re:marx in Gefahr: Die Akademisierung der Vorstellung, die Gegenwart sei einzig Objekt einer anhaltenden Rationalisierung in Chemnitz.
re:marx in Gefahr: Die Akademisierung der Vorstellung, die Gegenwart sei einzig Objekt einer anhaltenden Rationalisierung in Chemnitz.

re:marx in Gefahr: Die Akademisierung der Vorstellung, die Gegenwart sei einzig Objekt einer anhaltenden Rationalisierung in Chemnitz.

Was macht man mit seinem Leben, wenn man einen eingefleischt-schwäbischen Namen wie Heiner Rindermann trägt? Metzger, Torrero, Tierarzt? Eher falsch. Korrekte Antwort: Man wird Entwicklungspsychologe und liefert steile Thesen, getarnt als empirisch belegte Fakten, aus denen jemand wie Thilo Sarrazin dann einen Bestseller bastelt. Anschließend lobt man im erzkonservativen Kampfblatt FAZ Sarrazins Buch als „[…] eine Art bürgerlicher Kampfschrift für Stabilität und Disziplin, Eigenverantwortung und Leistungsprinzip, Realismus und Pragmatismus, Erziehung und Fleiß.“ Schließlich übernimmt man die Professur an der Uni einer Stadt, wo Leistungsprinzip, Pragmatismus, Realismus und ganz besonders fleißige Arbeit so wichtig sind wie gefühlt nirgendwo anders. Ihr wisst natürlich wovon wir reden: Von der sächsischen Ingenieurshochburg Chemnitz und deren – selbstverständlich – Technischen Universität.

Pragmatismus-Hochburg im Nebel


Bilder auf der TU-Seite zeigen Prof. Dr. Rindermann bei einer Präsentation zum Thema
„Why some nations are so smart? Lessons learned from international intelligence research useful for furtherance of abilities in developing countries“. Im Herbst letzten Jahres erst schrieb er im gesellschaftskritischen Focus-Ressort „Finanzen“ einen Artikel darüber, welche nations seiner fundierten Studien nach eher nicht so smart sind: Nämlich die, aus denen gerade viele ins mega-smarte Deutschland flüchten, wo sie von einigen über-mega-smarten Deutschen mit fliegenden Steinen und Molotowcocktails begrüßt werden. Wir können an dieser Stelle nicht zusammenhängend aus dem Artikel zitieren, ohne dass uns schlecht wird. Es geht unter anderem um eine Neigung zum Inzest (insbesondere von Menschen aus dem „Land“ Afrika) und zur Gewalt (insbesondere von muslimischen Migranten), die vezerrten Wahrheiten von Merkel und Medien, um „grundlegende Kompetenzschwächen“ und „kognitive Fehler im Alltagsleben.“
Jedenfalls löste der Artikel, der, kurzgefasst, behauptete, dass Migranten und Flüchtlinge aus dem arabischen, afrikanischen und südosteuropäischen Raum den westeuropäischen Standard gefährden würden, eine verhältnismäßig kleine lokale Welle aus. Dafür wurde auf Blogs mit Namen wie „islamnixgut“ (Verlinknixgut),  „Politikversagen“, „unzensuriert“ (aus irgendeinem Keller Österreichs) sowie unzähligen „ArschlangweiligesKuhkaff-sagt-Nein-zum-Heim“-Facebook-Seiten geteilt. Unsere Reaktion auf diese eindeutig rassistische Wissenschaft spricht Bände über unsere Toleranzgrenze bezüglich Rassismus und unserer Identität als Leistungsvehikel. In der shakespeare’schen Hitze der aktuellen Debatten und dem daraus entstehenden gesellschaftlichen Klima geht ein rassistischer Professor in Ostdeutschland fast schon unter. Acht von neun Professuren des Instituts distanzierten sich offiziell von dem Text und seiner Aussage.

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Bisher kaum beachtete, vermutlich sozialistische, mathematisch-figurative Kunst im Unigebäude

Europas Werte zu verteidigen klingt halt nicht ganz so nach Hoyerswerda, eher nach Dresden, dennoch trifft er die Deutschen dort, wo es richtig geil wird: Am G-Punkt unserer Maschinenbau-dauergeilen Nation. Bei mathematisch-figuralen Aufgaben liege der Migranten-IQ im Schnitt bei mickrigen 93 Punkten. (An dieser Stelle wollen wir das für viele Leser wenig überraschende Geständnis einschieben, dass der mathematisch-figurale deutsche IQ von re:marx vermutlich nicht mal bei 70 liegt – und trotzdem haben wir es zu arbeitslosen Hipster-Bloggern geschafft, die irgendwas mit Sprache machen.) Die Ingenieure seien damit auf Realschulniveau: Menschen, die unsere schönen Lügenautos bauen, die dann in die Lügenpresse müssen. Deutschland wrackt sich ab.

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Genug Platz für deutsche Lügenautos: Längste Straßenüberquerung Deutschlands in der ältesten Stadt des Universums.

Die großen Enttäuschungen findet man auf der Seite der wahren Humanisten, die fleißig argumentierten, dass man sich sein Recht auf Leben durch Leistung verdienen könnte.
Was bleibt einem da noch anderes übrig, als fleißige literarische Selbstjustiz walten zu lassen, indem man sich persönlich ein Bild vom Delinquenten macht. Nicht ein mal Treppenstufen bis in den dritten Stock können einen abenteuerlustigen von Humboldt/re:marx Reporter von seiner Mission in den Psychodschungel abhalten. Was macht man also mit seinem Leben, wenn man Geisteswissenschaftler oder einfach nur Hipster bei re:marx ist? Man besucht eine mitten in der Nacht, also um 9:15 Uhr, angesetzte Vorlesung von Professor Rindermann und verfasst darüber einen reißerischen Erlebnisbericht, den man mit niederschmetternden Random-Fotos von Chemnitz in H-bis 3D-Qualität verziert. Here we go:

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Hörsaal, Jurassic Park, Folterbank, akademisches Antiquariat – nennt es, wie ihr wollt.

Der Hörsaal ist zu zehn Prozent mit Menschen gefüllt – ich unterstelle diesem offensichtlichen Mangel an Interesse mal einen passiven Widerstand der aussagt: „Ach, der Rindermann ist ein A*. Vor dem wollen wir anderen 90 Prozent unsere Ruhe haben, den Stoff lernen und es hinter uns bringen.“ Das ist aus ökonomischer Sicht verständlich, verdrängt aber unsere politische Verantwortung als Teil der Gesellschaft, Ungerechtigkeiten anzuprangern und Solidarität mit den Marginalisierten zu zeigen. Aus dem Weg gehen heißt leider auch den Weg frei machen.

Trotzdem sitzen fünf Studentinnen in der ersten Reihe: Ordner, die vor bunten Markierungen leuchten wie ein Christopher Street Day in Las Vegas, bunte Post-Its mit Notizen überall. Was gibt es noch über Menschen zu sagen, die in einer Psychologievorlesung in der ersten Reihe sitzen. Mögen sie weiße oder schwarze Schokolade!?

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Mundtot durch Rauchverbot

Ich bin fünf Minuten zu spät, aber typisch deutsch geht die Vorlesung noch nicht los. Zehn Minuten nach Vorlesungsbeginn steht dann so langsam die Technik. Eine Viertelstunde später der große Auftritt. Ein Walkürenritt geht durch den Raum. Rindcore im Hörsaal. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Fahrradhelm mit Regenschutz, ein funktionelles Regenschutzsoftshell-Jäckchen hängt über seinem Stuhl. Die Ärmel seines karrierten Hemdes, das er unter dem Pullunder trägt, wirken wie angesteckt. Er sieht sehr brav und pragmatisch aus. Oder wie jemand, der aus der Jungen Union hinaus direkt ins Top-Management von BMW strebt und dabei mit allen Frostschutzmitteln gewaschen ist.
Es folgt eine subtile Laudatio auf die Entwicklung des Denkens nach Jean Piaget, für den die höchste Entwicklungsstufe die Formal-operationale Intelligenz darstellt. Das passiert, wenn offensichtlich weltfremde Männer Psychologie mit Mathematik verwechseln und unsere Umwelt in logische, ungefühlte, kalte, abstrahierte Muster ordnen.

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Kalte, ungefühlte, abstrahierte, traurige Uni-Umwelt in Chemnitz

Uns wird ein Video vorgespielt, das Versuchsreihen aus den Siebzigerjahren zeigt, in denen Kinder auf den Entwicklungsstand ihres Denkens geprüft werden. Sechsjährige kleine, süße Siebziger-Kinder müssen anhand der Länge eines Pendels bestimmen, wie weit es bei gleichem Impuls schwingt und irgendwas mit Waagen und Gewichten. Die Versuchsleiter sind alle vollbärtige Siebziger-Männer. Als es den Rapist-Look noch nicht gab und Hipster noch true waren. Einer eben dieser Männer trägt ein weißes Hemd und dazu eine bunte Fliege. Diese Rindosaurier sind größtenteils ausgestorben. Hin und wieder überleben sie und stehen dann irgendwo rum und labern drauf los.

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Ein Bus mit Fans des Professors reißt pünktlich aus Dresden an.

Seit wann ist die Psychologie als empirische Wissenschaft an Universitäten zugelassen?
Und wie lang sind eigentlich die Siebziger her?
Das bewegt sich doch irgendwo auf dem Stand von Serge Gainsbourg und dem Culture Club. Man würde jeden für verrückt erklären, der einem einen leidenschaftlichen Vortrag über die Progressivität der Histoire de Melody Nelson hält. Und trotzdem sitze ich hier und muss mit anschauen was 2016 an deutschen Universitäten unterrichtet wird.
Das ist, als würde man mit seinen Großeltern Fernsehen schauen.
Im weiteren Verlauf der Vorlesung wird im Zusammenhang mit dem Fähigkeits-Selbstkonzept viel über Leistung und Erfolg gesprochen. Erst Piaget und jetzt das. Menschen als optimierbare offene Systeme, die nicht mehr sind als die Summe ihrer (Miss-)Erfolge. Das ist so schön tayloristisch. Aber ist ja auch kein Wirtschaftswunder! Das war dann in den Siebzigern auf einmal vorbei und der Arbeitsmarkt umkämpft. Hier wird eine neo-liberale Philosophie der Angst, jemand könnte einem etwas wegnehmen, verwissenschaftlicht und ganz heimlich ein Kompliment auf die tayloristische Optimierung unseres Bildungssystems ausgesprochen, das, bei aller begründeten Hass-Liebe, auf eben jene alte Strukturen zurückgeht, in dem er in seinem Artikel verweist.
Die Preußen als philosophische Schule für unsere heutige supersmarte Bildungselite. Das ist so alt. Da schaut man sich die Pickelhauben und die Schnurrbärte an und sagt: „Krass, das haben die mal getragen?“ Aber wenn es um transgenerationale Paradigmenwechsel geht, fahren wir auf einer Kutsche Pferdescheiße herum.

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So schön sind deutsche Unis.

Wie steht’s denn eigentlich um das Diplom bei den Leuten, die aus den Implikationen der Rindermann’schen Weltanschauung politisches Kapital schlagen? Die es sich erlauben können, Montag 18:00 Uhr so besoffen zu sein, dass diesem Pegel kein Arbeitstag vorangegangen sein kann? Die Nachzüglergeneration der desillusionierten Wende-Ossis mit einem kollektiven Minderwertigkeitskomplex. Alles Ingenieure?

Irgendwie erinnert mich das an meinen Opa Peter, der in Rumänien auf dem Schwarzmarkt mit Mineralien dealt und sich hier über Sozialschmarotzer aufregt, aber das ist zugegebenermaßen nur persönlich. Rindermann zirkelt die ganze Zeit unsicher über das Saalparkett und spricht mit sich selbst. In den Sprechpausen schaut er wie ein Maulwurf in den steilen Vorlesungssaal, um dann wieder im Dialog mit dem Holz zu versinken. (Oder vielleicht doch erst mal’n Bier trinken mit dem?)
Ich bin Optimist – der Herr Professor gibt ein schönes Beispiel für die gesellschaftliche Integration von Menschen ab, die mit acht noch gestillt wurden oder bei ihren Großeltern aufgewachsen sind. Solche Orte wie das Dschungelcamp muss es geben. Unbedingt. Aber jemand wie er, der genauso gut opportunistischer FDP-Politiker oder krampfhafter Hobby-Triathlet oder egal, hauptsache die Leistung stimmt, sein könnte, soll mir zeigen, dass unsere Zukunft sich verbreitern und nicht verengen wird, wenn sie uns zu stummen Gästen in ihren denkmalgeschützten Gedankenhäusern machen?

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*Wegen feiger Impressumslosigkeit zensiert. Könnte alles heißen. Zensur ist eben ein Arschloch.

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