Für das größte Chemnitzer Krisengebiet, den Stadthallenpark, gab es schon mindestens genau so viele Rettungsversuche und dabei genauso wenig Hoffnung wie für den CFC, dem zweitgrößten Chemnitzer Krisengebiet.
Doch die Kriseninterventionen der Stadt fielen bisher vergleichsweise dürftig aus: Statt Millionen locker zu machen, straffte man das Alkoholverbot und erwog ein Ballspielverbot, Papa Razzia schickte ein paar Polizisten mehr und durch Busch-Waxing versprach man sich radikal rasierte Kriminalitätsraten. Geholfen hat das alles nichts. Auch unsere zugegebenermaßen brillanten Vorschläge vom Vorjahr wurden von allen ignoriert, außer von der Kellnberger Family. Deren Familienoberhaupt hat sich unseren Tipp „Versteinern“ zu Herzen genommen und wollte die lästige Grünfläche einfach wegbetonieren: Einkaufspassage, Parkhaus, 5000 Quadratmeter Großstadtflair. Der Stadthallenpark war versetzungsgefährdet, stand kurz vor der Abschiebung zur Johanniskirche und bekam im Winter auch noch Crime-Konkurrenz von der Zentralhaltestelle. Doch dann hat die Stadt das kriminalitätsfreie Gütesiegel „Europäische Kulturhauptstadt“ erfunden, eine Art Harz IV für imagelose Städte — der Park darf bleiben und wird vermutlich bald derart mit Subventionen gefüttert, dass der CFC ganz roter Bulle wird vor Wut.
Weil die Stadt in den kommenden Jahren zeigen muss, was sie kann und nicht ist, hat sie gemeinsam mit der hauseigenen Veranstaltungsmarke C3 jetzt schonmal damit angefangen und sich in ihrem Garten Ekeln etwas Kultur angepflanzt. Das ganze heißt Parksommer, hat zur Enttäuschung vieler SUV-Fahrer und Kelly-Fans aber nichts mit freien Frischluft-Stellplätzen zu tun. Trotzdem ist es eine schöne Idee: Von Ende Juni bis Ende Juli fanden jeden Tag außer Montag Konzerte, Hörspiele und Slams statt. Jeder Tag hatte sein eigenes Genre, es gab Bier, Burger von Tillmann’s und einen Becherpfand von zwei Euro, um etwaige Umweltverschmutzungen zu vermeiden. Es gab verregnete und sonnige Tage, Klassik, Jazz und Schüft. Und es gab Yoga und Qi Gong, um den Stadthallenpark und die von Selbsthass zerfressene Chemnitz-Seele endlich von schlechten Energien zu befreien.
Natürlich haben wir von re:marx das von der Freie Presse einst zur No-Go-Area für Frauen erklärte Feuchtgebiet peripher gestreift, um uns einen Eindruck zu machen. Der fiel tatsächlich generell positiv aus, weil das Publikum entspannt und divers war und die Bühne nach Bauhaus aussah, so als hätte sie Kandinsky selbst gezimmert. Und weil es am Ansatz, die Innenstadt durch Kultur aufzuhübschen, nichts auszusetzen gibt — außer der Frage, warum man dafür ein Crowdfunding braucht, wenn man doch Sponsoren wie eins energie und die Volksbank hat. Es sei denn, eins energie hat schon zu viel für den Krisenbruder CFC gespendet und jetzt nur noch Kugelschreiber mit siebenfarbiger Wechselmine in den leeren Taschen. Jedenfalls: Gute Idee, trotzdem gehen wir jetzt über zum obligatorischen Bashing-Teil, das hat was mit unsozialer Erwünschtheit zu tun, und weil es von uns erwartet wird, liefern wir zuverlässiger als die DHL.
Wir waren, wie gesagt, zweimal dort. Beim ersten mal tobte am Ort des Messergemetzels gerade das „Wortscharmützel“ — übrigens das erfolgreichste Park-Format mit einem Spitzenwert von über 800 Besuchern. Poetry Slams in Chemnitz sinde ja ein Abgefakt-Thema für sich. Aber Befindlichkeits-Pseudo-Lyrik in die laue Parksommernacht flattern zu lassen, während am Brunnen nebenan drei besoffene Julia Engelmanns „Halt die Fresse“ grölen, hat auch Stil. Vielleicht ist das hier schon die Gentrifizierung im Kleinen: Die sozial Schwachen müssen von der Wiese weichen, sie werden vertrieben von der Stadt, damit das elitäre Bildungsbürgertum hier egoistische Gedichte über seinen Konsumweltschmerz aufsagen kann.
Das andere mal war eine Yoga-Veranstaltung. Natürlich. Wo Fitness ist, ist re:marx immer ganz weit weg, außer re:marx hat mal wieder die Diagnose Chemnitz und muss zur Kur. Ein Sportkurs im Stadthallenpark ist wie eine Kur auf dem Oktoberfest, und weil der Stadthallenpark ein düsterer Ort ist, über dem die grimmige Wolke der Kriminalität schwebt wie Drohnen über dem Hindukusch, haben wir uns für die beste aller Veranstaltungen entschieden: Lachyoga. In der Chemnitzer Innenstadt, für „gute Laune im Stadthallenpark“. Chemnitz – die Stadt, die Satire-Blogs überflüssig macht und doch einen hat. Tatsächlich bildet sich an einem Sonntagabend im Juli dort ein Happy-Kreis, der sich an den Händen hält und neue Anfeuerungsmethoden für den CFC einstudiert. HoHoHo, HeyHey. Dann schütteln sich die Teilnehmer gegenseitig die Hände und lachen dabei ein lautes HAHAHA, bevor sie sich selbst „ein armes Würstchen“ nennen und dafür auslachen. HUHUHU HIHIHI. So ähnlich muss es aussehen, wenn jemand mit ausgeprägter Sozialangst irgendwohin geht, wo er Leute begrüßen muss. Ringsherum sitzen Menschen, auch wir, und gaffen sensationsgeil wie die TAG24-Redaktion. Auslachyoga im Stadthallenpark. Sieht aus wie viel Schmerz, fühlt sich auch so an.
Wird Zeit, dass der Herbst kommt.
Wobei der ja diese Woche direkt in den Park eingezogen ist: Gleich nach Ende der kulturellen Aufräumaktion verkündete die Stadt, dass Polizisten in sogenannten „verrufenen Orten“ – den „Lost Places“ der Polizei – ohne Anlass kontrollieren dürfen. Wir können die Herbstrepression von weiten schon fühlen. Sie riecht nach Schnaps, Melancholie und Regen. Und irgendwie auch ein bisschen nach Racial Profiling.
Dafür gibt es frei nach dem Belohnungsslogan der Lachyoga-Jünger ein: sehr gut, sehr gut, yeah.