re:marx in Gefahr: Als Reptiloid auf der Esoterik-Messe.
re:marx in Gefahr: Als Reptiloid auf der Esoterik-Messe.

re:marx in Gefahr: Als Reptiloid auf der Esoterik-Messe.

Jedes Jahr zum Jahreswechsel beschließt re:marx überhaupt gar nichts, außer an Silvester kurz vor zwölf ins Bett zu gehen und die Welt zu hassen, aber nicht mal das bekommen wir hin. Und so stehen wir jedesmal doch wieder mit Wunderkerzen an Kaßbergkreuzungen, und nehmen uns fest vor, endlich ein besserer Blog zu werden. Das nennt sich „guter Vorsatz“ und hält meistens genau drei Minuten, dann ist der letze Funke Optimismus schon wieder im Feinstaub verglüht und der Vorsatz liegt zwischen Böllerresten und dem Traum von der eigenen ICE-Verbindung auf dem kalten Boden der Tatsachen. Jetzt ist 2018, und alles soll sich ändern, denn wir wollen bessere Chemnitzer werden und Menschen sowieso. Wir wollen optimaler werden als all die egozentrierten Selbstoptimierer mit ihren Schritt- und Kalorienzählern, Healthgoals und handgepflückten Avocado-Broten. Nein, wir streben nach Höherem: Nach Ganzwerdung — unsere Seele im Einklang mit dem Turmglockenspiel, mit Chemnitz, mit sich selbst. Wir sind auf der Suche nach unserer inneren Mitte, das ist quasi die Zenti der re:marx-Seele: Dauerbebaut, dauergestresst, von Konflikten zerrüttet, von der Stadt überrollt. Wir wollen uns von eins Energien befreien. Wir wollen uns von mehr als nur dem Lulatsch erleuchten lassen. Wir wollen positiver werden.
Wir waren auf der Esoterik-Messe.

Die Chemnitzer Zukunft steht in den Stadthallen-Sternen.

Der Flyer der „Balance&Spirit“, die unter dem Motto „Stärken – Fördern – Lieben“ stattfindet, verspricht eine „Messe für bewusstes Leben in der Stadthalle Chemnitz“. Das reicht ja auch erstmal, um ein besserer Chemnitzer zu werden. Schließlich muss man nicht gleich nach den Zentisternen greifen, wenn man auch eine Stadthallenwabe haben kann. Die Stadthalle war schon immer einer dieser besonders spirituellen Orte in Chemnitz, wo man sich bei parallelweltlicher Volksmusik regelmäßig zum Seelenfrieden schunkeln kann. Der perfekte Ort also, sich selbst wieder ein bisschen näher zukommen.

Es riecht standesgemäß nach Räucherstäbchen und Biosupermarkt, im Hintergrund läuft sanfte Transzendal-Musik, wir schweben durch den Saal wie auf ätherischen Ölen. Hier treffen sich Heilpraktiker und Handleser zum Hokuspokus mit Anfassen. Zwischen Ständen mit Klangschalen, Kristallen und Kräutermischungen machen wir uns auf die Suche nach dem alternativmedizinischen Geheimrezept gegen blockierte

Satzvollendungen.
Erster Stopp, Aura-Stand.
„Hallo, Guten Tag, wir sind von re:marx und würden gern bessere Chemnitzer werden. Können Sie uns helfen?“, fragen wir.
„Dafür müsste ich erstmal eure Aura fotografieren“, sagt die Aura-Frau, die Reinhild heißt, denn Esoteriker müssen immer heißen wie Protagonisten aus Wagner-Opern.
Ein Aurafoto kostet 30 Euro, mit Beratung sind es 50. Dafür bekommt man dann ein schickes  Polaroidportrait, das aussieht wie ein überfiltertes Foto von einem Teenie auf dem Holi-Festival, falls es das noch gibt. Viel Farbe, viel Filter, wenig Inhalt, perfekt für Instagram.

Aura-Fotos von normalen Leuten.

Doch das Aura-Foto kann mehr, verspricht Reinhild, und schiebt uns sanft in die Fotokabine, „es gibt Aufschluss über persönliche Eigenschaften und Begabungen, zeigt wo negative Gedanken wertvolle Lebensenergie kosten.“ Sie drückt den Auslöser, um unseren psychoenergetischen Lebensfluss und unsere feinstaublichen ähm feinstofflichen Farbausstrahlungen realistisch in einem Sofortbild darzustellen. Klick. Sie sieht das Foto. Sie sagt: „Leider kann ich nichts mehr für euch tun“.
Und schickt uns zum Trommelstand.

Aura-Foto von re:marx, von Experten auch „Schwarzes Loch“ genannt.

Am Trommelstand kann man sich für Friedenswanderungen anmelden und organischen Bananen-Dinkel-Brei probieren. „Hallo, Guten Tag, wir sind von re:marx und würden gern bessere Chemnitzer werden. Können Sie uns helfen?“, fragen wir.
„Dafür müsst ihr euch erstmal bei einem unserer Trommelkurse anmelden“, sagt der Trommelkurs-Mann. Dann geht man mit einer Gruppe in den Wald, rupft sich sein eigenes Rehfell zurecht, baut daraus die Trommel, setzt sich in ein Indiander-Tippi und trommelt sich kollektiv die Chemnitz-Wut von der Seele. Entspannt Anspannungen wegtrommeln, Blockaden lösen. Morgen werden wir am Hauptbahnhof für eine bessere Bahnanbindung und für einen Späti in jedem Stadtviertel und gegen drei neue Supermärkte in der Innenstadt trommeln. Vielleicht werden wir dann auch von den Zenti-Indianern in ihren Playbacksingkreis aufgenommen und dürfen gemeinsam mit ihnen zur Fete de la Musique * (imaginäre Accents auf jedem Vokal) auftreten.
„Ist das Rehfell auch vegan?“, fragen wir.
Der Trommelkurs-Mann sieht uns verstört an.
Und schickt uns zum Naturheilstand.

„Hallo, Guten Tag, wir sind von re:marx und würden gern bessere Chemnitzer werden. Gibt es dafür eine schulmedizinische Schutzimpfung?“, fragen wir.  Die Naturheilstand-Frau sieht uns empört an. Und schickt uns zum „12. Chemnitzer Impfsymposium ‚Ohne Impfung — angstfrei leben‘“. „Und ruft am besten sofort das deutsche Impfsorgentelefon an“, ruft sie uns hinterher.

Aber wir sind schon am Handlesestand. Der hellseherische Handleser verkauft auch Steine gegen alles und für erfolgreichere Ausscheidungen. Wenn man mal nicht gut kacken kann, nimmt man einfach einen bunten Mamorstein in die Hand. Und wenn man mal ein bisschen traurig ist, isst man einfach eine Grapefruit zum Frühstück. Das Leben kann so wunderbar einfach sein, wusste schon Julia Engelmann. Hier werden wir endlich eine Antwort finden.
„Hallo, Guten Tag, wir sind von re:marx und würden gern bessere Chemnitzer werden. Können Sie uns helfen?“, fragen wir. „Dafür muss ich erstmal eure Hand einscannen“, sagt der Handlese-Mann, der in seiner Freizeit vielleicht auch gerne Handabdrücke von potenziellen Terrorverdächtigen abgleicht.
Einmal Handlesen kostet zehn Euro.

Handlesen, früher ein mystischer Akt im Räucherstäbchen-Nebel, funktioniert heute so: Man legt seine Hand ins Strahlenfeuer eines hochmodernen 3D-Scanners aus den Neunzigerjahren und bekommt dann einen Zettel ausgedruckt, auf dem alles steht, was man wissen muss. Auf unserem Zettel stehen Sachen wie: „Sie sind ein ehrgeiziger Optimist … und sehr wahrheitsliebend. Manchmal wirken sie dadurch etwas taktlos…. Sie haben ehrgeizige Pläne, streben allerdings nicht nach öffentlichem Beifall…Kultur ist für Sie mehr als ein Hobby..“
Das ist alles so vollkommen wahr, dass wir verunsichert lachen müssen. „Wenn ihr darüber nur lachen könnt“, sagt der Handlese-Mann, „dann ist eure Seele blockiert. Meldet euch doch mal beim Seelenreading an.“

„Was ist das, Seelenreading?“, fragen wir am Seelenleser-Stand. „Da ist man ganz allein mit seiner Seele in einem Raum und kann mit sich selbst kommunizieren und isoliert mit dem wahren Ich in Kontakt treten“, sagt die freundliche Frau vom Seelenleser-Stand. Das klingt nach einem ganz normalen Wochentag im Leben von re:marx. Die 150 Euro können wir uns sparen, sagen wir dann, und die Seelenfrau schickt uns zum Baumurmame-Mann.

Der Baumurmarme-Mann hält gerade einen Dia-Vortrag über die Magie der Bäume — er zeigt das Foto einer alten Frau und sagt: „Das ist eine tausendjährige Linde“. Er zeigt Fotos von Lichtungen und sagt: „Es gibt kein W-Lan im Wald, aber ich verspreche dir, du wirst eine bessere Verbindung finden“. Wir heben die Hand: „Hallo, Guten Tag, wir sind von re:marx und würden gern bessere Chemnitzer werden.“
„Geht raus, kommuniziert mit einem Baum, fragt ihn vorher, ob es okay ist, wenn ihr ihn berührt oder umarmt. Akzeptiert wenn der Baum ‚Nein‘ sagt, denn ‚Nein heißt Nein‘“, sagt der Baumumarme-Mann, der auch #MeToo-Berater für Hashtag-traumatisierte Männer ist. „Ein Spaziergang im Wald kann Wunder bewirken.“

Aber unser Wald, die Allee auf der Reichenhainerstraße, existiert nicht mehr. Unser Wald wurde abgeholzt, unsere Bäume schweigen für immer.
Wir sind ratlos, denn wir sind kein Stück besser und kein bisschen Chemnitzer geworden. Keine Kräutermischung hat bisher angeschlagen. Wir suchen weiter: Es gibt Info-Stände zur Trauma-Bewältigung, aber dafür haben wir ja schon das Blog, es gibt Matten-Yoga und Fitnessstepper, aber Fitness wird nicht umsonst mit SS geschrieben, es gibt Tantra-Massagen und Mantra-Tassen und Geomantie-Seminare. Leute bieten uns an, kostenlos zu testen, ob unser Leitungswasser sauber ist

Am Bücherstand dann das Unvermeidliche: Zwischen dem „Zigeunerquartett“ und „Mondzyklusrezepten“ liegen die rechten Verschwörungsliteraten, die Eso-Nazis mit ihren Hetzschriften gegen Juden, Journalisten und co. Besonders stark vertreten ist Jan von Helsing, der Bestseller wie „Unternehmen Aldebaran“ geschrieben hat, und anderen geschichtsrevisionistischen Scheiß voller eindeutig rechtsdrehender Energien.

Und obwohl die meisten Stände auf der Messe nicht erkennbar rechtsesotrem sind, fühlen wir uns plötzlich fremd, wie Eindringlinge aus einer fernen Welt. Niemand von uns trägt eine leinene Hippiehose oder einen Peruponcho, unsere Haut ist blässlich bleichgrün, das liegt bestimmt an der letzten Nacht im Atomino, die Augen sind müde und schmal, das Haar ist seltsam schuppig, das müssten wir vielleicht mal wieder waschen.
Wir treten an einen Stand, und da steht es schwarz auf weiß, was unser Problem ist und warum wir keinen Weg zur Ganzchemnitzwerdung finden: Reptiloiden steht da. Eidechsen von einem fernen Planeten mit spitzen Schlangenzungen, die als Mensch getarnt aus dem Untergrund heraus eine ohnehin schon fossile Stadt regieren — das kann ja nur re:marx sein. Wir wollen schnell ein Foto von dem Wort machen. „Was soll das?“, fragt passiv-aggressiv der Verschwörer-Mann, „wofür ist das?“. „Nur so.“ „Glaub ich nicht“. „Wir wollten nur die Brille fotografieren“. „Die steht unter Urheberschutz“. „Eine Brille, die unter Urheberschutz steht?“ „Ja genau!“

Wir verletzen bewusst die Persönlichkeitsrechte der Brille und stürmen nach draußen, aus der Stadthalle raus, hinein in den Sonntagabend, ins echte Chemnitz-Leben, wo Menschen noch besoffen stolpern, weil  auch sie ihre Balance nicht finden.
Es streckt uns seine eisig kalten Arme entgegen.
Wir lassen uns fallen.

 

 

4 Kommentare

  1. alex

    ich hab den artikel nix allem gelesn- Aber typpisch deutsche lauch studenten die von energetische geschichten nix verstehen und nur lustig reden- wenn der mutter natur blutet. wie alle deutschen seit ihr schon wie 50% reptilianer, aber unterste sklavenstufe normal.

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