Zugegeben: „Keine Nacht für Niemand“ ist das drittbeste Wortspiel nach „re:marx“ und ganz offensichtlich eine heimliche Reminiszenz an das smac-Museum, wo die schönsten sächsischen Ton, Steine und Scherben wachsen. So viel vorab. Wir, die meistgefürchteten Musikkritiker von Re:marx, haben die neuen Songs natürlich schon gehört, bevor sie überhaupt geschrieben wurden. Deshalb gibt es, basierend auf diesem ganz besonderen Nichtwissen, heute für euch „Keine Nacht für Niemand“ in der ausführlichen Track-by-Track-Vorab-Orakel-Besprechungs-Review, weil man als Musikkritiker generell viele Binde-striche macht.
1. Band mit dem K:
Klingt wie: The Hives, „Main Offender“
Darum geht’s: Selbstironische Selbstbeweihräucherung, die am Ende doch irgendwie ernst gemeint ist, ist normalerweise der Signature-Singsang von re:marx und Die Ärzte. Da letztere aber nur noch Teilzeit arbeiten, treten nun Kraftklub in deren Fußstapfen. In „Band mit dem K“ geht es natürlich um alle alten Ostrock-Größen mit K im Namen. „Vergesst KIZ, Karat und Kendrick Lamar, Kraftklub sind dar“, reimt Felix virtuos im ersten Refrain und weiter: „Weg mit Karussell, Kelly Family, Korn und Schluss mit Kyuss, Kraftklub ist das Muss“. Am Ende darf das postironische Augenzwinkern natürlich nicht fehlen. So heißt es im letzten Refrain: „Scheiß auf Koldplay, Keimzeit, Kante und Kettcar — Kraftwerk sind dar“. Ein launiger Singalonealong zum Einstieg.
2. Leben ruinieren
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Riff rückwärts gespielt
Darum geht’s: Weil das lyrische Ich vor fünf Jahren nicht nach Berlin gezogen ist, nagen jetzt die Selbstironiezweifel am grundmelancholischen Chemnitzgemüt. Alle Freunde sind weggezogen, und die wenigen jenigen, die da geblieben sind, haben sich die Chemnitz Krankheit eingefangen. Jetzt, mit über 26, schafft er den Absprung aus der Stadt nicht mehr. Er ist hängen geblieben, in Chemnitz, und an der Flasche, mit der er abends immer allein im Stadthallenpark sitzt. „Leben ruinieren“ beschreibt, wie er und seine Freunde im Vollrausch der Verzweiflung durch ihre Kleingartenanlagen am Brühl flanieren, wo andere Kreative gerade ihre Gartenzwerge polieren. Vom großen, unabwendbaren Chemnitz-Crash erzählt diese melancholisch-ergreifend-schwelgerisch-wehmütig-eklektisch-mitreißende Midtemponummer, die uns direkt ins eiskalte Herz getroffen hat.
3. Chemie, Chemie, Ya
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Bridge
Darum geht’s: CFC-Fans müssen jetzt stark sein — Kraftklub zieht’s zum Fußball und zum Feiern nach Leipzig. Hochverrat an der Heimatstadt, denn „Chemie, Chemie Ya“ ist ein leidenschaftlicher Fansprechgesang auf die prosperierende Leipziger Fußballlandschaft. Wobei der Titel der energischen Rap-Indie-Rumba doppeldeutig bleibt: Mit Chemie soll hier wohl nicht nur der sympathische kleine Fußballverein, sondern auch eine illegale IfZ-Substan.. der natürliche Geschmack von Red Bull gemeint sein. „Himmelblau soll ruhig Pleite gehn, ich will die Roten Bullen in Europa sehn“, heißt es unter anderem im Text. Vermutlich ironisch, aber Ironie funktioniert im Fußball nicht, deshalb finden wir: Der mutigste Song, den Kraftklub je gemacht haben.
4. Am Ende
Klingt wie: The Hives, Main Offender, 1. Strophe langsamer abgespielt, Peter Fox
Darum geht’s: „Licht am Ende des Tunnels ist immer der entgegenkommende Fixiefahrer in der Bazillenröhre“, singt Felix zu Beginn des starken Textes, der sich mit allen Facetten des „am Ende seins“ befasst. In der zweiten Strophe der mittellauten Uptempo-Indierap-Nummer wird eine abrupt endende Fahrt auf dem Chemnitztal-Radweg als bewegende Allegorie auf das Leben beschrieben, doch das Ende von „Am Ende“ gibt sich tröstlich: „Am Ende dieser Straße steht ein Haus am Brühl“, singt ein Chor des Andrègymnasiums im Fade Out feat. Casper und zitiert natürlich den Typ von Seeed. Kraftklub sind ja ohnehin bekannt als Meister des Popzitats, dies ist nur eine von 834092384 Referenzen. Könnte zum intimen Konzertklub-Klassiker werden.
5. Fenster
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Gitarrensolo
Darum geht’s: Das lyrische Ich versetzt sich hier virtuos in die Lage des begnadetsten Reichssängers der Deutschland GmbH und schildert die Welt aus der Alu-Hut-Perspektive. Ein Text für Linke, der auch Rechten gefällt, die denken, „Spring aus dem Fenster für mich“ sei ein gut gemeinter Tipp für die nächste Legislaturperiode von Angela Merkel.
6. Fan von Dir
Klingt wie: The Hives, Main Offender, letzter Refrain
Darum geht’s: Frontmann Felix ist großer Fan eines Chemnitzer Blogs und beschreibt in dieser psychedelisch-punkigen Indie-Rap-Nummer, wie er freudig die neusten Beiträge auf Facebook liked, aber manchmal auch nicht, weil der strenge Vater es verbietet, wie z.B. im Falle des Skandal-Artikels „Dating Chemnitz“. In der zweiten Strophe wechselt die Perspektive: Erzählt wird jetzt aus der Sicht der Blogger, die bei jedem Felix-Like einen Screenshot machen und einen Pfeffishot trinken, nach außen aber immer so tun, als wäre ihnen alles egal. Am Ende begegnen sich beide zufällig am Schlossteich und sagen „Hallo“.
7. Hausverbot (Chrom & Schwarz)
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Refrain rückwärts
Darum geht’s: Der stark an eine Random-Nullerjahre-Garage-Indieband erinnernde Song erzählt von einem lokalen Chemnitzer Immobilienmogul, der die schönsten Bruchbuden der Stadt besitzt, in die aber regelmäßig eingebrochen wird. Er beklagt nicht nur das Verschwinden von wertvollen Bau-Werkzeugen, sondern auch, wie er durch das permanente Sichten des Videomaterials der überall installierten Überwachungskameras zunehmend vereinsamt. Isolation hinter der Wärmeisolierung ist die Folge, der Mogul wird grantig und verteilt Hausverbot an alle, die eigentlich nur mal gucken wollen. Ein Klima der sozialen Kälte entsteht, und die Heizkosten steigen.
8. Dein Lied
Klingt wie: The Hives, Main Offender, ganz langsam abgespielt
Darum geht’s: Jeder weiß, worum es in der ersten Singleauskopplung geht, und jeder sagt natürlich, dass das Wort „Hure“ im Text kritisch zu betrachten ist, egal, ob ironisch gemeint oder nicht. Deshalb handelt es sich bei der Album-Version um eine korrigierte, politisch korrekte und jugendfreie Alternative. Hier exklusiv ein Auszug aus dem neuen Text:
„Du verdammte SexarbeiterInnen, das ist dein Lied
Dein Lied ganz allein
Das kannst du all deinen FreundInnen zeigen
Das, das ist dein Lied
Dein Lied ganz allein
Glaub mir, deine FreundInnen werden People of Noncolour vor Neid“
9. Sklave
Klingt wie: The Hives, Hate To Say I Told You So
Darum geht’s: Bei seiner letzten Ferienfließbandarbeit im VW-Werk Mosel hat das lyrische Ich erkannt, dass der GTI nicht der Sinn des Lebens ist, sondern dass auch ein solider Toyota Starlett reicht. Um dem großen Leistungsdruck Stand zu halten, hatte der harte Schichtarbeiter regelmäßig zum Crystal gegriffen und sich so die Haut versaut. Er ist zum Sklave der Leistungs- und Konsumgesellschaft geworden. Die brutal-anarchisch-subtile Indie-Rap-Uptempo-Nummer ist der konsumskeptischste Titel auf dem bisher wohl sozialkritischstem Album der Band. Ein Befreiungsschlag.
Edit: Da haben wir ja fast Ins Schwarze getroffen.
10. Venus
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Basslauf
Darum geht’s: Der herrlich zurückgelehnt-relaxte Rap-Indie-Song feat. Casper erzählt von einem Besuch im botanischen Garten Chemnitz, bei dem sich das Lyrische Ich versehentlich in einer der Venusfliegen-Fallen verheddert. In blumiger Sprache werden hier die Pracht der Schmetterlinge und die Faszination der Reptiliensammlung aus der Perspektive eines Klimaschutz-Gegners beschrieben, der durch den Venusfliegenfallenvorfall Kartharsis erfährt und fortan nur noch die Bio-Gemüse-Kiste vom Guidohof abonniert, die er wöchentlich mit dem neuen Elektro-SUV selbst abholt.
11. Hallo Nacht
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Intro
Darum geht’s: Vor drei Jahren hatte man sich noch über Lärmbeschwerden beschwert, jetzt reicht man selbst welche ein — Kraftklub haben eine zart-berührend-schwebend-schöne Power-Indierap-Ballade über mit Dauer des Chemnitz-Verbleibs gestiegene Ruhebedürfnisse und Rückzugssehnsüchte geschrieben. Häuslichkeit macht sich breit, man sitzt abends lieber am Lagerfeuer im Hof, schaut gemeinsam Tatort und regt sich über die Bässe im Weltecho auf. Das Lied wirft schonungslos grundsätzliche Chemnitz-Fragen auf: Soll man sich mit einem mittelmäßigen Leben in einer mittelgroßen Stadt zufrieden geben? Oder weiterziehen? Die Dämmerung der Jugend bricht an, der Verfall klopft leise an die Proberaumtür. „Die fetten Jahre sind vorbei“, singt Karl im Refrain, „ich bin schon müde, meine Beine sind schwer wie Blei. Hallo, hallo Nacht, was hast du nur aus mir und dieser Stadt gemacht?“
12. Liebe zu Dritt
Klingt wie: The Hives, Main Offender, Outro
Darum geht’s: Natürlich versucht der rasant-rohe Rap-Indie-Titel feat. KIZ in die Irre zu führen, in dem er mit den beliebten Hashtags #momlife und #familygoals spielt, aber am Ende geht es doch um Sex und Drogen, und darum wie schwer es ist, seine Jungs zu zügeln. Das furiose Finale einer großartigen, abwechslungsreichen Platte. Wir freuen uns schon aufs Kosmonaut [hier bitte anbiederndes, Akkreditierungswunsch signalisierendes Ironiehusten einfügen]