Alle kennen ihn, manche hassen ihn, andere meiden ihn: Der Kaßberg. Für Radfahrer:innen so anstrengend, dass viele die 500 Meter in die Innenstadt lieber mit dem Auto fahren und eine dreistündige Parkplatz-Suche in Kauf nehmen, als sich nur ein Mal mit Schaum vorm Mund und Milchsäure in den Beinen die Kaßbergauffahrt hochzuquälen. Nicht umsonst gilt der Aufstieg auf den Kaßberg als härteste Radstrecke der Welt. Doch wie so oft gilt: Viele Wege führen nach oben. Wir haben sie für euch getestet.
Alpes du Kaß:
Die Kaßbergauffahrt gilt als härtester Berg der Stadt: 28 Höhenmeter, über fünf Prozent Steigung, ein Mythos. Hier wurden Legenden geboren, Busse überholt, E-Roller vor Wut in die Chemnitz geschmissen, „Monster Energy“-Doping-Sünden begangen und vor allem: Fahrräder geschoben. An „Alpes du Kaß“ bzw. am Col d’Ouest sind schon unzählige große Radfahrer:innen aus- oder vom Fahrrad ab- und in den Bus eingestiegen. Von der Theaterstraße aus führt die Strecke über einen brutalen Anstieg mit teilweise bis zu 13 Prozent Steigung zum Plateau Village Danser auf über 300 Metern Höhe. Hier wartet eine Bergwertung der Kategorie 1000. Viele biegen danach direkt zur Siegerehrung ins aaltra ab. Von da aus geht es flach über die bei Sprintern und Low Performern beliebte Rue d’Henriette weiter, es folgen zwei gemäßigte Anstiege über den Col du George Landgraf (75 Meter a 1,3 Prozent Steigung) und den Col du Beau Homme (Hübschmannstraße, 250 Meter a 1,8 Prozent Steigung) auf die Weststraße zur Bergankunft bei Emmas Onkel. Das hat aber zu. Echte Kletterer mit Siegermentalität und Winning Mindset biegen an der Tanzenden Siedlung natürlich nicht ab, sondern fahren weiter auf dem Col d’Ouest, einem langen, zehrenden Anstieg, der nach oben hin allerdings flacher wird. Auch hier wartet eine Bergankunft bei Emmas Onkel, das hat aber leider immer noch zu.
Mont St. Michel
Es soll Radfahrer:innen geben, die lieber drei Mal hintereinander den Mont Ventoux hochklettern würden, als auch nur ein einziges Mal den Mont St. Michel. Der strava-umwobene Michaelberg am westlichen Kaßberg-Rand wird mit seinen mehr als 25 Höhenmetern zwar gefürchtet wie kein anderer, aber dafür ist die Route atemberaubend: Über zwei harte Ansteige mit teilweise bis zu 11,8 Prozent Steigung geht es vorbei an Promi-Friedhöfen und alten Bäumen. In Kleingärten wehen Sachsenfahnen, in Maker-Garagen schrauben „Durch die Gnade Gottes“-Ossis an ihren Simmen. Auch die kurze Abfahrt runter zur Weststraße hat es in sich: Gravel-Abschnitte, Wurzelwege, noch mehr Sachsenfahnen und immer wieder Garagen. Im Rossmann sollte man sich schnell einen Hafer-Riegel und Wundheilsalbe für den Arsch holen, um dann die letzten Meter auf der Weststraße vollends genießen zu können.
Le Puy d’Ermafa
Nicht nur eine der angenehmsten Strecken, sondern auch eine der schönsten — und eine der flachsten. Der Puy d’Ermafa bietet alles: Einkaufsmöglichkeiten, Parkplätze und Parks, Menschen, die vor Kneipen sitzen und jubeln. Er ist hügelig, er ist steil, er ist flach, er ist die perfekte Kaßbergetappe. Nach einem Sprint über den Place d’Hartmann folgt der kurze Anstieg über den Puy d’Ermafa zum legendären Centre Ermafa. Bei einer Rast im Stadler kann man sich heimlich ein neues E-Bike aussuchen, das man seinen überambitionierten Strava-Freund:innen aber lieber verschweigen sollte. Weiter geht’s: Über die herrlich grüne Uhlich-Straße, durch den Parc d’André, wo sich das Kaßbergleben tummelt und auf Picknickdecken Wein trinkt, auf die Henriettenstraße. Von dort aus nimmt man die steigungsarme Rue Eric Mûesam, dann die Rue Walter Oertel bis zum Col du Franz Mehring. Ab hier ist die Strecke eine einzige Triumph-Fahrt: Vorbei an der Weinhandlung, an Theos, an Onkel Franz, an der Haamit — und überall sitzen Fans, die einem zuwinken, auch Bekannte genannt. Außer bei Emmas Onkel.
Col d’Enzmann
Unter dem strengen Blick des Graureihers rollt man zunächst an der Chemnitz entlang und nimmt dann den Kappelbach-Schleichweg bis zur schönsten abgeranzten Platte der Stadt an der Reichsstraße. Dort beginnt der Anstieg hoch zum Col d’Haute, der Hohen Straße. An der Katholischen Kirche, dort wo wahrscheinlich gerade das Patt-Mobil parkt und Peter Patt Würste mit Kretsche grillt, nimmt man einen weiteren Schleichweg: Die Brücke über die Reichsstraße. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick über den ganzen Autoverkehr der Stadt. Weiter geht es über den teils gepflasterten Col d’ Enzmann, dem härtesten Pflaster seit Paris-Roubaix, zur herrlich grünen Rue d’Agricola, dann Richtung Parc du Gerard Hauptmann. Von dort aus sind es nur noch wenige Meter bis zur Weststraße. Was für eine Strecke! Am Ende gewinnt man hier vielleicht nicht die Tour du Kaß, aber die Erkenntnis: Montmartre ist auch nur ein überfüllter Hügel in irgendeiner grauen französischen Stadt.
Col d’Ulmen
Von der Zwickauerstraße aus schiebt man das Fahrrad den Col d’Ulmen hoch bis zum Katzencafé, wo man trotzdem total außer Atem ist und erstmal eine halbstündige Trinkpause machen oder sich am Straßenrand übergeben muss. Vielleicht ist es nur eine Katzenhaar-Allergie, vielleicht aber auch die Erkenntnis, dass der Col d’Ulmen unbezwingbar ist. Aber wie würden die Fabrik-Maker so schön sagen: Radfahren ist nur 50 Prozent Physis, die anderen 50 Prozent sind Mindset. Und das Mindset zwingt sich jetzt noch mal aufs Rad, denn es weiß: Von hier aus geht es nur noch bergab.
Tour d’Honneur über den Champs Élimbées
Die Kaßberg-Ehrenrunde ist fast so flach wie ein re:marx-Witz über die MRB nach Leipzig: Vom Konkordiapark kommend fährt man immer geradeaus auf dem Champs Élimbées, dem auch als „Limbacherstraße“ bekannten Prachtboulevard des Unteren Kaßberges. Das Straßenbild wird vor allem geprägt von Prunk-Supermärkten: Edeka, Rewe, Penny, Lidl, Netto, Hundenetto und noch mal Lidl. Am letzten Lidl biegt man ab auf die Rue Waldenbourg und rollt triumphierend und nur leicht bergan durch Altendorf Richtung Weststraße, Richtung Kaßberg, kurz: Richtung Paris. Und auch: Zur Siegerehrung im Gartenfachmarkt Richter, wo Papagei Felix persönlich die Medaillen verleiht.