Arch-ä-o-logie… Puh… Wem Ornithologie zu beflügelnd und Seismologie zu erschütternd ist, für den wird Schnarch… äh… Archäologie zum heiligen Gral. Jünger dieser Forschungsrichtung finden seit vergangenem Wochenende ihr persönliches Mekka in dem Gebäude, das den meisten Chemnitzern nur als „das Schocken“ bekannt ist. In über zehn Jahren intensiver Planung und Bauarbeiten wurde das ehemalige Vorzeigeobjekt der jüdischen Kaufmanns-Dynastie der Familie Schocken umgestaltet, sodass dort nun das Staatliche Museum für Archäologie (kurz und knackig: smac) sein Zuhause gefunden hat. Die Museumsmitarbeiter haben dabei eine Mammutaufgabe (höhö) bewerkstelligt, immerhin galt es ca. 6000 Exponate zu platzieren, illuminieren und auch in bildungstechnischer Hinsicht näher zu beleuchten. Wir nutzen die spektakulärste Chemnitzer Neueröffnung seit der Enthüllung des Saxonia-Brunnens am Johannisplatz und dem neuen Dönermann Ecke StraNa/Brückenstraße, um eine neue Kategorie bei re:marx auszugraben: den Museums-Check.
Was wir gelernt haben:
Machen wir uns nichts vor. Archäologie ist an und für sich todlangweilig. Ton, Steine, Scherben und natürlich das Highlight, das Chemnitz (siehe Tietz) offensichtlich in ekstatische Verzückung versetzt: versteinertes Holz! Und alle so: yeeeeeeee… Es stellt sich also die Frage, wie man ein angestaubtes Themengebiet wie Archäologie in die (Stadt der) Moderne transferiert. Und hier kann und muss man das smac ausdrücklich loben. Der Besuch im neuen Aushängeschild der Chemnitzer Kulturlandschaft beweist: Archäologie ist mehr als zu Stein gewordenes Zeug. Hauptschwerpunkt liegt auf der historischen Entwicklung Sachsens. Von der Eiszeit, über erste Siedlungsaktivitäten bis hin zum Burgenbauwahn des Mittelalters erfährt man wie unsere direkten Vorfahren (zumindest lokal) gelebt und gewirtschaftet haben. Damit die Wissensvermittlung über prähistorische Werkzeuge und sächsische Siedlungsgeschichte den Besuchern nicht schwer wie ein Stein im Magen liegt, hat man das Ganze noch mit präparierten Tieren und Mythen über den Neandertaler aufgepimpt: Das smac ist ein ziemlich eingängig kuratierter Remix aus Museum für Archäologie, Naturkunde und menschlicher Evolutionsgeschichte.
Wiprecht von Groitzsch, auch bekannt als „Der Ältere“ und damit hervorragend ins demografische Stadtbild passend, hat es uns übrigens besonders angetan. Wer und wann und wo der Mann war mussten wir an dieser Stelle zwar erst nochmal googeln, aber allein der Vorname Wiprecht sollte in Zukunft alle Kevins und Jamies dieser Stadt vom Thron stoßen – bald wollen wir Mütter am Prenzlauer Kassberg nur noch schreien hören: „Wiprecht, bitte lass das sein.“
Wie wir das gelernt haben:
In Szene gesetzt wird die Thematik durch alles, was die aktuellen technischen Möglichkeiten hergeben. Beamer beleben mit Bewegtbildern kunstvoll und zeitgenössisch gestaltete Urzeitlandschaften, die in Form einer Endlos-Leinwand das typische Halbrund des „Schocken“ ausnutzen und so einen Panoramaeffekt erzeugen, der einen durchaus in die dargestellte Zeit zu versetzen weiß.
Unmengen von Scherben werden mithilfe einer Spiegelwand in Szene gesetzt, hunderte Spots rücken jedes Exponat ins rechte Licht und schwebende Bildschirme lassen per Touch (laut Museumsbesuchern übrigens „datsch“) Videos mit nützlichen Informationen zum jeweiligen Themenbereich abspielen. Allgemein sind die Themen sehr interaktiv umgesetzt. An einigen Schaubildern werden wichtige Informationen mit wenigen Sätzen (#bloßnichtviellesenmüssen) per Bildschirm näher gebracht und sind gleichermaßen informativ wie kurzweilig. Besonders gut und in Chemnitz aufgrund mangelnder Internationalität immer noch als seltsames Novum empfunden: alle Texte wurden auch ins Englische übersetzt. Anderswo kann man dank Kameras zum Neandertaler werden und via Play-Button werden 3D-Modelle sächsischer Hügellandschaften im Handumdrehen besiedelt. Alles wurde so haptisch wie eben möglich umgesetzt. Auch wenn noch nicht alle Installationen hundertprozentig funktioniert haben (Audios zu leise, Touchscreens zu langsam), gelingt es durch modernes und technisch aufwändiges Arrangement der Exponate und Schaubilder Langeweile im Voraus zu mumifizieren. So muss Wissen in einem Museum des 21. Jahrhunderts an den Besucher vermittelt werden. Achja: Eine Ausstellung über die Gebrüder Schocken und ihr Kaufhausimperium gibt es auch noch. Witzig. Chemnitz schenkt sich selbst ein Museum über Kaufhäuser. Sachsenallee und Chemnitz-Center sollen bald folgen.
Was Steve Jobs dazu sagen würde:
Apropos Museum des 21. Jahrhunderts: Das Innenleben des Museumsgebäudes lässt die Gegenwart wie die Bronzezeit aussehen. Futurismus wohin das Auge blickt. Hätten unsere intensiven Recherchen nicht ergeben, dass der Chemnitzer Einheitsbrei-Architekt Prof. Dr. Weiße Fläche für das Design des „Schocken“ zuständig ist, man könnte denken, Gene Roddenberry höchst persönlich hätte die Brücke der Enterprise nach Chemnitz gebeamt. Jeder zweite Ausstellungstisch sieht aus wie ein Raumschiff aus Science-Fiction-Filmen der 70er Jahre. Des Chemnitzers Lieblingsfarbe dominiert jede Räumlichkeit und appelliert unterschwellig an seine stadtinternen Vorbilder (Rawema-Haus, Jugendherberge). Auf den ersten beiden Etagen wünscht man sich manchmal eine Sonnenbrille so geblendet ist man vom Alpinaweiß: Kein Wunder also, dass bereits am Samstagabend erste verschworene Theorien laut wurden, beim smac handle es sich in Wirklichkeit um das weltgrößte Guerilla-Marketing-Event von Apple. Steve Jobs jedenfalls wäre stolz gewesen und vermutlich sogar persönlich angereist, um in der nach apple’schen Reinheitsgebot gestalteten Location das neue smacBook Pro und den superstylischen iSmac zu promoten.
Allerdings sollte noch erwähnt werden, dass hier nicht nur das Auge in Mitleidenschaft gezogen wird, sondern auch die Füße an der ein oder anderen Stellen herhalten müssen (Stichwort: Todestreppe). Für kreislaufschwache Nerven sei hier große Vorsicht geboten: Manchmal kann der Fortschritt eben auch einen Fehltritt begehen.
Was das smac von der Zenti unterscheidet:
Über 11000 Besucher konnten sich am Wochenende davon überzeugen, was innerhalb der traditionsreichen Räume durch fleißige Hände in mühevoller Kleinarbeit geschaffen wurde. Lange Schlangen bildeten sich auf dem Stefan-Heym-Platz und von allen Seiten konnte man affige DDR-Bananen-Embargo-Witze hören. Kollektives Anstehen und Warten wird in Ostdeutschland wohl niemals kommentarlos möglich sein, dem Volksgedächtnis und seiner unaufhaltsamen Vererbung an unbeteiligte Generationen sei Dank. Zurückzuführen ist dieser enorme Andrang sicherlich auch auf eine breit gefahrene, gut organisierte Werbekampagne rund um das kleine „a“ in „smac“. Auch über Facebook wurde kräftig und modern die Werbetrommel gerührt. Betrachtet man dort die Fotos vom Eröffnungs-Freitag, kann man sich jedoch nicht ganz sicher sein, ob es sich noch um Museumsbesucher oder doch schon um Exponate handelt. Chemnitzer Mumienpublikum. Beim „Warm-Up im smac“ am Samstag zeigte sich das Besucherbild erfreulicherweise deutlich verjüngt. Eigentlich verwunderlich, wenn die Worte „Archäologie“ und „Museum“ einen Samstagabend gestalten. Aber ausgestopfte Tiere sind eben auch was für die Kleinen, Touchscreens fetzen den „Teenies“ und gefälliger Elektro-Chillout lässt die 30er auf den Sitzwürfeln sitzen bleiben. Neben dem Chemnitzer Ottonormalverbraucher war dem Lounge-Gedanken entsprechend auch das typische Theater-Premiere-Publikum mit Hängeschmuck und Seidenschal vertreten, das bekannter Weise solche Abende nutzt, um sich mal richtig dem Rotwein (oder in dem Fall: Caipirinha) hinzugeben. Der Großteil der Gäste am Samstagabend zumindest schien wie aus dem versteinertem Ei gepellt (Apropos: Was war zuerst da?): So konnte man die sonst so scheuen Artsys der Stadt ungestört in ihrem natürlichem Lebensraum, also auf der Schaubühne der bohèmen Selbstinszenierung, beobachten.
Auch ein paar Störenfriede fanden den Weg ins smac – was wahrscheinlich an der unmittelbaren Nähe zur Zenti und am nicht vorhandenen Eintritt lag. Doch dank des omnipräsenten Sicherheitsdienstes konnten zwei alkoholbedingt verhaltensauffällige Queens of the Stoned Age aus dem umweltgeschützten Gehege des stets vorbildlichen Bildungsbürgertums erfolgreich entfernt werden. Das Problem sollte mit dem normalen Museumsbetrieb und den damit verbundenen Eintrittspreisen behoben sein.
Wieviel man dafür bezahlen muss:
Für das Gebotene sind die Preise absolut fair. Das Proletariat zahlt sieben Euro, ermäßigt vier, und die deutsche Vorzeigefamilie (2xgroß, 2x klein) zehn Euro. Öffentliche Führungen sind im Eintrittspreis inbegriffen. Guter Schachzug: die naturgemäß eher wenig am Thema interessierte Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen unter 17 Jahren kommt kostenlos ins Museum.
Fazit:
Fundierte Recherche untergebracht in aufwändigen, vielseitigen Modellen und Schaubildern mit viel Liebe zum Detail bilden die perfekte Basis dafür, dass das smac auch dauerhaft ein Publikumsmagnet und eine wichtige kulturelle Instanz in Sachsen werden kann. Die große Besucherresonanz beweist vor allem das Interesse an Unternehmungen, die abseits von CFC und dem perfekten Shoppingerlebnis angesiedelt sind. Hut ab an alle Mitwirkenden, Wiprecht von Groitzsch wäre stolz auf euch.
Obwohl ich kein i-pad besitze, keine facebook-Benutzerin bin und – noch altmodischer – meine Rente als Fachfrau für archäologische Museen und Professorin für Archäologie verdient habe, also in euren Augen die perfekte Kandidatin für die nächste „DSDS für (Schn)Archäologie & (Scherbens)Langweilig“ bin: Gratuliere! Superwitziger Kommentar!! Ihr habts echt auf den Chemnitzer Punkt gebracht!!!