Chemnitz2025: Vier Projekte für ein KuHalleluja
Chemnitz2025: Vier Projekte für ein KuHalleluja

Chemnitz2025: Vier Projekte für ein KuHalleluja

Am 30. September ist Bewerbungsschluss, und dann wird Chemnitz endlich europäische Hauptstadt. Und auch falls Chemnitz dabei wie immer ganz knapp an Leipzig scheitern sollte, wovon wir nicht ausgehen, weil Leipzig gar nicht mitmacht, am Ende aber sicher trotzdem gewinnt, ist die Kulturhauptstadtbewerbung schon jetzt besser als alle Stadt- und Kartoffelfeste zusammen. Denn in den vergangen zwei Jahren wurden in Chemnitz mehr städtische Projekte, Ideen und Konzepte entwickelt, als die Parkeisenbahn überhaupt transportieren kann, und viele davon sind gar nicht so schlecht, manche sogar ziemlich gut. Trotzdem gibt es noch einige Projekte, die wir uns für das Zusammenleben hier sehnlichst wünschen würden und die wir über die letzten beiden Sommer hinweg gesammelt und jetzt endlich nieder geschrieben haben, um öffentlich 2.500 Euro Fördergeld für die Umsetzung folgender Mikroprojekte zu beantragen, nachdem das mit der Prominenten-Rückführung (Hallo, Beate!) im Winter auch schon so gut geklappt hat, womit der Satz auch endlich mal beendet wäre und der Rest vom Text beginnen kann. 

 

FYER-Festival Chemnitz 

Seit dem absolut kranken Chemnitzer Festivalsommer 2019, spätestens aber seitdem das Bürgerfest die Innenstadt rasiert hat wie keine andere Party, gilt ganz Chemnitz als die Warschauer Straße Mitteldeutschlands – als Paradies für Partytouristen aus der ganzen westsächsischen Welt. Als eine Stadt, die keine Fußgänger- und Ruhezonen mehr, sondern nur noch Partyzones kennt. Man muss mittlerweile schon raus nach Adelsberg fahren, um endlich mal wieder unter keine Menschen zu kommen, und das gefällt uns gut.  Weil Chemnitz nur durch kulturelle Überforderung gerettet werden kann, würden wir gerne 2.500 Euro Mikroprojektgelder für ein weiteres Festival beantragen: Denn nachdem einige Kritiker die gepflegte Umsonstkultur von Kosmos und Co. beklagten, wird es Zeit für ein Veranstaltungsformat, das auch eine solventere Zielgruppe anspricht, ein Format, bei dem Chemnitz nicht nur Karl-Marx-, sondern auch mal Kom-Merz-Stadt sein darf. Genau: Chemnitz braucht endlich ein betrügerisches Luxusmusikfestival, ein eigenes FYRE. Unseretwegen kann es auch AYR, WæTR, €ARTH oder SAXX(on)Y heißen, Hauptsache es ist teuer und geht schief.


Perfekt, weil: Erstens verfügt die Stadt über eine Bevölkerungsstruktur, die an dem Konzept einer luxuriösen Kaffeefahrten-Abzocke durchaus Gefallen finden könnte. Zweitens könnte es keine bessere internationale Image-Kampagne geben, als eine katastrophale Großveranstaltung und wütende Influencer. Und drittens war “The greatest Party that never happend” schon das inoffizielle Motto der Stadt, als Pablo Escobars Privatinsel noch Sand im Schaufenster war – man könnte die Bevölkerung mit der misslungenen Megaparty also wunderbar darauf vorbereiten, wie das sein wird, wenn es mit der Kulturhauptstadtbewerbung doch nicht klappt.
Umsetzung: Auf der paradiesischen Schlossteichinsel, die dem international gefürchteten Sicherheitsbaron M. Runkel gehört, wird aus dem liebevollen, aber viel zu hippiesken Festival-Feuerchen „Fuego“ einfach das monetär wesentlich littere FYRE. Alles, was man dafür braucht, sind geschickt lancierte Promo-Videos, in denen sich erzgebirgische Influencerinnen im postkaribischen Tümpel auf pinken Flamingo-Tretboten räkeln, einen dubiosen Unternehmer und einen prominenten Investor. Falls man die beiden Letzteren auf Anhieb nicht findet, einfach beim CFC nachfragen, dort kennt man sich mit komischen Machenschaften aus. Für Ticketpreise im sechsstelligen Bereich glampt man in Luxus-Zelten auf dem Harti, die sich später als ausrangierte Woosn-Bierzelte entpuppen. Statt Fünf-Sterne-Catering bekommt man aufgeweichte CFC-Roster und labbrigen Langos serviert, von dem ein Foto viral um die Welt geht. Die “VIP-Deluxe Appartements mit Premiumblick” stellen sich leichter nicht als Hotelzimmer im Mercure-jetzt-Dorinth-Hotel, sondern als Schlafsäle in der einsenergie-Herberge heraus, das Line-Up lockt mit nationalen und internationalen Topacts, die bis kurz vorher selbst noch nichts davon wissen, dass sie mit Exklusiv-Vertrag auf der Castle-Lake-$tage performen dürfen. Alles geht irgendwie schief, weshalb direkt fünf Netlix-Dokumentationen über die Chemnitz-Katastrophe produziert werden. Chemnitz wird international noch berühmter, aber nicht wegen abhilternder Nischel-Nazis, sondern wegen aufgebrachter Influencer und empörter Adelsberger Rich Kids, die mit einer Spontan-Demo vorm Marx-Moneyment ihre Kohle zurück fordern.

Der sprechende Lulatsch: 

Das Chemnitzer Selbstbewusstsein ist nach wie vor oft ein mickriges Mauerfallblümchen. Um es behutsam aufzupäppeln, hat man in den vergangenen Jahren viel versucht. Zum Beispiel den Nischel zum Volke sprechen lassen, als wäre er der Psychotherapeut der ganzen Stadt. Weil der Nischel aber mindestens so schlecht gelaunt ist wie das Chemnitzer Volk selbst, hat er als städtisches Spirit-Animal bisher eher versagt. Die Chemnitz-Fresse zeigt noch immer nach unten, und die Wahlergebnisse sprechen eine ähnliche Sprache. Nun sind sprechende Wahrzeichen an sich eine absolut großartige Idee, aber vielleicht hat man damals einfach das Falsche zum Leben erweckt. Vielleicht hätte man lieber den Roten Turm oder eine Kellnberger-Immobilie zum Volk sprechen lassen sollen. Oder — und hier kommen 2.500 Euro gut angelegtes Mikroprojektgeld ins Spiel — den Lulatsch.
Perfekt weil: Der Lulatsch ist bunt, der Lulatsch ist tolerant, vorm Lulatsch wären die Nazis nie aufmarschiert, weil er viel zu sehr nach Gaypride-farbenem Minarett aussieht, der Lulatsch ist in der ganzen Stadt und weit darüber hinaus sichtbar, weil Chemnitz eine Scheibe ist. Mit dem Lulatsch als Mentor wäre das alles nie passiert. Der Sprechende Lulatsch, und damit meinen wir nicht das unsägliche neue eins-Maskottchen namens „Schorsch“ wie „Schorschstein“, könnte ein längerfristiges Projekt werden, denn mit dem geplanten Braunkohle-Ausstieg wird auch der Lulatsch irgendwann arbeitslos und braucht eine neue Aufgabe in der Stadtgesellschaft.
Umsetzung: Der kettenrauchende Schlot beugt sich in Richtung der einzelnen Stadtteile, wie ein nervös im Wind flatternder Skydancer oder ein Perverser im Horrorfilm, und raunt ihnen individualisierte Botschaften zu: Knallharte Motivationsmantren, falls der Sonnenberg mal wieder dringend ein Alpha-Mentoring braucht, tiefsinnige Kalendersprüche für den Kaßberg, alberne Altherrenwitze für Altchemnitz. Alternativ könnte man auch über ein tägliches Morningbriefing für alle nachdenken: Um acht, wenn die Stadt kollektiv „auf Arbeit macht“, ruft ihr der bunte Boss pushende Powerparolen zu und verliest ausgewählte MoPo-Schlagzeilen. So könnte er helfen, die Chemnitzer wieder auf die Spur zu bringen — positive Affirmation, die wirkt. Fake it until you make it zur Kulturhauptstadt. 

Kulturaktéure Go: 

Wir haben euch ja schon von unserem neuen Lieblingsspiel „Akteur*Innen-Spotten“ erzählt, ein Chemnitzer Kneipen-Trinkspiel, bei dem man garantiert immer besoffen wird. Weil digital besser ist und Chemnitz auch multimedial europäische Kulturhauptstadt werden soll, wünschen wir uns 2.500 Euro für eine Kulturakteure-App, die Pokémon Go mit Maps, Tinder, Nightsky und der Öffi-App vereint.
Perfekt weil: Chemnitz ein Melange aus Moloch und Dorf und deshalb hier jeder mit jedem vernetzt ist. Das kann manchmal anstrengend sein, ist im Prinzip aber ein extrem cooler USP, auf den Chemnitz bei der KuHa-Bewerbung unbedingt bauen sollte. Denn hier liegen Kreativ-Synergien in der Luft wie andernorts Chemtrails. Und die lassen sich mit einer App noch viel besser aufspüren als mit einer Wünschelrute.
Umsetzung:Die von Staffbase umgesetzte, interaktive Augmented-Reality-Anwendung zeigt im Stile einer Sternenhimmel-App an, wo sich gerade wieviele und welche Akteure befinden — egal ob Lokale Gruppe bei der Sonntagssuppe im Lokomov, Superhaufen im Weltecho-Hof oder Schwarzes Suff-Loch im Balboa. Quasi wie die Karte des Rumtreibens, nur eben als Karte des Abhängens oder Abstürzens. Dementsprechend leicht kann man zukünftig seine Abendgestaltung planen oder einfach zuhause bleiben, denn Fomo war gestern: Man sitzt entspannt im aaltra, sieht in der App jedoch, dass gerade ein POCHEN-Projekttreffen im Zietentreff stattfindet. Oder man hängt bei einer Vernissage in der Innenstadt, bekommt via Push-Nachricht aber mitgeteilt, dass bei der KRACH-Preisverleihung viel wichtigere Leute sind, und kann sich direkt auf den Weg dorthin machen. In der Bezahlversion kann man die Akteure am jeweiligen Ort „einfangen“ wie putzige Pokémons, und darin den virtuellen Wettkampf gegen andere Chemnitzer antreten. Wenn ihr Chemnitz durchgespielt und in den höheren Levels auch internationale Akteure aus Ljubljana oder Manchester in die Tasche gesteckt habt, wartet als Endgegner ein Leipziger Akteur auf euch.
Außerdem verfügt die App über eine tinderartige Funktion, bei der man mittels Swipe-System potenzielle Projektpartner*Innen finden und Eskalations-Interessen matchen kann, eine Vernetzungskarte, die anzeigt, wer mit wem verwandt oder bekannt ist, einen Fördergeldrechner, einen Messenger-Dienst, interaktive CVAG-Fahrpläne sowie einen Online-Ticket-Service, falls eine Ringbusfahrt zum nächstbesseren Hotspot notwendig ist. Kulturakteure Go — die einzige App, die Chemnitz wirklich braucht. 

Silent Sitting: 

Brillantes Konzept für unvergessliche Sommerabende im Freien, das Innenstadtbelebung mit Ruhe-Reha und Saufgelage mit Sperrstunden vereint.
Perfekt weil: Die einmalige Mischung aus Silent Disco, 120 Minuten Party und Vorglühen genau das Partyformat ist, das bevölkerungsreiche, aber subkulturarme Stadtteile wie der Kaßberg dringend brauchen.
Umsetzung:  Eine Secret-Pop-Up-Bar auf dem Kaßberg. Bis 20:30 Uhr dürfen alle so laut reden und mit ihren Aperol-Gläsern klirren, wie sie wollen, um 20:31 Uhr zischt ein seniler Schweigefuchs im ersten Stock wütend „Pssssssst“ — die Party kann endlich losgehen. Es gilt, so geräuschlos wie möglich zu sitzen und zu trinken. Nachts ist es leise in Chemnitz, und die Partyreihe spiegelt dieses unvergleichliche Lebensgefühl wider. Wer laut oder überhaupt redet ist raus, und kann nachhause gehen, Lärmbeschwerden einreichen. Damit die Party nicht langweilig wird, ruft der Schweigefuchs im ersten Stock bei jedem eskalierendem Lacher über 20 Dezibel direkt die Polizei. Der Abend wird so oder so wunderbar: Kein anstrengender Smalltalk, kein peinliches Projekte-Prahlen, kein chronisches Schimpfen, kein ironisch skandiertes „SCHLIMM!“ und auch kein pissiges Pfeffi-Gepöbel, nein, beim Silent Sitting kommt es darauf an, zwei Stunden lang gemeinsam intensiv schweigend in den Sternenhimmel zu gucken und das zarte Zirpen der sanft auf den Straßen summenden SUV-Motoren zu genießen. Ohnehin ist es eines der größten zwischenmenschlichen Missverständnisse, dass man gut miteinander reden können muss — viel wichtiger ist es doch, dass man auch gut gemeinsam leise sein kann. Mit Silent Sitting holt sich Chemnitz dieses feinsinnige Gemeinschaftsgefühl endlich auch in den öffentlichen Raum. 

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