Sonnenberg vs. Kaßberg: Das Duell der Hoods im Faktencheck.
Sonnenberg vs. Kaßberg: Das Duell der Hoods im Faktencheck.

Sonnenberg vs. Kaßberg: Das Duell der Hoods im Faktencheck.

Ausgerechnet vorm Nischel und ausgerechnet an diesem sonderbar hitleresquen Datum (18/08/18), schwenken am Samstag ein paar braunverbrannte Trottel mal wieder eifrig ihre Reichsfahnen und demonstrieren dafür, endlich ungehemmt „deutsch und stolz“ sein zu dürfen. Die wirklich wichtige Frage aber wird nebenan im Stadthallenpark geklärt: Sonnenberg und Kaßberg kämpfen gemeinsam gegeneinander in einer historischen Wasserschlacht um die Chemnitzer Vorherrschaft und zeigen den Nazis, wo und wie sich eine Spaltung der Gesellschaft wirklich lohnt. Sojalatte gegen Sterniflasche, Großbourgeoisie gegen Arbeitermentaliät, Onkel gegen Loko, Bonzenedeka gegen Assinetto, Firstworldprobleme gegen Problemviertel, kurz: Kaßberg gegen Sonnenberg. Ihr wisst nicht, auf welcher Seite ihr dabei stehen sollt? Wir haben beide Stadtteile für euch auf essentielle Chemnitz-Kriterien wie „Ringbushaltestellen“, „Inszenierungspotenzial“ und „Kriminalitätsrate, gefühlt“ faktengecheckt. 
Eingang: Auf den Sonnenberg geht man viral durch einen dunklen Fußgängertunnel, der im Volksmund liebevoll Bazillenröhre genannt wird, weil man sich dadrin so schnell anstecken kann mit Chemnitz und mit Kriminalität. Die Bazillenröhre wäre in jedem finsteren deutschen Krimi ein zentraler Schauplatz: Für Verbrechen, für Verfolgungsjagden mit Nick Tschiller, für Drogendelikte oder für quälend lange Angstszenen. In Chemnitz ist sie wahlweise eine No-Go-Area für chronisch besorgte Tag24-Leser, eine Pilgerstätte für Kraftklubfans oder ein  potenzieller U-Bahn-Schacht für alle 2025-Visionäre. 
Auf den Kaßberg gelangt man nur über die Kaßbergauffahrt — wie bei einem alten Adelssitz. Weil die Kaßbergauffahrt derzeit aber restauriert wird, kommt man weder auf den Kaßberg rauf, noch vom Kaßberg runter, weshalb der urbane Adel quasi im goldenen Käfig festsitzt. Die Kaßbergauffahrt ist deshalb aber nicht weniger gefährlich: Wer sie mit dem Bus runterfährt, ohne sich manisch am Rollator festzuklammern, könnte auch genauso gut ohne Fallschirm Fallschirmspringen. Offizielle Alternative zur Kaßbergauffahrt ist übrigens die aaltra-Treppe — eine Art Freiluft-Bazillenröhre, nur viel viel anstrengender.
Fazit:  Die Bazillenröhre hat mehr Streetcred als jeder Citytunnel – 1:0 für den Sonnenberg. 

Ruf: Der Sonnenberg gilt als soziales Problemviertel, der Kaßberg als Firstworldproblembezirk. Während der Sonnenberg einer der arbeitslosesten (12,6 %) und damit auch ärmsten Chemnitzer Stadtteile ist, kann der Kaßbürger nachts nicht schlafen, weil er einfach nicht weiß, wie er am nächsten Tag überhaupt einen Parkplatz für seinen 1000 Liter SUV-Jeep finden soll. Über den Kaßberg schreibt die Zeit, er sei das sächsische Paris, über den Sonnenberg die Vice, er sei der neue Nazi-Kiez. Der Sonnenberg gibt sich gern als Arbeiterviertel: Bodenständig und schäbig, hart, aber nicht herzlich, das Chemnitzer Manchester. Der Kaßberg wiederum hat vor allem die Häuser schön und macht generell gern einen auf Chemnitzer Hippie Bohème. Fazit: Aus Manchester kommen zwar alle wichtigen britischen Bands, aus Paris aber kommt die Liebe — klarer Punkt für den Kaßberg, es steht 1:1

Inszenierungspotenzial: Müsste man beide Stadtteile auf genau zwei Schauplätze des Gesehenwerdens herunter brechen, gelänge man an zwei Orte: Die Fassmann-Achse zwischen Augusto und Lokomov und den Kaßberger Kaffeestrich zwischen Haamit und Emmas Onkel.  An beiden Orten inszeniert man sich zwar anders, aber ähnlich intensiv. Während am Kaßberger Kaffeestrich Weingläser intellektuell geschwenkt, Kinder mit tierleidfreier Sojamilch gestillt und MacBooks mit Avocadobutter poliert werden, geht es vorm Lokomov vor allem sonntags darum, möglichst verkatert, dabei aber dennoch kulturbeflissen und super „aware“ auszusehen. Fazit: Beides ist natürlich dämlich. Kein Punkt für niemanden.  


Statussymbole: Der Sonnenberg scheint der Dacia unter den Chemnitzer Stadtteilen zu sein, der Anti-Status-Stadtteil also. Trotzdem trägt man hier Sterni-Dose und Pfeffi-Fahne und manchmal noch viel schlimmere Sachen mit einem gewissen Maß an Würdelosigkeit und traurigem Lokalstolz. Und wenn wir schon mal beim Thema Stolz und Fahne sind: Auf dem Sonnenberg hängen mindestens so viele Deutschlandfahnen am Balkon wie handgehäkelte Öko-Mobilee in Kaßberg-Erkern. Auf dem Kaßberg wiederum zählt vor allem ein dicker Wagen — egal ob prall gefüllter Edeka-Einkaufs-, Gelände- oder Kinderwagen. Auch wichtig: Parkett (unter Fischgrat geht nichts), Yoga-Kurs auf Fortgeschrittenem-Niveau, ein altmodischer Kindername sowie ein Platz im Künstler-Kindergarten „Pampelmuse“. Fazit: Wegen der hohen Deutschlandfahnendichte kann es hier leider keinen Punkt für den Sonnenberg geben. Sonnenberg: 1 – Kaßberg: 2. 

Kriminalitätsrate, gefühlt: Gefühlt kann man den Sonnenberg nur mit kugelsicherer Weste betreten — wenn überhaupt. Der Sonnenbürger posiert gern mit den kriminellen Vibes seiner Hood, verliert sich in Geschichten über brennende Dixieklos, Mether-Stechereien und dem roten Licht in der Nachbarwohnung, inszeniert sich als gefahrenresistentes Getto-Kind. Wenn aber tatsächlich mal Crystalküchen ausgehoben werden, dann auf dem Kaßberg, der Wahlheimat von Walter White. 2016 zählte man dort die drittmeisten Straftaten pro Tag — gleich nach dem Sonnenberg. Das sind zwar meistens nur kleine Kellereinbrüche, über die man sich auf dem Sonnenberg ins Panzerfäustchen lacht, aber der Kaßberg hat einen fetten Trumpf im Ärmel: Genau, die Limbacherstraße. Dort ist selbst Beate Zschäpe schon weggezogen – etwas, was der Sonnenberg nicht von sich behaupten kann. Fazit: Punkt für beide. Sonnenberg: 2 -Kaßberg: 3

Streetart: Stuck und denkmalgeschützte Jugenstil-Schnörkel prägen das Streetart-Bild am Kaßberg, NS und „Nazi Kiez“-Schmierereien die Wände am Sonnenberg. Klarer Punkt für den Kaßberg, es steht 2:4 für den Krassi.


Ringbushaltestellen: Mit beispielloser Courage verbindet der Ringbus die beiden verfeindeten Viertel und gilt nicht umsonst als heißester Anwärter für den Friedensnobelbus 2019. Jeweils fünf Haltestellen können beide Stadtteile ihr eigen nennen: Der Sonnenberg die Sachsen-Allee, die Reinhardtstraße, die CFC-Station sowie Humboldt- und Zietenstraße, der Kaßberg den Stephanplatz, die Kanzler-, Barbarossa-, Henrietten- sowie die Leonardtstraße. Dementsprechend gibt es einen Punkt für beide, es steht 3:5. 

Food: Am Kaßberg dominiert die gehobene Nouvelle Cuisine, zum Beispiel im Onkel Franz oder im Ronnys, am Sonnenberg die einfache, aber ehrliche Straßenküche, die hier viel mehr kann als nur überteuerte Innenstadt-Roster mit Bautz’ner: Falafel vom Libanese, Pho phom Asia-Markt, Pfeffi vorm Netto, Döner an jeder Ecke. Am Kaßberg speist man entweder gutbürgerlich oder kocht Variationen vom Biogemüse aus dem Gemeinschaftsgarten, aber leider fehlt so ein bisschen die kulinarische Diversität — dieser Punkt geht wohl an den Sonnenberg: Es steht 4:5. 

Freiräume: Freiräume sind das wichtigste Kapital der Chemnitzer Kulturellen. Gemeinhin gilt: Der Kaßberg ist dicht, auf dem Sonnenberg ist es noch licht.  Deshalb lassen sich dort die meisten Künstler nieder — in der Hoffnung, tristes Brachland in blühende Kulturlandschaften verwandeln zu können. Aber auch die Eisenbahnstraße war früher mal cool und kriminell und ist jetzt ein spießiges Wohnviertel für Besserstudierte. Fazit: Clevere Chemnitz-Kenner investieren zwar besser in eine Zukunft in Ebersdorf oder Glösa, der Punkt geht trotzdem eindeutig an den Sonnenberg – am komplett durchsanierten Kaßberg gibt es da wirklich nichts mehr zu holen. 5:5.

Touristen: Während der Kaßberg in jedem Chemnitz-Reiseführer erwähnt wird, ist der Sonnenberg nicht unbedingt das Traumziel für Rentnerreisebusse und Abi-Abschlussfahrten, und das obwohl er aussieht wie San Francisco. Allerdings könnte er zum mülltonnenbrandheißen Hot Spot für Dark-Tourism werden, dem neuen Trend für abgestumpfte Backpacker, die schon alles gesehen haben, und jetzt zu den verstörendsten und deprimierendsten Orten der Welt reisen müssen, um endlich mal wieder was zu fühlen. Der Kaßberg hingegen ist so schön, dass hier ständig Kreuzfahrtschiffe anlegen, das sächsische Venedig, das Dubrovnik des Ostens, von Touris überrannt, und auch wenn es nervt, dass alle immer sagen, wie schön es auf dem Kaßberg ist – es ist wirklich sooo schön, also echt schön, wirklich total schön: 6:5 für den Kaßberg. 


Nachtleben:
Nach 22 Uhr gilt vor allen Kaßberger Kneipen generelles Sprechverbot und man darf sich nur noch flüsternd besaufen, sonst klagt der Nachbar. Es gibt keinen Club auf dem Kaßberg, keine Galerien, kein Theater,  kein Corner-Eck, manchmal wundert man sich, warum er überhaupt noch ans Nachtbusliniennetz angeschlossen ist, wäre da nicht das aaltra, aber das könnte man fast schon zur Innenstadt zählen. Nicht oder sehr schlecht ans Nachtbusliniennetz angeschlossen ist übrigens auch das Lokomov, das ist eine Bar mit Programm, und das Tesla gleich gegenüber, das ist ein Club, auch mit Programm. Weiter oben auf der Zietenstraße findet man dann das Komplex, das ist ein Theater, auch mit Programm. Shotglasklarer Programmpunkt für den Sonnenberg jedenfalls. Es steht 6:6 – Endstand! 

Ergebnis: Beide Stadtteile sind überbewertet, unattraktiv und längst nicht mehr angesagt  – die In-Crowd hängt jetzt in Gablenz ab, coole Leute ziehen nach Morgenleite. Es ist dementsprechend auch vollkommen egal, auf welcher Seite ihr am Samstag „kämpft“, Hauptsache ist, ihr seid dabei und zeigt Flagge (CFC, CSD, CVAG)  gegen Nazis.

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