Clubcheck: Institut für Zukunft
Clubcheck: Institut für Zukunft

Clubcheck: Institut für Zukunft

Seitdem das N* Dorphin schließen musste, weil es von re:marx nie in den Party-Dates erwähnt wurde, gibt es in Chemnitz keinen Club mehr für aufrichtige Raver. Auch die Partypoesie Instanz des Clubchecks wurde aufgrund akuten Chemnitzer Clubmangels vorerst auf Trockeneis gelegt. Wer in Chemnitz was auf sich hält, feiert jetzt in Leipzig. Denn Leipzig hat neben dem MDR auch viel MDMA zu bieten, und heißt jetzt neuerdings Detroitnitz, weil es bekanntermaßen die Wiege des Techno ist und weil es das „Institut für Zukunft“ hat. Das ist ein Club wie die „Zukunft“, nur dass dort noch härter gegendert wird und das Plenum vermutlich wesentlich anstrengender ist. Lange haben wir von re:marx uns nicht ins IfZ getraut – zu sagenhaft waren die kolportierten Geschichten von auf Tabletts gereichten Früchten und Amphetamin-Orgien. Doch weil das IfZ nicht umsonst auch „Zwerghain“ genannt wird, was so viel wie Berghain für Chemnitzer bedeutet, wird es Zeit, den Hype nach drei Jahren endlich mal auf Herzrasen und Nierenschäden zu prüfen. Der Clubcheck ist zurück. Als werft ein bisschen Acid ein äh an und rollt eure Geldscheine zusammen, denn hier kommt unser Ausgehtrip für’s Wochenende.

Location
Das IfZ ist im Keller einer Leipziger Biogasanlage untergebracht. Die langen verwinkelten Gänge erinnern an ein Institut der Vergangenheit. Der Haupttanzsaal ist gefliest. Alles fühlt sich etwas nach einer Omnibusbahnhoftoilette an und der DJ-Bereich erinnert an eine ländliche Fleischertheke. Eine Treppe führt in den Saal hinunter, eine hinauf. Hinter einem kleinen Vorhang liegt ein Ruhebereich mit Neunzigerjahre-Sofas. Hier ist es ungemütlich offen und in der Mitte könnte man sich einen Billardtisch vorstellen.  Eigentlich ist es ein Hobbykeller. Die Bar erinnert mit ihren Kinositzen an einen Studenten-WG-Flur, genauso eng ist es auch. Der kleine Darkroom ist hell und ungemütlich, hier lässt man sich ungern entjungfern. Das Beste am IfZ ist aber: Man kann es mieten, auf so einer Seite, die schicke Eventlocations für Stadtobere und solche, die es noch werden wollen, anbietet. „Der Alte Fabrikkeller im Kohlrabizirkus überzeugt mit einem authentischen Industrieambiente bei jedem Event. Freuen Sie sich auf einen der begehrtesten Clubs des Leipziger Nachtlebens. Der rustikale und industrielle Charme wurde beim Ausbau erhalten und bietet eine authentische Kulisse für Ihre Präsentation, Betriebsfeier oder Privatparty„, verspricht die Beschreibung. Hier kann man bei Bedarf auf Weihnachtsfeiern übergriffig werden, Hahnenkämpfe mit 200 wettsüchtigen Asiaten oder einfach seine eigenen Raves veranstalten, vorausgesetzt man hat die ganze Kohle nicht schon vorher für Koks und Ecstasy verpulvert.

Seltene Außenaufnahme vom IfZ, das sich im „Kohlrabizirkus, einer ehemaligen Biogasanlage, befindet

Tür
Ein schlaksiger Junge mit Kapuze fragt mich am Einlass, ob ich schonmal aware getanzt habe. Ich antworte, dass er ruhig deutsch mit mir reden kann. Die Stimmung kippt leicht. Er fragt, warum ich hier sei. Darauf antworte ich vorbereitet mit: „Na wegen der Inka Bause!“. Auch das kommt nicht gut an, Inga Mauer wäre der richtige Name gewesen. Da ich aber die vorgeschriebene Mode trage (völlig beliebig, drittes Semester Wirtschaftsingenieur in dunkel) darf ich rein. Der Insecurity tastet mich ab und übersieht mein Fläschchen Poppers. Ich zahle irgendeinen Unkostenbeitrag an der kleinen Kasse und gehe rein.

Publikum
Das Publikum setzt sich genau wie in Chemnitz aus verschworenen Grüppchen zusammen. Zu diesen findet man nur über üppige Drogengeschenke Zugang. Verschenkt man Ecstasy oder Speed, darf man bei Ihnen tanzen. Zarte Bekanntschaften formen sich über Ketamin. Echte Freundschaften entstehen aber nur durch gutes Kokain. Probiert es nicht mit Alkohol, Poppers oder Meth, das konsumiert nur der Abschaum der Menschheit. Einige Gäste gehören nicht so richtig dazu und fallen sofort durch ihre positive Ausstrahlung auf. Die verschwinden aber leider gegen 4 Uhr bereits wieder.

Licht
Im IfZ gibt es nur zwei Arten von Licht. Handytaschenlampen in den Klokabinen, die verschiedene Pulver, Pillen, Kräuter, Tinkturen per Augenmaß aufs Mikrogramm bemessen, und die an jeder Ecke aufgestellten Automaten. Diese locken die späten Käufer mit gleißendem Schein zu Zigaretten, Schokoriegeln und Tampons.

Trotz des strikten Fotoverbots nach Vorbild von Beatconnect im Oberdeck ist es uns gelungen, ein Foto vom DJ-Setup zu machen.

Sound
Der Sound ist ganz so, wie man ihn in einem gefliesten Partykeller erwartet. Leider wurde die ganze Zeit das gleiche Lied gespielt. Besonders interessant für audiophile Besucher ist der Gang zum zweiten Klo, dort hört man gar nichts außer das Summen des Automaten.

Toiletten
Irgendwann gegen 5 Uhr morgens überkommt mich das Verlangen nach einem morgendlichen Stuhlgang. Ich renne zum oberen Klo: keine Chance. Eine zehn Meter lange Schlange wartet auf frei werdende Kabinen. Wenn ein Dreiergrüppchen eine Kabine verlässt, kühlt sich die Luft kurz ab. Schneidend harte Blicke viel zu dünner 17-jähriger Mädchen, die soeben ihr Taschengeld in Speed verzogen haben, schlagen mich in die Flucht, und ich renne durch die Tänzer hindurch zum hinteren Zweitklo. Auch dort ist alles blockiert. Ich bekomme Panik und das Lied „time to get schwifty, take your pants off and shit on the floor“ kommt mir in den Sinn. In letzter Sekunde öffnet sich eine Tür, doch sofort wollen zwei junge Frauen mit weit aufgerissenen Nüstern da rein. Ich schlage sie von der Klobrille weg und knalle die Tür zu. Seit jeher lege ich auf öffentlichen Toiletten Klopapier auf die Brille, aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Hinterher gehe ich zur Awarenesscrew und erkundige mich, ob ich mich nach diesem Barebake-shitting auf irgendwas testen lassen muss.

Die Toiletten.

Awareness
Das IfZ will sehr aware sein. Sehr offen. Sehr tolerant. Sehr bemüht. Sehr korrekt. Deshalb hatte ich meine lustige gefäßweitende Schnüffeldroge namens Poppers auch allen angeboten: um ein paar Stöcke aus ein paar Löchern zu ziehen. Leider wird man nur verächtlich angeguckt. Zu der übertrieben verbalisierten CORRECTNESS passt es gut, dass die Barkräfte laut Gerüchten seit Monaten nicht den vereinbarten Lohn erhalten und nur wegen Linksidealismus, Leipzig-Techno-Prestige und kostenlosem Speed arbeiten (wenn sie sich nicht grad im Backstage gegenseitig abfeiern, was auch stark an Chemnitz erinnert).

Geruch
Es riecht überwiegend nach Poppers, aber das liegt an mir. Weiterhin sind Kompostgerüche wahrnehmbar. Das macht Sinn weil der Club ja direkt unter einer Biogasanlage liegt.

Abschleppchancen
Zur Abschreckung hängen überall belehrende Zettel mit Hinweisen darauf, dass man neben der diskriminierenden Einteilung von Menschen nach Geschlecht auch gleich alle anderen Aspekte der Sexualität ablegen sollte. Falls man sieht, dass das jemand nicht tut, soll man bei der Awarenesscrew petzen gehen. Dahinter steckt eine raffinierte Strategie mit dem Ziel noch mehr unter sich zu bleiben. Anmachen sollte man also nur offensichtliche Nicht-Locals, und das am Besten heimlich. Haltet nach Leuten Ausschau, die auf dem Handy rumdrücken, müde aussehen, herausstechend normale Klamotten anhaben oder anders tanzen. Aber stört niemanden beim Zappeln, das könnte euer letzter Versuch der Partnersuche gewesen sein.

Preis-Leistung
Irgendwie scheisse. Der Pfand ist ideal abzockend: niemand weiß ob es Pfand gibt oder nicht. Und wenn man glaubt es verstanden zu haben, vergisst man es wieder. Wenn ihr Drogen nehmt, plant 100€ für eine Nacht ein. Wenn ihr keine nehmt, plant auch 100€ ein und macht euch ein bisschen durch Tablettengeschenke im Club beliebt.

Fazit
Das IfZ ist ein strenger Ort. Dort zu feiern fühlt sich an wie unter Großvaters strengem Blick vom guten Geschirr zu essen (nein, nicht wie eine schlechte Metapher sondern überwacht und verbohrt). In den Augen der IfZler ist man es eigentlich nicht wert dort zu sein. Ihr geht am besten besoffen hin, tut am Einlass so als wäret ihr nüchtern und nennt freundlich die Acts. Drinnen nehmt ihr sofort 200 mg MDMA ein. Auf die eintretende Wirkung müsst ihr nicht warten: eure Serotoninspeicher sind doch sowieso längst verbraucht. Also kümmert ihr euch jetzt um Koks. Da ihr das nicht finden werdet, müsst ihr auf Speed setzen. Wenn die Musik nach ein paar Stunden langweilig geworden ist, beschäftigt ihr euch eben mit dem Rantasten an eure ideale Dosis Ketamin. Wenn ihr wieder wach seid, geht ihr mit ein paar Erstsemestlern aus München rüber zu REWE und trinkt Rotkäppchensekt, macht Instagramstories davon und wartet darauf, dass es endlich drüben in der Distillery weitergeht…

4 Kommentare

  1. Christian

    klar – ein ganz stinknormaler schuppen. aber die musik ist schon oft schön. der excess schon oft krass und die wundervolle crew schon irgendwie besonders geil.
    ob es sich nun lohnt aus chemnitz hinzufahren vermag ich nicht zu beurteilen. aber für chemnitzer würde es sich doch auf jeden fall mal lohnen selbst etwas geiles auf die beine zu stellen. hm?

  2. Klobert aus Connewitz

    Es war für mich das erste Mal an diesem, von vielen Apologeten der Szene beworbenen, ja teils mit fast schon unannehmbarem Lob überhäuften, und daher als Kultstätte eingestuften Ort. Die Erwartungen, etwas Besonderes zu erleben, waren spürbar stärker in ihrer Ausprägung als bei anderen Feierlichkeiten dieser Art. Immerhin trägt dieser Winkel der Stadt einen Namen, der mich hoffen ließ: „Institut für ‪‎Zukunft‬“.

    Ich vermutete eine Zukunftswerkstatt, einen Ort für erlebbares Zukunftsmanagement. Ich wollte zu rhythmusorientierter 4/4-Takt-Tanzmusik auf dem Zeitpfeil tanzen – ich hoffte auf Utopie-Workshops, um mir dadurch ein solides Gegenwartskonzept zu errichten.

    Luftschloss ~ Bereits an den Pforten dieser Lokalität erblickte ich milizartig uniformiertes Personal, welches mit merklich ernster Miene und anscheinend wahllos – einigen der nach einer besseren Zukunft strebenden Pilgern, den Zutritt verwehrte.

    Nachdem meine Physiognomie, Körpersprache und mein Gewand den Gesinnungstest bestanden hatte, durfte ich den heiligen Ort betreten und begab mich sodann zur Ausschankstube.
    Ich bestellte mir eine Maurerbrause und anschließend begann meine Exkursion durch die vom Institutsleiter als „Trakte“ ausgeschriebenen Räumlichkeiten.

    Ich fing an zu zweifeln – nirgends erblickte ich meine erträumte Lernumgebung, ein Kompetenzteam für Daseinsvorsorge, oder ein Seminar über Zeitsoziologie.

    Ein stinknormaler Schuppen.

    Mein Gegenwartsbewusstsein erstarrte – als ob ein giftgetränkter Splitter mein drittes Auge durchbohrt hätte. Völlig kristallumnachtet und desillusioniert, begann ich im Tanzsaal stehend meine Situation zu reflektieren. Ich erkannte die ganze Tragweite dieses endzeitlichen Schauspiels.

    Ich empfand die mich umgebenden Individuen als einen homogenen Schwarm; als eine aus einer dystopischen Gesellschaft entsprungene Schicksalsgemeinschaft. Die Kluft zwischen sogenannten Wendeopfern aus dem Muldentalkreis und Philosophiestudenten aus Tübingen war nicht ausmachbar: Man trug klassenübergreifend priesterhaftes Schwarz.

    Gemeinsam verdrängen.

    Als Kultdiener und Identifikationsfigur fungierte ein DJ – er versorgte den anfangs nur phlegmatisch abzappelnden Menschenbrei mit Dramaturgie und spartanischen Rhythmuswiederholungen. Das Gehege füllte sich, immer mehr Moralkevins und Jungpioniere wollten teilhaben am Getänzel – welches sich jedoch auf einfachste, aber hektisch ausgeführte Gehbewegungen beschränkte.

    Während martialisch-industrielle Klanglandschaften den Mob auf den Takt der Weltgleichschaltung synchronisierten, beobachte ich einen Uniformierten vom Institut, wie er mit kontrollierendem Blick alle Involvierten auf sexorientierte Gebärden und faschistische Ästhetik überprüfte. Dem Kapo wird es zudem sicher schwer gefallen sein, zwischen all den Hipster-Pyramiden und Szene-Codes, völkische Symbole ausfindig zu machen. Das fand ich gut, denn auch in emanzipatorisch geprägten Gefilden, wo Political Correctness zur Zwangsdoktrin gehört, ist man nicht automatisch vor nordafrikanischen Antänzern und „Querfrontlern“ geschützt.

    (…)

    Als das Zeitkontingent fast aufgebraucht war, herrschte im Tanzgehege diversitätsarmer Männerüberschuss. Die durch zukunftssichernde Negativauslese Übriggeblieben, schrien förmlich nach einer vom Institutsleiter verordneten, gendergerechten Frauenquote. Ich erblickte leere, welke Gesichter, welche auf die letzten weiblichen Gäst_Innen gafften. Für sie gab es zumindest an diesem Abend keine befreiende und zukunftsweisende Weichenstellung bzgl. ihrer Lebensperspektive.

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