Während sich die Chemnitzer Straßen allmählich mit Leben füllen, wirkt das lokale Internet nach 18 Uhr häufig noch wie leergefegt. Doch das muss nicht sein! Auch du kannst dir im Chemnitzer Internet ganz leicht und locker mehr Likes, Follower und zweifelhaften Fame verdienen – mit unseren nützlichen Tipps hast du garantiert bald Reichweite für immer. Allgemein gilt im Internet: Erst empören, dann reflektieren, erst pauschalisieren, nie differenzieren. Wenn du das beachtest und zusätzlich auf die bewährte Chemnitzer Digitalstrategie „Haten, Heulen, Spalten“ setzt, werden deine Like-Zahlen bald explodieren. Mit unserer Anleitung für das Chemnitzer Internet herrscht hier garantiert nie wieder Langeweile und unter deinen Beiträgen nie wieder eine Like-Flaute.
1 Haten
Viel Hass hilft viel. Das ist gesamtgesellschaftlich betrachtet eine erschreckende und ziemlich gruselige Entwicklung, im Chemnitz-Kontext aber gefühlt schon immer so gewesen – und liegt vermutlich am mittelgroßen Minderwertigkeitskomplex der Stadt. Weil das Selbstwertgefühl meistens besoffen in der Bazillenröhre liegt, schimpft man in Chemnitz am liebsten auf sich selbst. Und wenn man einmal im Mecker-Flow ist, kann man die anderen auch gleich mit beschimpfen. Hätte die Stadt einen Life-Coach oder wenigstens einen kitschigen Sprüchekalender an der Wand, hätte sie schon längst Folgendes gelernt: “Wer sich selbst nicht liebt, kann auch andere nicht lieben”. Das Chemnitzer Internet rollt da nur genervt mit den Augen: Heaven is a Hatepipe, und die größte Hater-Rampe steht im Facebook. Aus eigener Erfahrung können wir dir also raten: Bashing wirkt – niemand möchte nette Texte über die Stadt lesen. Auch unsere Redaktion erreichen mittlerweile regelmäßig Beschwerden, wenn wir wieder mal aus Versehen etwas Positives schreiben. Im Chemnitzer Internet kann man verschieden ausgeprägte Hater-Skills feststellen. Das Level reicht von “konstruktiv liebevoll” über “populistisch plump” oder “komplett destruktiv” bis hin zu “aggressiv, menschenverachtend und hohl”. Leider gilt die geballte Faust-Regel: Je plumper der Hass, desto mehr Gefällt-Mir-Angaben bzw. Wut- oder zynische Lachemojis und “So Isses!”- bzw. “Respekt! für deine mutigen Worte”-Kommentare bekommt der Beitrag.
remarx-HipTipp: Es muss nicht immer Hass sein. Mittlerweile wirken auch überzogene Liebesbekenntnisse Wunder. Versuche es doch mal mit zartem Chemnitz-Kitsch und heimlichem Heimatpathos: Der Lulatsch im Regenbogen, Beton und Kirschblüten, blauer Himmel über der Sachsen-Allee. Dazu ein rührseliges Textchen darüber, wie falsch die Stadt in den Medien dargestellt wird, dass die Stadt so viel mehr ist, als weder grau noch braun – das könnte funktionieren, wenn du nur den richtigen Nerv triffst. Zum Glück können im Internet alle immer alles schreiben: Probier einfach aus, womit du dich am wohlsten fühlst und welche Tonalität am besten zu dir passt. Nur so kannst du feststellen, was deine Follower am liebsten lesen.
2 Heulen
Du bekommst von der Stadt jährlich nicht so viel Geld für deine nischigen Subkulturprojekte, wie du gern hättest? Wie gemein! Aber lass den Kopf nicht hängen, sondern mach was draus: Heule dich öffentlich mal richtig aus und verpasse keine Gelegenheit, diese unfassbare Ungerechtigkeit immer und immer und immer wieder beiläufig zu erwähnen. Jemand, der auch eine prollige Großraum-Disse besitzt, veranstaltet die gleiche Andreas Gabalier-Schlagerparty wie du? Sehr gut! Deine von Boiler Room geklaute Veranstaltungsreihe wird beim Boiler Room ignoriert? Perfekt! Jammere und prangere an, wie jämmerlich die einst so prächtig blühende Chemnitzer Szene geworden ist. Früher war weniger Guetta und sowieso alles besser – es ist des Chemnitzers likeste Leier.
In Chemnitz gibt es viele Anlässe zum Heulen: Die Stadt allgemein, der Ringbus fährt gar keinen richtigen Kreis, du hast keinen Gästelistenplatz für die Silvesterparty im Oberdeck bekommen, zu deiner szenigen Kulturveranstaltung sind nur zehn Leute erschienen, im Kaßberg-Edeka ist das Eis alle, das Marx-Städter Bier schmeckt nicht nach Braustolz, der Nischel hat dich neulich böse angeguckt und niemand hat dich jemals gefragt, ob du beim Kosmonaut als Geheimer Headliner auflegen willst: Schlimm! Doch im Chemnitzer Internet gilt zum Glück: Hundert Mal geteiltes Leid ist halbes Leid. Also nimm deine Follower mimimimit ins Tal der Tränen, lass sie teilhaben an deinem Schmerz, an deiner hochansteckenden Kränkung. Die Kulturhauptstadt-Kampagne heißt ja schließlich nicht umsonst “Chemnitz2025: Rumheulen lohnt sich!”. Und weil sich die Chemnitzer in Ossi-Manier am liebsten mit sich selbst solidarisieren, wird es für deine Heulerei garantiert viele aufgebrachte Likes hageln. Chemnitz gibt sich zwar stets als Macher-Stadt – aber beim Machen kullern ihr statt Schweißtropfen dicke fette Selbstmitleidstränchen über die wuterhitzten Wangen.
3 Spalten
Wenn du genug geheult und gehatet hast, wird es Zeit, das Chemnitzer Internet ein bisschen zu spalten, so wie wir es gerade tun. Und weil kein Thema mehr spaltet als Geld, empfehlen wir dir, ein bisschen Sozialneid zu schüren. Was bei den Rechten schon so gut funktioniert hat (Stichwort: Die Flüchtlinge haben Handys, Schuhe, Klamotten an!!, wir haben nichts, außer fünf Flatscreens in jedem Zimmer), kann auch für dich nicht schlecht sein. Besonders gut eignet sich das im Chemnitzer Internet populäre Narrativ der dauermarginalisierten Freien Szene, die absolut gar nichts hat, nicht mal Gäste – im Gegensatz zu einer ominösen “Kulturelite”, die mit Goldmünzen um sich wirft wie einst der Zeichentrick-Dagobert in seinem kranken Tresor. Hab keine Angst vor Populismus: Interaktions-Postings sind in den sozialen Medien gerade voll angesagt – stell doch öffentlich einfach mal die total rhetorisch gemeinte Frage, WER DAS EIGENTLICH ALLES ZAHLT?, und freue dich über vielen schönen Drunterkommentare. Gerade in Zeiten wie diesen ist es gerade in einer Stadt wie Chemnitz wichtig, einen Keil zwischen die Menschen zu treiben, anstatt den Zusammenhalt zu stärken.
4 Inhalt & Sprache:
Für deinen erfolgreichen Chemnitz-Post empfehlen wir eine gesunde Mischung aus fundierter Kritik, akribisch recherchierten Informationen und pauschal postulierten Halbwahrheiten. Im Internet verschwimmt die Grenze zwischen wahr und ausgedacht zunehmend, also nutze die Gunst der dunklen Stunde und stelle vage Vermutungen, komische Bauchgefühle und fingierte Fieberträume einfach als Fakten in den virtuellen Raum. Zum Beispiel, wenn du beim Kosmos statt fünfzig nur achtundvierzigtausend Leute an fünf Fingern abgezählt oder neulich vom Nachtbus aus die Chemcat besoffen in der “Südkurve” sitzen sehen hast. Außerdem ist es ratsam, so geschickt über Menschen zu schreiben, dass jeder sofort weiß, wer gemeint ist, obwohl niemals Namen fallen. Nimm dir dafür einfach ein Beispiel an diesem Beitrag. Alternativ kannst du Personen auch direkt in deinem Beitrag markieren, das wirkt dann extra anklagend.
Was die sprachliche Gestaltung deines Facebook-Beitrages angeht, sind Metaphern gerade sehr angesagt: Egal ob Feudalismus oder Fußball, Botanik oder Basketball, Medizin oder Mondphasen, Wetter oder Werkzeug – es gibt unendlich viele Themenbereiche, an denen du dich nach Lust und Laune abarbeiten kannst. Das Internet ist ein Medium der Bilderflut, und deshalb sollte auch deine Sprache stets bildlich sein. Wenn du wirklich größere Reichsweite im Osten willst, darfst du nicht davor zurückschrecken, deinen Text mit ein bisschen AfD-Sprech zu befeuern: Streue gelegentlich Wörter wie „Lügenpolitik“, „Propaganda“, „Genderunfug“ oder „Staatsdiener“ ein. Achte darauf, es damit nicht zu übertreiben.
re:marx Hip-Tipp: Verwende Anführungszeichen als „Stilmittel“ – das sieht schön „zynisch“ aus, und du kannst gewissen Leuten ganz elegant vorwerfen, nicht das zu sein, was sie zu sein vorgeben. Zum Beispiel den „Journalisten“ von „re:marx“.
5 Finde einen Schuldigen
Falls du AfD-Anhänger bist: Geflüchtete als Schuldige sind out, im virtuellen Prügelknaben-Trend liegen aktuell Umweltschützer und generell linksgrünversiffte Menschen, die dir deinen Diesel-SUV und deinen jährlichen Ballermann-Urlaub wegnehmen wollen.
Falls du einfach nur mehr gelesen, gesehen und geliked werden willst, empfehlen wir, es dir so einfach wie möglich zu machen. Natürlich sind “die da oben” an allem Schuld. Die Regierung sitzt jedoch in Berlin, und das ist von Chemnitz aus quasi so unerreichbar wie die Andromeda-Galaxie von der Erde. Besser ist, du konzentrierst dich auf das Feindbild “die Stadtverwaltung”. Achte dabei darauf, “die Stadtverwaltung” nie als einzelne Menschen, sondern immer als ein einziges großes, mieses Bürokratie-Monster und vor allem als durchweg unfähig darzustellen.
Re:marx Hip-Tipp: Stürze dich doch mal auf die CWE. Die ist als städtische Tochter für Tourismus, Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung zuständig und für manche mittlerweile sowas wie die Angela Merkel (Danke, Merkel!) bzw. der rückläufige Merkur (Danke, Merkur!) von Chemnitz.
Die anderen haben beim Kosmos mehr Spaß als du? Die CWE ist Schuld! Das Lulatsch-Lila wird nachgebessert, während das Himmelblau traurig verblasst? Dein Lieblings-Nischelhupper hat sich drei Beine gebrochen? Die CWE ist Schuld! Parkbahnmaus Klaus ignoriert dich beim jährlichen Maskottchentreffen? Der CFC steigt 2020 wieder in die Regionalliga ab? Danke, CWE!!
Vor dem Veröffentlichen: Gehe unsere Checkliste noch mal durch. Hast du alle Punkte beachtet? Hast du ein einfaches Feindbild gefunden? Bist du argumentativ auf kritische Drunterkommentare vorbereitet? Kannst du den Inhalt immer zu deinen Gunsten drehen und wenden? Super! Dann sagen wir: Ab geht der Post – und bestimmt auch direkt viral.