In Chemnitz ist alles alt. Wirklich alles. Okay – das iPhone im Apple-Store ist immer auf dem neuesten Stand und auch die Dekoration in der Sachsen-Allee entspricht immer der aktuellen Jahreszeit. Aber ansonsten zieht diese Stadt und der Großteil ihrer Bewohner Fäden. Das gilt auch für die städtische Medien“landschaft“, die man grob auf die Entscheidung zwischen BILD und Morgenpost zum Kürbiskernbrötchen beim Zenti-Bäcker reduzieren kann.
Besonders angestaubt ist aber die Berichtbe… äh. ERstattung des modernsten Chemnitzer Mediums: des Sachsen Fernsehens. Als langjähriger Begleiter sämtlicher Sterbehospize, schon weit vor der Debatte um legale Sterbehilfe als Brücke über den Jordan genutzt und todsicherer Garant für die Verwandlung von Tele-Vision in Tele-Aversion, so kennt man das Sachsen Fernsehen. Neben cineastischen Beiträgen für die Flimmerkisten aller sächsischen Haushalte, hat die in der Carolastraße ansässige Redaktion aber auch in puncto Online-Artikel richtige Hard-Skills. Grundlage für investigative Recherchen zu den neuesten Unfällen auf der Reichsstraße, den Bauarbeiten an Buswendeschleifen und den aktuellen Topsellern beim sächsischen Kartoffelfest sind vermutlich noch mit Faustkeilen auf Steintafeln geschlagene Wortsammlungen, die bei Ausgrabungen direkt neben dem versteinerten Wald gefunden wurden. In Kombination mit dem Humor ehemaliger SED-Funktionäre ergeben sich so wunderbar anachronistische Artikel, bei denen man zwischen jedem Buchstaben die Spinnweben wegkehren möchte. Wir haben uns die Mühe gemacht und diese Schatzkammern des Lokaljournalismus einer gründlichen, re:marxistischen Analyse unterzogen.
Wir präsentieren feierlich:
Das ultimative Wörterbuch von re:marx:
Sachsen Fernsehen – Sprache, die Menschen sprechen
Sprache, die Menschen sprechen – Sachsen Fernsehen
oder anders: Unsere Top Ten der schönsten Sachsen-Fernsehen-Artikel.
10. Für die jüngere der beiden Tatverdächtigen war dies ein ausgemachter Fehlstart in den Freitag, denn sie war gerade 19 geworden. Ein mit ihr durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,66 Promille. Bei ihrer ein Jahr älteren Begleiterin wurden 1,34 Promille gemessen. Ob beide schon ein wenig Geburtstag gefeiert hatten, ist nicht bekannt.
a. Süß, die Frage nach der Geburtstagsfeier. Die Redaktion des Sachsen Fernsehens interessiert sich eben für das Leben der Protagonisten seiner Schlagzeilen. Ob die beiden randalierenden Girlies aus dem Artikel wirklich schon ein wenig Geburtstag gefeiert haben, lässt sich anhand des Alkoholpegels von 1,34 und 1,66 Promille wirklich nur schwer beantworten. Die Polizei fahndet jetzt auf Hochtouren im Bekanntenkreis der Freundinnen, auch der eigens für den Geburtstag gebuchte Clown wird als Zeuge geladen.
9. Die Autofahrer haben den Schock der Temporeduzierung auf der Leipziger Straße noch nicht verdaut, da folgt schon die nächste „Ausbrems-Aktion“:
a. Viele Rentner kennen das. Herzrasen, Schweißausbrüche, schlackernde, künstliche Kniegelenke. Und das ausgerechnet am Steuer eines KFZs. Was ist passiert? Das übliche: Die Stadtverwaltung hat es sich erlaubt, die Geschwindigkeit einer eigentlich mit 50km/h freigegebenen Straße auf 30km/h herabzusenken. Schock. Wut. Trauer. Die Versuchung liegt nahe, den Gichtfuß einfach auf dem Gaspedal zu lassen und ausnahmsweise sogar 5km/h über 50 zu fahren. Aber das wäre ja gegen die Regeln. An sich schon wirklich schwer verdaubar, wird es fast unmöglich weiter zu existieren, erlebt man innerhalb kürzester Zeit eine weitere Temporeduzierung. Kann man nur hoffen, dass das verkalkte Herz nicht auch plötzlich das Tempo reduziert.
8. „Wachmänner“
a. Wenn der Schutzmann ums Eck kommt. Dass die Lokalpresse in ihren absolut unverzichtbaren Berichten über Kleinstdelikte nicht umhin kommt, das Wort „Polizist“ zu verwenden, scheint logisch. Der Fundus an Synonymen aus dem das Sachsen Fernsehen schöpfen kann, entspringt zum Glück einem immer sprudelnden Kreativbrunnen. „Ordnungshüter“, „Schutzmann“ oder „Vollzugsbeamte“ sind da gern gesehene Gäste auf dem Revier. Der hier eingreifende „Wachschützer“ stammt allerdings noch aus dem 18. Jahrhundert und sollte sich lieber dem Regeln des Verkehrs an den Chemnitzer Kreuzungen widmen. Nicht, dass zwei Pferdegespanne ineinandergalloppieren.
7. Chemnitz-Zentrum: Ohne Whisky ins Gefängnis.
a. Tragisch, aber wahr: Das innerstädtische Alkoholverbot gilt auch in den JVAs der Stadt. Das musste der 32 jährige Kleindieb dieses Artikels schmerzlich am eigenen Leib erfahren, als er den eben geklauten Whisky nicht mit in den Knast nehmen durfte. Gut, dass das SF hier den Verbleib der hochprozentigen Flasche geklärt hat, sonst wären sicher böse Leserbriefe von Riko Ranunkel zu erwarten gewesen.
6. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen oder Polizisten beleidigen.
a. Die Moral darf auch im Lokalfernsehen nicht zu kurz kommen. Gutes Futter für den Ratgeber für alle Lebenslagen herausgegeben vom SF bietet auch diese Schlagzeile. Dicht gefolgt von „Eine Handschelle wäscht die andere“, „Es ist noch kein Polizeiobermeister vom Himmel gefallen“ und „Wer andern eine Zelle baut, kommt selbst hinein.“
5. Chamäleon „Das noch nicht ausgewachsene Tier kann fast doppelt so groß werden. Seine Farbe schwankt zwischen Braun und Blau-Grün-Weiß-Braun.“
a. Dass Chemnitz von außen grau und innen viel zu braun aussieht, offenbart sich nicht erst bei einem Blick auf und in die Spielstätte der Himmelblauen. Einer dieser Halunken wird es wohl gewesen sein, der aus dem botanischen Garten jüngst ein Chamäleon stahl. Zur Erleichterung der Fahndungsarbeit gibt uns die Redaktion vom SF detaillierte Farbbeschreibungen des Chamäleons. Neben dessen Hauptfarbe (braun) kann es halt auch Blau-Grün-Weiß-Braun aussehen. Je nach Untergrund versteht sich. Ist ja so ’ne blöde Eigenart von Chamäleons. Zuletzt gesehen wurde das Chamäleon übrigens in der Farbe braun im Heckert-Gebiet und später am selben Tag straßenköter-blond mit rosa Strähne auf dem Sonnenberg. Wer es gesehen hat, sollte sich schleunigst bei den ehemals Grünen, jetzt Blauen melden.
4. „Bei strahlendem Sonnenschein begrüßte Klaus die Parkbahnmaus alle Besucher, die den Weg in den Küchwald fanden.“
a. Relevanz wird beim Sachsen Fernsehen groß geschrieben. Und zum Glück gibt es neben eher kinderunverträglichen Berichten über den florierenden Schmuggel von Crystal Meth noch die News der Parkeisenbahn. Immerhin ist sie der Publikumsmagnet in Chemnitz schlechthin. Aus allen Kontinenten strömen die Menschen herbei, um im Geschwindigkeitsrausch den Küchwalder Fahrtwind zu genießen. Wer Glück hat, bekommt im Vorbeifahren ein plüschiges High-Five mit Parkbahnmaus Klaus (Achtung, heftige Binnenreim-Gefahr). Völlig zu unrecht wird diese Sehenswürdigkeit nur an einer Haltestelle (Ludwigstraße, Linie 21) erwähnt. Wir von re:marx plädieren für eine Neuanfertigung der kackbraunen Autobahn-Sightseeing-Schilder: Chemnitz – Stadt der Moderne und Klaus – der Parkbahnmaus!
3. Spannung pur in der Mechatronik-Arena in Aspach.
a. Wenn Lokaljournalismus zum Pokalpatriotismus wird. Sucht man den CFC in den News des SF wird man mehrfach fündig, schließlich sind Futte, Schland und Gemmniidds Favoritenthemen des Zielpublikums. Wer es an diesem Tag gegen die 17. Mannschaft des VFB nicht in die Mechatronik-Arena nach Aspach geschafft hat, kann sich ja bald im Chemnitzer Prestige-Objekt aka GGG-Arena (Gemnidz, Glatzen, Gleichgesinnte) tümmeln. Der Stolz auf den monumentalsten Chemnitzer Neubau seit der EINS-Jugendherberge kennt keine Grenzen. Auch die ansonsten kaum patriotische Pokalpresse wird hier fußball-sentimental. Minutiös wird über den Baufortschritt des Stadionumbaus informiert, sodass jede Fußballplatzbirne die Verwandlung des „Chemnitzer Wohnzimmers“ zum „Schmuckkästchen“ – nein, zum „Fußball-Tempel“ mitverfolgen kann. Wir fordern lautstark: Sitzheizung für Rassismus! Für mehr warme Ärsche im neuen CFC-Stadion.
2. Puma ausgebrochen
a. Eine Headline vom andern Stern. Wir ziehen ehrfürchtig unseren Hut und geben das Zepter der besten Wortspiele respektvoll ab. Suggeriert diese Schlagzeile doch den gelungenen Ausbüchsversuch eines Zootiers, das der Chemnitzer Tierpark gar nicht beherbergt. Klickt man dann neugierig auf den Artikel, stellt sich heraus, dass es sich um ein Auto handelt, dass von der Fahrbahn abgekommen ist. Marke: Ford, Modell: Puma. Diese Analogie, dieser innere Zusammenhang, diese Lust auf Mehr, die aus dieser Schlagzeile quillt. Fette Props und die goldene Klabusterbeere für Wortspiele geht an den/die RedakteurIn. Überreicht wird die Trophäe im Gehege von Klaus der Parkbahnmaus.
1. Das könnte dein Arbeitsplatz sein!
a. Attraktive Texte entstehen an attraktiven Arbeitsplätzen. Das gilt für die Vice ebenso wie für die FAZ oder den Spiegel. Auch das Sachsen Fernsehen sorgt für die entsprechende Atmosphäre für seine Mitarbeiter respektive Praktikanten. Wir haben ja bereits darüber berichtet. Da auch der lange Leidensweg unseres Redakteurs beim Sachsen-Fernsehen einmal zu Ende gehen muss, suchen die Ex-Kollegen von der Carolastraße inzwischen den 1000ten Nachfolger für die Benzinpreisabfrage der kommenden Woche. Fühlst du dich angesprochen, wenn es um das Schreiben solch exzellenter Artikel geht, wie wir sie dir hier vorgestellt haben? Du weißt nicht, was ein Moped ist, weil du lieber mit dem antiken KRAD zur Arbeit fährst? Bildschirme im Format 1:1 sind genau dein Ding, weil du eh nicht bist 16:9 zählen kannst? Du willst die Karriereleiter steil nach oben steigen und vielleicht sogar einmal an dem Schreibtisch MIT Schreibtischunterlage sitzen? Du freust dich über eine Vergütung von BIS ZU 100 Euro pro Woche, mindestens aber einem blauen Locher am Ende des Praktikums? Dann schick deine aussagekräftige Bewerbung an sachsenfernsehen_yolo_swag@remarx.eu
(jvk)