne mal eure Posten tauschen, als Textchef und stellvertretender Chefredakteur? Worin besteht da überhaupt der Unterschied?
[Volkmann] Meiner erscheint wichtiger!
[Scharlau] Linus verdient das Sechsfache.
So unterschiedlich ist das nicht. So ein Laden muss strukturiert sein, es können nicht alle das gleiche machen, das ergibt ja auch keinen Sinn. Ich mache die Endtext-Abnahme, aber das ist auch nur ein kleiner Teil meiner Arbeit. Das meiste von dem was wir machen, ist dasselbe.
[Volkmann] Felix war zuletzt in Elternzeit, weil er sich ein Baby gegönnt hat, weshalb ich den großen Teil seines Jobs mitmachen musste und jetzt weiß ich auch, wovon er redet. Also, Textchef, na ja, das klingt hochtrabend, aber im Alltag wird da auch nur mit Wasser gekocht.
Wie kommt man denn in so einen Verlag rein?
[Scharlau] Also, ich bin über Linus reingekommen.
[Volkmann] Ich bin eben ein Scharnier zwischen Arbeitslosigkeit und Musikjournalismus.
So groß ist Intro jetzt auch aber nicht, gerade in der Reaktion. Wirkt zwar oft so, weil dadurch, dass Intro Sachen wie das MELT!-Festival macht, sind es viele Bereiche, aber gerade das Heft selber, also die Redaktion sind nur ne handvoll Leute, vielleicht noch Grafik und Schlussredaktion. Aber letztendlich sind es gar nicht so viele. Über Praktika kann man da aber tatsächlich fest reinkommen.
[Volkmann] Atomino – wie ist da jetzt überhaupt die Geschichte? Es hieß doch, dass es mehrmals umziehen musste. Ist das jetzt an einem anderen Ort, als zuletzt?
[Re:marx] Ja, das ist jetzt umgezogen. Weil dort, wo es vorher war, an unserem großartigen Brühl – ich weiß nicht ob ihr es damals gesehen habt, bei Artes „Durch die Nacht mit Kraftklub und K.I.Z“., da waren die auch auf dem Brühl. Das ist ein Viertel, direkt hier in der Innenstadt, und das ist komplett verlassen, da wohnen vielleicht noch 20 Mietparteien…
[Volkmann] In der Innenstadt?
[Re:marx] Jaja, in der Innenstadt. Damals, als wir noch jung waren, kurz vor der Wende also, war das eigentlich noch ein angesagtes Viertel. Alles war voll mit Geschäften und jetzt ist das alles leer, mittlerweile. Aber die Letzten, die dort noch wohnen, haben sich trotzdem beschwert. Das war ihnen viel zu laut und nur deshalb musste das Atomino vom Brühl weg ziehen.
[Volkmann] Krass!
[Scharlau] Das ist ja krass!
[Re:marx] Gibt`s solche Probleme in Köln auch, Mieterklagen, Lärmbelästigung?
[Scharlau] Natürlich gibt’s das, na klar. Die Stadt ist durchgentrifiziert. Wie in Berlin, wie überall auch, gibt’s da jetzt auch so einen Viertelsprung. Zurzeit geht’s auf die Schäl Sick, so heißt das. Das ist die östliche Seite vom Rhein, also eben nicht Innenstadt. Früher war es nicht unbedingt begehrt da zu wohnen, mittlerweile sind das aber die Viertel, wo man weiß, da gibt es noch billigen, oder billigeren, Wohnraum – aber es ist immer noch sauteuer. Und da entstehen auch Underground-Clubs und halblegale e.V.s, die Konzerte veranstalten.