Mal ganz ehrlich. Wer vergangenen Freitag das Sensationsspiel des CFC gegen Mainz 05 im DFB-Pokal verpasst hat, kann nur einen vernünftigen Grund dafür gehabt haben: Die Begehungen in Bernsdorf. In seiner elften Auflage beging das Kunstfestival dieses Jahr vom 14. bis 17. August den Rosenplatz – ein beschaulicher kleiner Park, idyllisch gelegen zwischen Fetisch-Laden und Nutten-Netto. Chemnitz-Kenner wissen, dass Bernsdorf dem Sonnenberg als angesagtes Problemviertel längst den Rang abgelaufen hat. Der Rosenplatz schien deshalb der perfekte verlassene Ort, um Kunst zu kuratieren und Werke zu installieren zwischen der knarrenden Schaukel auf dem Spielplatz und dem kühlen Serbst-Wind, der leise in den Baumwipfeln wehte. Begangen wurde auch die vergangene Edeka-Kaufhalle auf der Bernsdorferstraße, seit deren Schließung nie wieder auch nur ein einziger Edeka-Supermarkt in Chemnitz gesichtet wurde. Aus diesem Supermarkt wurde nun ein Kunstmarkt, weshalb bei den diesjährigen Begehungen grundsätzlich viel über Konsum im Konsum reflektiert werden durfte. Aber kommen wir zum Wesentlichen: zu uns. Re:marx war erwartungsgemäß dabei und überlegte zunächst lange, wie man sich dem Kunst-Konsum am besten annähern könnte, stieß aber schließlich auf etwas, das stets volksnah, simpel und für alle zugänglich ist: Lyrik! [Bzw. das, was man heute gemeinhin für Lyrik hält]. So kroch in unserem Autorenkreis nicht nur ein heimlicher Hobby-Dada-Dichter aus seinem Kreativkeller ans virtuelle Tageslicht, nein wir praktizierten auch die kunstvolle Form der öhm Live-Lyrik, in Echtzeit geschrieben von den Dichten an der MS BEAT Bar, die endlich noch Dichter werden wollten. Die Resultate: Berauschende MSBeat-Poesie über Konsum; Alkohol-Konsum, Wurst-Konsum, Pfeffi-Konsum, Bier-Konsum, Kunst-Konsum. Alle Gedichte der dichten Dichter und ein bisschen visuelle Poesie in Form von Fotos könnt ihr jetzt und hier konsumieren.
„Immer wenn du denkst es geht nicht mehr kommt von irgendwo ein Pfeffi her.“ [Terle M.]
Flora power.
Wodka sour.
Der Jäger ist ein Meister,
meine Zunge schwer
wie Kleister.
White Russian, Renate und Pfirsch,
ich röhre wie ein Hirsch.
Berliner Luft
und Gin
– der Abend ist hin. Über
kurzen oder langen
werde ich mir eine Alkoholvergiftung einfangen.
[Chefin]
12/17
Die Zwölf bitte zur Siebzehn. Kasse 1 wird gleich besetzt. Und plötzlich rennt sie los
getrieben vom Gedanken an das bereits laufende Band, gehetzt von den Erwartungen der Wartenden. In ihrem Kopf kommt sie zu spät: Produkte fallen in Zeitlupe vorne vom Band, die Milchflasche zerschellt am harten, kalten Fliesenboden dieses Supermarktes, der nunmehr ihr Zuhause ist für 8 Stunden am Tag. Die Butter verläuft sich in den Fugen, Heidelbeeren kullern in jede Ritze. Und sie rennt, sprintet, spurtet, hechtet vorbei an den Regalen mit den Kapern, den Oliven, den Pilzen, den Chips, den Limonaden, den Textilreinigern, den Taschentüchern, den Ohrenstäbchen, den Wäscheklammern, zittert sich durch die Kühltheke, rümpft sich die Nase vorbei am Fisch, verzieht keine Miene beim Make-Up. Sie kämpft sich vor zur Kasse, streift die Produkte in den Aufstellern, die Kinder so gern noch mit aufs Band legen. Alles Miniatur, denkt sie, Miniatur-Schokoriegel, Miniatur-Schnaps, Miniatur-Zahnpasta. Alles Miniatur, denkt sie. Miniatur, wie sie die Welt kannte, als sie noch klein war. Miniatur, wie sie, als sie noch zur Schule ging. Miniatur, wie sie, als sie noch nicht auf das Geld dieses Jobs angewiesen war. Miniatur, denkt sie.
Ein Labyrinth aus triefenden Fettpolstern tut sich vor ihr auf. Plärrenden Kinderwagen, Stratosphären von Mundgeruch. Ihre Übung ist ihr Vorteil. Sie schiebt ihren schmalen Körper durch die engen Gassen, die die Wartenden ihr lassen. Ein spaltbreit Luft, die es für den Endspurt zu holen gilt. Nervöse Blicke im Rücken. Kollektives Stöhnen im Genick. Animalisches Gegrunze vor den Augen. Am Ende vom Band die einstudierte 180° Wende, den Kassenschlüssel kramt sie zielsicher aus der linken Hosentasche, automatisiert gleitet er in die anachronistisch vergilbte Rechenmaschine, die mehr Jahre auf dem Buckel hat als sie, mehr Jahre auf dem Buckel als sie und ihre sogenannten Kunden zusammen.
Geschafft. Verschwitzt und außer Atem zieht Sie das erste Produkt über den Scanner.
Die Kasse ist die 17.Sie ist die 12. Endlich vereint. Beeeeeeeeeeeep.
[Dada-Dichter Van Knie]
Von Roster riecht mein Mund so fies
Da nehm ich lieber Gemüsespieß
Verrdammt!
Da war Knoblauch dran
und außerdem ist Ramadan.
[Bratwurstmann]
Ich bin dran.
So dran.
Oh mann.
Platze gleich.
Berste.
Trinke Gerste und Malz
falls –
keiner Nachschlag will.
[Barfrau]
NUTTEN-NETTO
Oh, Nutten-Netto
am Bernsbachplatz.
Orange schimmernde Pilgerstätte
mit Parkplatz aus Beton.
Vor dir, Getümmel sondergleichen.
Getose wie am Meer.
Schreie
in die Helligkeit des Sonntagmorgen.
Aufregung, geölte Kehlen gellen hastig:
Korken um Korken, Kippe um Kippe.
In dir, der überschrittene Zenit
am Flaschenboden der Gesellschaft.
Zartes Lispeln an der Kasse
strenger Atem hinterm Band.
Zwei Welten
vereint nur durch Barcode und Piepen.
Und die ernüchternde Erkenntnis:
Ohne dein Schnapsregal
wäre Chemnitz nur halb so hässlich.
Oh, Nutten-Netto
am Bernsbachplatz.
place to be, place to buy,
place to pee, place to die.
[DaDa-Dichter Van Knie]
poetry, enemy.
we fuck them all.
its not the wonder wall.
people think shit
i’m not proud of it.
kiss my ass.
it’s A farce.
sleep well
& go to hell.
[wütender Bargast]
PUBLI KUM LAUDE
schief
gerade
AHA!!!
oder???
warum gerade
ICH
schief angeschaut werde
obwohl ich gerade hänge
hängt nicht von mir ab.
ab
er
von ihm!
er ganz ohne Haare
ich ganz ohne Farbe
ein Bart rahmt ihn
ein Rahmen rahmt mich
eine Portion Unverständnis
ein Haufen Kopfschütteln
ein maulvoll Besseres zu tun
rahmt uns.
[Dada-Dichter „Van Knie“]
Bringt die Biergarnitur wieder!
tauschhaus
sau muss raus
hallo – bierschen, zwee!
ha ha – oh chefin
oh chef – ha ha
die frau in blau
des rockes pfau
mit alles und trinken!
plopp, so busert es!
kunstverständnis
was kann das sein?
zwei rosa schwein?
durch, nicht nur drüber!
eins bitte noch!
[Barfrau2]
BEGEHUNG ENG
be
geh!
mich!
um
geh!
mich
nicht!
be
geh!
mich!
ENG!
Das Essen tropft vom Zahn des Künstlers,
aufs Weib will er, aufs Kunstwerk Gottes!
Installation gleich Installation der Saat.
Konstruktion gleich Konstruktion der Gemeinschaft.
Inspiration… Failanzeige.
[Dada-Dichter Van Knie]
Alles dabei
In kurzen Hosen tanzen
bei diesen Temperaturen
keine über den Beat
Die auf der Stelle
rennt macht außer Dienst
Bierpause an der Bar
Hinten flattert die
Kunst über dem [unleserlich]
aus Perspektive betrachtet
viel Raum um wenigstens
Inhalte for sale
Kurz mal…anhalten
Pause. Weiterschwimmen
Resale, baby!
ist ein Spaßbad
[Lyrikzeitung]
Echt gute sprüche:
The sun
is not yellow
it’s chicken.
Should I kill
myself, or
should I drink
a cup of coffee!?
Es gibt Systeme
Wie Arbeitgeber?
ich gebe ihm doch keine Arbeit!
[systemkritischer Bargast]
-Kunst Können-
Kunst kommt nicht durch
Können
Kunst kommt
Kann Kunst kommen
Können
kommt
nicht
durch
Kunst!
Was ist eigentlich Kunst
Kunst kommt nicht durch
Please describe your art in one sentence.
[DJ PREGNANT]
Konsumpatrouille (frei nach August Stramms „Patrouille“ –> Original mal googlen.)
Die Werbung feindet
Schaufenster grinst Vorrat
Regale würgen
Truhen Schränke kühlen frostig
Kasse 3
Tod.
is there a chance
to make easy hard?
it’s not easy
to make easy hard
Scheffin, meine Mutt hat angerufen.
Hey Mutt!
[MS BEAT Crew]