Diese chaotischen Chemnitzer kämpfen ums Conti-Loch.
Diese chaotischen Chemnitzer kämpfen ums Conti-Loch.

Diese chaotischen Chemnitzer kämpfen ums Conti-Loch.

Ein Donnerstag in Chemnitz, ein Tag wie jeder andere auch. Es ist stürmisch; der Wind bläst mir die Sorgen aus dem Kopf. Ich laufe durch die Stadt, bin auf dem Weg zum Sonnenberg. Die finstersten Gestalten der Stadt konzentrieren sich an der Zenti, es riecht nach Alkohol und nach Bratwurst. Besoffene Kids gröhlen den neuesten Avicii-Hit, ein Rudel Senioren schimpft an der Bushaltestelle. Kein Durchkommen, ich bewege mich im Schneckentempo. Alles ist wie immer. Und doch: irgendetwas ist anders. Als ich mich dem Conti-Loch nähere stockt mein Atem. Die Rentner-Rudel an der Zentralhaltestelle sind vergessen, angesichts des Abgrundes, der sich am größten Loch der Stadt auftut. Sicher fragst du dich auch täglich, welchen Sinn diese sorgfältig eingezäunte Grube im Zentrum der Stadt eigentlich hat und welche hohle Abriss-Birne damals für die Entstehung dieser Brachland-Hölle verantwortlich war. Doch dann siehst du den Brühl und hast die Sorgen um’s Conti-Loch längst wieder vergessen.
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Aber heute ist alles anders:  Denn am Conti-Loch hat sich ein Mob gebildet, unzählige Menschen, junge Menschen, vermummte Menschen, wütend und mit blutigen Gesichtern und Dosenbier in der Hand. Im Loch, vorm Loch, überall. „Loch der Schande“ rufen einige von ihnen, andere halten Transparente. „Tittentempel statt Primark-Pisse“ steht auf einem, „Conti-Loch retten, Bernsdorf fluten“ auf einem anderen. Ist das geil. Chemnitz lebt. Ich mische mich unter die Demonstranten, will wissen, was sie antreibt.

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Das Conti-Loch ist letztes Jahr volljährig geworden“, sagt einer von ihnen, ein Student, der nicht erkannt werden will, „achtzehn Jahre Baugrube und nichts ist passiert, nicht mal ein Parkhaus wurde gebaut.“ Achtzehn, mittlerweile sogar schon neunzehn Jahre: Du könntest das Conti-Loch guten Gewissens mit Schnaps abfüllen. Aber warum zur Hölle hat es so lang gedauert, bis die Chemnitzer endlich aus ihren Dornröschenschlaf aufwachen? Erst im März diesen Jahres hat der Stadtrat über die Zukunft des Conti-Lochs entschieden: Einkaufszentrum, Tiefgarage – der Regensburger Beton-Fassaden-Morgul Kellnberger hat die Grube fest im Griff. „Zum Kotzen“, findet das der dreißigjährige Bernd* und öffnet eine Dose Bier. Der Schaum läuft über, wie so vieles in dieser Welt. Das Maß ist voll: „Seelenlose Einkaufszentren gibt`s hier ja wohl mal mehr als genug! Wir fordern eine Investition mit Sinn.“ Dafür stehen diese Chemnitzer mit ihrem Namen – Occupy Contiloch.
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Seit Stunden schon belagern sie das „Loch der Schande“, schafften es in einer gefährlichen Nacht- und Nebel-Aktion in das Loch einzudringen, nicht einmal die vorbeifahrende Polizei konnte die stürmische Revolution aufhalten. Jetzt kampieren sie hier, tagelang, ausgestattet mit dem Nötigsten: Matratzen, Bier, Nahrungskonserven, viel Wut, viel Mut. Hinter Occupy Conti-Loch verbirgt sich dennoch kein blinder Aktionismus, sondern ein Hash-Tag mit Gehalt, ein echtes Movement, versichert mir Bernd. Sie suchen Alternativen fürs Conti-Loch: In den Neunzigerjahren habe es einen kanadischen Investor gegeben, der eine Skihalle ins Loch bauen wollte, aber das Projekt sei gescheitert, leider, wie der Student betont.

07 Ideen für die nachhaltige Nutzung gibt es viele: ein Rummel könnte hier enstehen, oder eine Rotlichtmeile, eine Rodelbahn, ein Flughafen, die größte Starbucks-Filiale aller Zeiten, das neue CFC-Stadion, ein Naturschutzpark. Träumen wird ja wohl noch erlaubt sein und wenn du wirklich willst, dann geht alles, alles außer ein Einkaufstempel und ein Museum.
Mir fällt auf, dass die Besetzer-Gruppe durchweg heterogen, fast schon vollkommen zerfasert ist. Jeder fordert etwas anders, Experten rechnen mit einer baldigen Spaltung in ein konservatives Pro-Parkplatz- und ein linksliberales Pro-Hanf-Plantagen-Lager.

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Gefährlicher Aktionismus am Chemnitzer Conti-Loch

Pandora* ist sauer: „Das stimmt doch gar nicht. Wir ziehen alle an einem Strang. Wir sind die 99 Prozent“, sagt er. In ihm hat Occupy-Contiloch ein prominentes Sprachrohr gefunden, ein aufstrebender Star-DJ, der mehr im Kopf hat als nur Partys, Fame und Chics. Einer, der sich auch mal für seine Stadt stark macht, einer, der auch mal vom hohen Pult hinabsteigt und kämpft. Jetzt steht er da und schreit Parolen in die diesige Frühlingsluft. Es beginnt zu regnen, der Wind weht stärker. Klar käme es aufgrund der Übermüdung, der körperlichen und seelischen Strapazen, die so eine Besetzung mit sich bringt, auch mal zu Differenzen, erklärt er, dennoch sei das gemeinsame Ziel klar: „Die Vorschläge für’s Conti-Loch sind verschieden, aber eigentlich wollen wir hier nur eines, einen Stausee. Oder wenigstens ein Freibad.“ Freibäder statt Fashion-Center? So ungefähr. Bernd lacht und öffnet die nächste Dose Bier: „Oder Freibier statt Freibäder“. Humor ist, wenn du trotzdem lachst.
09Bald soll die Bebauung des Conti-Lochs beginnen. 13.500 Quadratmeter Bürofläche, 21.000 Quadratmeter Parkhaus. Pandora und Bernd werden immer noch da sein, wenn der erste Bagger anrückt. Sie füllen das Conti-Loch mit dem Herzblut der Revolution, mit dem Geist des Widerstands. Aufgeben ist keine Option: Als echter Chemnitzer bist du dafür ohnehin viel zu stolz

 

*Alle Namen von der Redaktion geändert

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