Wenn man so will, oder vielmehr, wenn es der eigene Alkoholpegel so will, dann ist das Terminal 3 der Dreh- und Angelpunkt der Chemnitzer Clubkultur, die Partymeile, die der Brühl nie sein wird, die Reeperbahn Chemnitz‘. Na ja, fast zumindest.
Zwielichtige Etablissements muss man zwar woanders suchen und statt anrüchigem Rotlicht strahlte hier lange Zeit nur das liebliche Licht der Sterne, aber Clubs, die Starlight, Stairways, oder Diamond heißen, klingen ja immerhin auch ein bisschen wie Tabledancebars. Stattdessen bietet das Terminal 3 andere hippe Hotspots wie den City Pub, Karls Brauhaus, das Tillmanns, das Mercure (in das man nach einer durchzechten Nacht im City Pub durchaus auch mal dekadent frühstücken gehen kann) sowie die Stadthalle, den wohl populärsten aller Chemnitzer Musikclubs, wo sich Größen wie Florian Silbereisen, die Amigos oder Andrea Berg tagtäglich im Takt beklatschen lassen.
Und dann wäre da noch das Flowerpower, das sich den revolutionären Spirit der Sechzigerjahre auf die regenbogenfarbenen Fahnen schreibt. Ein Konzept, das aufgeht. So expandierte – oder franchiste – sich der Club, der eigentlich eine Musikkneipe ist, von Leipzig aus nach Dresden, Halle, Jena, Magdeburg, ja sogar in totgeglaubte Gegenden wie Ilmenau, Dessau oder Wittenberg. Und nach Chemnitz – wo es sich ungeahnter Popularität erfreut, weshalb sich fast schon eine Korrelation von Altersdurchschnitt der Stadt und Besucherzahl des Flowerpowers vermuten lässt.
„Die Nr 1. in Sachen Rock und Oldies“ oder „Love, Peace and Rock`n`Roll“ jedenfalls sind Slogans, die uns Angst machen. Zu Beginn unserer abenteuerlichen Steinzeitreise war deshalb auch noch nicht so ganz klar, worauf der dafür geopferte Samstagabend hinaus läuft: re:marx in Gefahr oder abgefakt? Am Ende aber ist es dann doch nur ein nüchterner Clubcheck geworden (Finde den inhaltlichen Fehler im Satz und gewinne ein von Bon Jovi handsigniertes iPad):
Ambiente/Licht:
Das Flowerpower verabschiedete sich 2010 von den Bühnen dieser Stadt, wechselte den Besitzer, wurde umgebaut und feierte im April 2011 das große Comeback. Seitdem hat sich der Flower-Faktor enorm erhöht: Die Decke ist komplett abgehangen und als fröhlich grüne Blumenwiese dekoriert, was bei entsprechendem Pegel schonmal ein nicht-schwindelfreies Kopfüber-Gefühl verleihen kann. Kopfüber in die Hippie-Hölle ähm… Höhle, es sollte Höhle heißen, stürzt man hier ohnehin: Retro-Lämpchen, Regenbogenfahnen, psychedelische Muster, Peacezeichen und Pril-Blumen, wohin das überforderte Auge reicht. Üppige Wandmalereien zeigen Menschen, die aussehen wie Elton John als Vietnam-Soldat, Jesus in Iggy-Pop-Gestalt oder Kurt Cobains Bruder.
Das Licht im Flowerpower ist spärlich und gefährlich, so dunkel und warm und stickig wie im Woodstock-Zelt, nur dass hier keiner nackt ist (was grundsätzlich aber auch nicht allzu überraschend wäre)
Die Location wird durch eine Tür zweigeteilt: der vordere Bereich hat tatsächlich Kneipen-Charakter, hier wird geraucht, hier gibt es eine große Bar, stark frequentierte Kicker-Tische, viele kleine Sitznischen. Im hinteren Bereich befindet sich neben einer weiteren Bar auch die Tanzfläche, um die herum Bänke (oder Sitzstufen, auf alle Fälle etwas, das im Wortschatz der Autorin gerade nicht verfügbar ist) errichtet sind, wie in einer Arena. So kann der geneigte GafferIn auf der Empore sitzen und in bierseliger Ruhe hinab auf das leckere Frischfleisch schauen, das sich willig zwischen Präsentier- und Plattenteller im Takt bewegt.
Publikum:
Grundsätzlich erstmal: bunt gemischt und jünger als angenommen.
Hauptsächlich jedoch: In den Nischen sitzen verzweifelte Singles, an der Bar stehen einzelne Männer in Begleitung von Bier und wippen zaghaft mit dem Fuß. Trotzdem trifft man hier hin und wieder auch noch echte Exoten: zwei Rockabilly-Mädchen inszenieren sich auf den Rängen, eine laszive Lederbraut lapdanced für ihre Begleitung, der CDU-Abgeordnete freut sich am Kicker. Am multimedialen Spieltisch (Mensch ärgere dich nicht) sitzen zwei Typen, die so aussehen als würden sie ihre Computer sehr lieben, und schauen sich Oldtimer-Fotos auf ihren Smartphones an. Auf der Tanzfläche sucht man die Euphorie vergebens, abgesehen von ein, zwei verlorenen Paartänzern herrscht hier ratloses Rumstehen – wenn von Stehen überhaupt noch die Rede sein kann. Ein Großteil der anwesenden Gäste schwankt schwer betrunken durch den Raum. Wenn es also das ist, was von der kritischen Haltung der 68er übrig geblieben ist, dann: Prost!
Abschleppchancen:
Für Frauen, die sich eine Nacht komplett ohne Geld um die Ohren schlagen wollen, ist das Flowerpower fucking fantastisch. Die maskuline Großzügigkeit kennt hier keine Grenzen: Männer spendieren Biere und verschwinden dann wieder – perfekt! Ob es andersherum genau so gut funktioniert, konnte leider nicht erhoben werden. Allgemein ließ sich jedoch ein dezenter Männerüberschuss feststellen, was für Frauen mit anspruchslosen Abschlepp-Absichten von Vorteil sein dürfte. Etwa jeder dritte Gast wirkt paarungswillig – ob er dazu angesichts der konsumierten Alkoholmenge aber auch wirklich noch fähig wäre, ist eine andere Frage.
Preis-Leistung/Service:
Der Eintritt am Samstagabend ist, wie fast immer, frei. Dafür herrscht allerdings Abgabe-Pflicht an der gut mit Securities bestückten Garderobe. Die kostet dann einen ganzen Euro, was gerade so verkraftbar ist.
Beim Blick auf die Getränke-Karte stehen wir sofort unter Schock: 5,256 Liter Cuba Libre zum Preis von bisschen mehr als einer Karte für Elton John in Dresden (79 Euro). Das Ganze nennt sich, richtig, „Schock“ und erklärt auch, warum hier so mancher derart schockverliebt agiert. Ansonsten sind die Getränkepreise moderat: Bier vom Fass gibt`s ab zwei Euro (0,3l), Wein und Wodka kosten ab dreifuffzsch, Cocktails um die sechs, Longdrinks vier bis acht, Schnaps zwei bis vier Euro. Des Weiteren kann man aus einem ziemlich großen Rum und Whisky-Angebot wählen oder sich am Wodka-Kirsch-Softeis laben. Highlight: die kostbare Pfeffi-Flasche (22 Euro) kann man sich vertraulich am DJ-Pult zurücklegen lassen, falls man sie dann doch nicht auf Ex schafft.
Wenn das Bargeld für Schockzustand und Pfeffi-Flasche nicht reichen sollte, ist auch Kartenzahlung möglich – das müssen dann mindestens zwanzig Euro sein; wenn der eigentliche Preis darunter liegen sollte, wird der Restbetrag aber bar ausgezahlt.
Absoluter Service-Pluspunkt ist natürlich der Grill vorm Flowerpower, an dem sich der nächtliche Heißhunger mit Roster und Steaks stillen lässt (falls noch verfügbar).
Hygiene:
Über die Hygiene-Bedingungen kann hier nicht viel geschrieben werden. Im „Flopo“ ist es so angenehm dunkel, dass man eventuelle Kotzeflecken oder ähnlich Ekliges ohnehin kaum bemerken würde.
Es gibt nur drei Klos für die Mädchen, die aber nie besetzt sind, dafür aber eine lange Schlange am Männerklo, wo die Pissoirs genau so aussehen. Außerdem verfügen die Toiletten über historisch anmutende Kondomautomaten, denn diese sind schlichtweg D-Mark-fähig. Hier kann man also die für den Fall der Inflation zurückgelegten nostalgischen Notgroschen noch sinnvoll investieren.
Sound/Programm:
Das Programm im Flowerpower ist recht festgefahren: Montag ist Jam-Session, Dienstag Rock-Piano-Nacht, Mittwoch das allseits beliebte Single-Flirt-Karaoke (heißt wirklich so), Donnerstag gibt`s Live-Musik und am Wochenende verschiedene Party-Konzepte, bei denen auf keinen Fall Musik gespielt werden darf, die nach 1984 produziert wurde.
Die Party, die am Samstag steigt, nennt sich Top 100 Party, und präsentiert nicht etwa den heißesten Scheiß aus den deutschen Schlager-Download-Charts, sondern das Beste aus den 60er, 70er und 80er Jahren, gewählt vom Flowerpower-Facebook-Fußvolk.
Der Abend lässt sich musikalisch folglich folgendermaßen zusammenfassen:
Songs, die vorab erwartet wurden:
With a Little Help From My Friends, Hey Jude, The Passenger, Sympathy for the Devil, Stairway to Heaven.
Songs, die tatsächlich gespielt wurden:
With a Little Help From My Friends, Hey Jude, The Passenger, Blitzkrieg Bop, Walk on the Wildside.
Songwünsche, die uns verwehrt wurden:
Purple Rain.
Kurzum: Ins Flowerpower gehen ist wie in der Öffentlichkeit laut RSA hören. Das wiederum führt zu akuten Nostalgie-Anfällen und plötzlich sitzt man nicht nur da und unterhält sich über sein erstes Konzert („Damals bei Joe Cocker…“ oder „Man, was fand ich die Puhdys geil“ oder „dieses eine Stones-Konzert…“ oder „Ich habe andere Kinder ausgelacht, weil sie Modern Talking mochten“), plötzlich fühlt es sich auch an, als wäre man selbst in den Sechzigern aufgewachsen.
Fazit:
Wenn nichts mehr geht, dann geht immer noch das Flowerpower. Immer! Das liegt vor allem an dessen Öffnungszeiten, die sich mit „immer“ eigentlich auch ganz gut beschreiben lassen (Montag bis Samstag von 19:00 bis 5:00 Uhr). Allerdings jagt einem die Vorstellung vom Flowerpower, Sonntag früh um vier, eiskalte Gruselschauer über den Rücken. Man sieht sie förmlich vor sich, die von Rauch umnebelten Zombies, die im Schummerlicht über dem Bierglas hängen. Totgeglaubte leben schließlich länger. Und wer weiß, vielleicht handelt es sich bei diesen Gestalten ja auch um die Geister von Jim, John und Janis – was natürlich geil wäre.
Wenn nichts mehr geht, dann geht immer noch das Flowerpower. Und weil in Chemnitz ziemlich oft absolut gar nichts mehr geht, hat sich das Flowerpower zu einem echten Evergreen etabliert. Das ist aber leider keine Rechtfertigung dafür, den Samstagabend mit Bon Jovi zu verbringen.