Es gab eine Zeit, da war re:marx irgendwie cool. Als man sich noch Blogger nannte und in schlecht gelaunte Anonymität gehüllt auf die brachliegende Chemnitzer Kultur-Landschaft einfiel wie rasant radelnde Sommerfrischler in Marschners Eisdiele, Partys generell lieber mied und Menschenmengen auch. Das war vor „Bleich für immer“, jener Festivität am 22. Oktober 2016, die das hoffnungsvolle Versprechen gab, die Stadt, die längst viel zu fröhlich geworden war, endlich wieder grau zu machen.Plötzlich drehte sich alles.
Nur noch um diesen einen Abend: Die Post der Moderne wurde eingestellt, der Paint-Pinsel beiseite gelegt, das wutblinde Gebashe, das uns einst berühmt gemacht und gleichermaßen ruiniert hatte, verstummte im Veranstalterwahn, der uns mit Walkie-Talkies bewaffnet in burnout-große Funklöcher stolpern lies. Re:marx war unter die Party-Macher gegangen, und niemand, wirklich niemand konnte ahnen, dass das einsiedlerischste Kollektiv seit Misanthropie-Gedenken damit zum Scheitern verurteilt war.
Die Qualität der Texte bewegt sich seitdem weit unter Chemnitzer Grundwasserniveau. Was auch daran liegt, dass es, abgesehen von wenig hingebungsvoll hingekotzten Bildern mit Textbrocken, einfach keine neuen Beiträge mehr gab – beziehungsweise waren diese thematisch so banal wie eine Packung Toastbrot (Stichwort Supermarkt). Lieber suchte man wadenkrampfhaft Leute, die auf der Bühne spontan Yoga machen, diskutierte über DJ-Gagen und mit blauen Mülltüten. Re:marx, der Menschenhasser unter den Partyliebhabern, scheint auf einmal so unkreativ wie das Chemnitzer Stadtmarketing nach drei Punchlines Koks und so überheblich wie CR7 vorm Freistoß eh und je (siehe Abbildungen)
Vor lauter einfältiger Einfallslosigkeit fangen wir jetzt also schon damit an, hier über’s Wetter zu schreiben. Doch was könnte besser zu einem Party-Abend namens „Bleich für immer – Make Chemnitz Grey Again“ passen, als ein grau gepainteter Himmel, der ergiebigen Dauerregen auf die trübsinnige Stadt spuckt. Das Laub, normalerweise romantisch raschelndes Blattwerk, unter das sich kleine Kackehäufen kuscheln, klebt tot am Asphalt wie Roadkill auf einem amerikanischen Highway. Alles sieht wunderbar traurig aus, und das macht uns froh. Party hard, massiver Turn-Up, Chemnitz ist angezündet, oder was man heute eben so sagt, wenn man gute Memes zum bösen Spiel macht.
Doch die Frage, ob man seinen Geburtstag überhaupt großkotzig wie der Große Gatsby in einem Chemnitzer Club voller Unbekannter feiern sollte, wenn man unter schwerer Soziophobie bis -pathie leidet, ist durchaus berechtigt: Es hätte die größte Sozioparty der Stadt werden können. Es wurde die schlechteste Feier der Blog-Geschichte. Wir schulden uns ein abgefakt.
Der Anstoß des Anstoßens: Fünf Jahre re:marx. Das klingt zunächst etwa so beeindruckend wie 500 Jahre Reformation, das 25. Chemnitzer Maskottchen-Treffen, zehn Jahre Rauchverbot oder 22 Zentimeter Zärtlichkeit. Ist in Wirklichkeit aber nur Kindergeburtstag für gut gelaunte Gruselclowns, eine Party ohne Grund zwar, aber belegt mit mehr soziopathologischem Pathos als man „Don’t Look Back In Anger“ singend nach zehn Slopica an der Bar ertragen kann: Pathos, Pop und, naja, früher war mehr Poesie. Unter dem zugegebenermaßen genialen, vielleicht sogar geklauten Namen „Bleich für immer“ versprachen wir den Gästen das Hummus vom Himmel: Lesung der längsten Texte der Blog-Geschichte mit dem ZSKO, Zehn/Kurze Fragen, und zwar live, fünf DJs, Fotowand, Freundesrand und so weiter. Die Zusagen trudelten so sicher ein wie der Größenwahn, der uns spätestens nach dem 21. „Nehme Teil“ befiel, und überhaupt ist „Vielleicht“ das neue „Ja“ und 450 Vielleichts bedeuten vielleicht ja die Weltherrschaft, mindestens aber die Party des Jahres, und definitiv Geld. So viel Geld, dass wir uns davon eine kalte, fensterlose Dachboden-Kammer mit Überwachungskamera in einer halbsanierten Fassmann-Immobilie leisten können, quasi als Status manifestierenden Co-Working-Space, nur bitte ohne das Co-. Mit Dollar-Zeichen in den Augen und unseren Initialen an dicken Goldketten und Videos vom leeren Atomino und der Absicht, das -“marx“ hinter dem „re:“ aus Authentizitätsgründen bald sein zu lassen und durch ein -“ich“ zu ersetzen, betraten wir am Samstagabend das Nikola Tesla, den Ort von Tanz und Arroganz.
Was dann nicht geschah:
400 Leute wollen mit uns feiern und bilden eine lange Schlange, die bis zum Tietz reicht. Der Club ist so voll wie die Zwei vom ZSKO nach der Lesung. Hysterisch weinende Menschen werden nach Hause oder ins Atomino geschickt, prügeln sich um den letzen Platz im Freundesbereich, denn re:marx hat die härteste Tür der Stadt. Irgendwas mit Konfetti. Ein Video wird gezeigt und erschüttert die Gäste in ihren moralischen Grundfesten. Nebel steigt in den Raum, während der erste Text aus dem Off gelesen wird. Die Leute reißen während der Lesung ihre Hände in die Höhe und die Shirts vom vor lauter Alliterationsgeilheit ganz schwitzigem Leib und klatschen wild, als wären sie auf einem Konzert von DJ Bobo. „I like to move it“ erklingt und alle stürmen den Dancefloor als gäbe es kein Morgen mehr. Ekstase beim Tanz. Es gibt kein Morgen mehr. Menschen schmieren sich gegenseitig mit Hummus ein und entdecken dabei ihre längst verloren geglaubte Humanität. Re:marx sitzt derweil vom Fame benebelt backstage und schmeißt mit Scheinen ums Champagner-Glas.
Was tatsächlich geschah:
Zehn Leute kommen zu pünktlich zur Lesung und werden ins Lokomov geschickt. Die Lesung verzögert sich, alle sitzen am Rand, weil es keine Stühle gibt, nach der Pause hört keiner mehr zu, alle reden, während einige wenige tapfer die Kata-Strophen aus der Bullshit-Ballade aufsagen. Zehn/Kurze Fragen mit irgendjemanden, der später gemeinsam mit dem Chemnitzer Conan O`Brien (ZSKO) als besonders exaltierter Tänzer auffällt. Der Club ist nicht mal halb so voll wie die Zwei vom ZSKO nach der Lesung. Karla Mohr entlarvt, den Mann; hinter rem:arx und gesteht dass, sie jedes einzelne. Komma feiert Der, Mann hinter re:marx ist, froh dass endlich mal jemand der offensichtlich Ahnung hat die Genialität seiner Interpunktion würdigt die wie keine andere für Sozialkritik und gegen, Intoleranz steht ?
Die Leute werfen bitterböse Beleidigungen wie „Du Lappen!“ (das knallen wir uns auch bei re:marx immer aggressiv an den Latz) und „Fickfrosch“ in die Trollbox. Der Spiegel auf der Damentoilette fällt ab und wird später im Backstage nicht mal zum Koksen missbraucht. Niemand macht im Rahmen von „Kein Krieg ohne mich“ Selfies gegen Selbstverliebtheit. Gegen vier Uhr kippen zwar noch alle Schnaps, allerdings auch die Stimmung und die gute Laune. Der Mann hinter re:marx fühlt sich so leer wie drei Flaschen Pfeffi nach einem Zehn/Kurze-Interview. Der Shownacktikant glänzt durch Abwesenheit, weil er seinem Namen gerecht werden muss. Der Schnapsmeister zählt mit zittriger Hand Geld und will irgendwann nur noch „saufeeen“. Jäger S. Thomas aka Peter-Paint hatte Recht und schürt Hass mit „Ich hab’s euch doch gesagt“-Tiraden. Re:marx ist trotzdem reich.
Wer nicht der geheime Headliner war: Falko Rock.
Stimmungs-Kurve:
22:30: Beginn Lesung. Erster Gin Tonic. Enyas „Only Time“ läuft. Die Gäste drängen sich ängstlich an den Rand. Vieles geht schief. Aber trotzdem: Unsere Texte. <3. Hihihi. Lustig.
23:50: Lesung läuft immer noch. Zweiter Gin Tonic. Das Publikum wird nervös. Keiner hört zu. Fremdscham und unangenehme Gefühle. Raum verlassen.
01:30: Erstes Wasser. Tanzfläche. Party hard.
02:30: Zweites Wasser. Tanzfläche ist viel zu voll. Mann hinter re:marx viel zu nüchtern. Distanz. Diss-Tanz.
03:30: Warum läuft hier eigentlich „Ich hab Polizei?“ Egal. Party hard.
4:00: Drittes Wasser, zweiter Schnaps. Traurigkeit, Einsamkeit, Leere:
„Na wie läuft’s?“
„Ich fühle mich leer.“
„Eskapismus halt. Die Leute brauchen das. Sich die Birne wegknallen. Wer nicht mit macht, ist immer der Idiot.“
4:30: Bahn verpasst. Schlechte Laune.
4:45: Taxi. #bleichfürimmer. Bett. Depression.
Das wird wohl nichts mehr:
Re:marx feiert die Party des Jahres und muss Leute an der Tür abweisen.
Deshalb hätte man trotzdem da sein müssen:
Selten hätte man dem Mythos hinter re:marx so nahe kommen können, wie an diesem Abend – und doch blieb das Gefühl einer unüberwindbaren Distanz. Auf keiner anderen Party hätte man außerdem besser öffentlich traurig, grundlos wütend oder leer sein können. Oder voll. Längst verloren geglaubte Freundschaften flammten wieder auf. Ein Drink namens Runkel sorgte für Ernüchterung, und trotzdem waren alle betrunken. Es gab Katzenbilder und ein engagiertes Lesungspublikum. Manchmal war sogar die Musik gut.
ihr seid halt einfach scheiße, schön das ihr es endlich selber eingesehen habt