Eigentlich sollte an dieser Stelle ein reumütiger Überblick über alle wichtigen Geschehnisse der letzten drei Wochen folgen. Doch ausgerechnet jetzt bringt die Homepage der Freie Presse – aber auch nur die – den Browser der Autorin mit jedem verdammten Klick zum totalen Absturz. Die Autorin, die aus irgendeinem Grund heimliche Verbindungen ahnt, deutet dies als ein klares Zeichen für irgendetwas. Natürlich irgendetwas Unheilvolles. Ein Fluch, ein programmierter Akt der Rache oder das symbolische Ende aller Honorarabrechnungen. Deshalb reicht die PoMo diese Woche dann doch nicht über die Bank-Krise, Buzzfeed und die besten Schlagzeilen der MoPo hinaus.
Lange blieb Chemnitz von schlimmen Skandalen verschont: Keine trilliardenteuren Großbauprojekte, keine sagenhaften Spendenaffären, nicht mal einen fetten Korruptionsskandal gab es hier in jüngster Zeit. Stattdessen nur Lärmklagen, gekürzte Kulturgelder, Nazi-Läden und das Nischl-Gate. Jetzt aber ist es soweit. Die Stadt wird erschüttert von der großen „Bank-Krise“. Schuld daran sind die zwei 61.000 Euro schweren Baumstämme, die man als Sitzgelegenheiten vor dem smac platzierte. 40.000 Euro davon gehören der GGG, die unter allen Wohnungsbaugenossenschaften eindeutig den Größten hat, die restlichen 21.000 Euro der Stadt. Nur will jetzt hier keiner mehr Bäume umarmen und schon gar nicht darauf sitzen. Die sind nämlich erstens teuer und kosten zweitens wirklich viel Geld. Steuergeld, versteht sich. Und drittens sind sie total unpraktisch, wie die Morgenpost gerade recherchierte. Nur 44 Zentimeter und damit zehn Zentimeter zu niedrig seien die Bänke, fand eine erprobte und (/weil) pensionierte Testsitzerin im mutigen Selbstversuch mit Maßband heraus. Und so wurden nicht nur Bäume, sondern auch ein vernichtendes Urteil gefällt: „Völlig an der Realität vorbei geplant“, schreibt die Morgenpost und fragt im dazugehörigen Artikel: „Dieser Balken kostet 61.000 Euro! Aber wozu liegt er da?“ Die MoPo hat nachgerechnet: 41.000 Euro für 15 Meter Holz macht – genau: 4066 Euro pro Meter. Eine fast schon satanische Zahl, die auch den Investigativ-Reportern von Stern TV verdächtig vorkam, weshalb sich das Team auf nach Chemnitz machte und – originell wie eh und je – eine Gartenbank nebst Pflanzenkübel vorm Museum aufstellte. Großer Schock vorm Schocken: Jemand hatte dem öffentlichen Raum Leid zugefügt und dabei auch noch Ironie verwendet. „Bank-Krise: Chemnitz am TV-Pranger“, titelte die Freie Presse reißerisch, wurde dabei aber natürlich von der Morgenpost („Bald lacht ganz Deutschland über Chemnitzer Bank-Posse“) übertroffen. Beim Stadtstreicher hingegen konzentriert man sich nicht nur auf Kritik der Kritik willen, sondern bittet bei Chemnitzer Prominenten wie äh, Re:marx um Alternativ-Vorschläge. Hätten wir ja. Sagen wir aber nicht.
Doch als wenn das alles noch nicht skandalös genug wäre, meldete sich nun ein Tischlermeister zu Wort, der bereits im letzten Jahr ein vermeintlich besseres, definitiv aber günstigeres, Bank-Modell entwurfen hat. Eine 22 Meter lange Bank mit Pflanzenkübeln in Edelstahlgefäßen und variablen Sitzlehnen für nur 28.662,58 Euro. Die unbrauchbaren Baumbänke seien ein Rachefeldzug der scheidenden Baubürgermeisterin Ricola Ranunkel gewesen, vermutet der Tischler. Diese habe das damals im Alleingang entschieden. Jetzt hilft vermutlich nur noch der Bank-Rettungsschirm der Bundesregierung. Und das alles nur, weil die Chemnitzer nicht ordentlich wirtschaften können.
Bei Stern-TV jedenfalls plant man gleich eine Sondersendung. Leider nicht über Chemnitz, sondern nur über die Verschwendung von Steuergeldern. Hach ja: Kleiner Mann, was tun? Eine Zuschauer-Nachricht an das Sachsen-Fernsehen schreiben, zum Beispiel – das scheint nämlich die neue Plattform für heimlich Empörte zu sein. Wir zitieren: „Die Holzbänke müssen nun permanent ausgespült werden und werden bedauerlicher Weise dem Vandalismus schneller zum Opfer werden wie uns allen lieb ist. 60.000,00 Euro an Steuergelder fanden auch hier als verschwendete Steuergelder einen Sumpf an Verschwendung.“
Jawohl!
Neulich hieß es irgendwo, ein neuer Trend unter Reise-Journalisten sei, über Orte und Ziele zu schreiben, ohne jemals selbst dort gewesen zu sein. Das ist nicht nur super-praktisch für Leute mit Flugangst, sondern dank Google Earth, Flightradar und Octulus Rift auch ziemlich unkompliziert und absolut bequem. Zudem fördert es die Fantasie. Von der journalistischen Integrität mal abgesehen, aber die ist ja eh längst im Arsch. Buzzfeed, das neue Flaggschiff in Sachen seriöser Online-Journalismus, Cat-Content und Schnell-Ficker-Texten, hat jetzt Chemnitz bereist. Also, virtuell natürlich. In „23 Gründe, niemals nach Chemnitz zu fahren“ listet man 23 herrliche, von Flickr geklaute Fotos mit unpassenden, tristen Bildüberschriften auf, um zu zeigen, wie grausam Chemnitz wirklich ist. Mit so viel Ironie können selbst wir nicht umgehen. Jedenfalls, hat die Freie Presse jetzt herausgefunden, handelt es sich bei dem Autor um einen Wahlberliner, der Kraftklub mag – und der noch nie in Chemnitz war. Dass er die Parkeisenbahn als einen Grund für keinen Besuch nennt, zeugt dennoch von beeindruckend präziser Arbeit.
Über das derzeitige Lieblingsthema der Chemnitzer, „spontane Partys“, hatten wir uns ja bereits in der letzten PoMo ausführlichst ausgelassen. Jetzt hat die Stadt das langersehnte Eilverfahren für „spontane Partys“ also endlich offiziell zugelassen und damit weltweit ein Exempel in Sachen Urbanität statuiert.
So hip ist Chemnitz (neuerdings auch Hipnitz genannt): Feiern darf man an vier vorgegebenen Plätzen, und zwar auf dem Hartmannplatz sowie den Grillplätzen am Uferpark, im Stadtpark und im Park Kappel. Dort dürfen dann aber nicht mehr als 300, auf dem Hartmannplatz immerhin 500, Leute kommen und länger als bis 22:00 Uhr feiern dürfen sie auch nicht. Für die Nutzung der Plätze werden Gebühren erhoben. Die Musik darf nicht lauter als 70 Dezibel sein. Der Verkauf von allem ist tabu. Die Veranstaltung muss man mindestens 48 Stunden vorher und spätestens bis Freitag 12 Uhr beim Ordnungsamt anmelden. Dafür gibt es ein Anmeldeformular auf der Homepage der Stadt – und damit ihr wisst, wie das funktioniert, haben wir mal eins für euch zur Veranschaulichung ausgefüllt: formular_spontanparty
Was sonst noch geschah:
Stuntman Paul Fischer brennt für die neuen Schlüpfer von Bruno Banani. Der Osten und die Nazis: Eine lange Leidensgeschichte, an der auch Chemnitz nagt. Als wären die Blaue Narzisse, diverse Nazi-Läden, Cegida, PC Records und Old School Society Gesinnungsgenossen nicht schon genug, wird jetzt auch noch Nazi-Raubkunst in den Kunstsammlungen vermutet. Peter Maffay hat den Veilchen-Violetten einen Song gewidmet: „Der Himmel weint“ soll, nun ja, beim Abstiegskampf helfen, obwohl es scheint, als würde das einen Abstieg eher befördern. Die Himmelblauen hingegen weinen nicht: Erstens haben sie am Mittwoch natürlich das Sachsenpokal-Finale gegen die äh Atlètico-Madrid-Farbenen gewonnen. Und zweitens braucht man hier Petter Maffay gar nicht, denn Chemnitz kann Kaisermania.
Zum Finale noch ein Dialog, der sich genau so vor langer Zeit zwischen zwei Freundinnen der Autorin ereignete:
Fragt die eine: „Wenn du dir einen großen Traum erfüllen könntest im Leben, welcher wäre das?“
Sagt die andere: „Ich würde zu Apassionata gehen und dort alle Pferde erschießen.“