Mikroprojekte für Chemnitz2025 II: Ich bin ein Star, holt mich wieder heim
Mikroprojekte für Chemnitz2025 II: Ich bin ein Star, holt mich wieder heim

Mikroprojekte für Chemnitz2025 II: Ich bin ein Star, holt mich wieder heim

Die Chemnitzer Kulturhauptstadt-Bewerbung wirft einige Fragen auf. Zum Beispiel, warum das Motto „AUFbrüche“ heißt, wenn doch so viele ihre Zelte hier ständig ABbrechen und wer da eigentlich auf der Caplock-Taste mAUSgerutscht ist. Oder ob sich später irgendjemand die zufallsgenerierten Slogans „Opening Minds“ und „Creating Spaces“ auf die Wade neben das CFC-Wappen tätowieren lassen wird.
Chemnitz wirkt wie ein tief verunsicherter Teenie zwischen Selbstsuche und Selbstbefriedigung, dem es nicht gelingt, sich von den spießigen Anderen abzugrenzen, aber auch nicht, sich einer coolen Subkultur-Szene anzuschließen und eine respektierte Underground-Größe zu werden. Frage: Was braucht ein taumelnder Teenie in der schwierigen Phase der Identitätsfindung? Genau: Vorbilder, Idole, Bravo-Starschnitte an der Wand. Da sieht es nicht so gut aus in Chemnitz, da gibt es quasi nur den Lulatsch, aber der ist vielen Chemnitzern  zu tolerant, und Kraftklub, aber die sind vielen Chemnitzern zu linksradikal. Nein, der gemeine Chemnitzer will endlich mal ungehemmt lokalstolz sein, will jemanden, der ihn im MDR-Riverboot repräsentiert und in der Carmen-Nebel-Show, will jemanden, den er am Marktplatz mit Deutschland-Fahnen empfangen kann, der einmal wöchentlich im Roten Turm Autogramme schreibt. Anschlussfrage:  Was haben Michael Ballack, Matthias Schweighöfer, Katarina Witt und Alexander Gauland gemeinsam? Genau: Sie leben alle nicht mehr in Chemnitz. Und die ganze Stadt trauert zumindest den ersten drei, vielleicht auch letzterem, nach wie ein Kleinkind dem verlorenen Lieblingskuscheltier. Das wollen wir ändern und beantragen hiermit 2.500 Euro Mikroprojekt-Gelder für die erfolgreiche Rückführung von ehemaligen Chemnitz-Legenden. Damit die gesamte Stadt auch mal eine Identifikationsfigur abseits des Sprechenden Nischels hat, damit Chemnitz endlich Kulturhauptstadt wird. Folgend ist aufgeführt, wie die vier deutschen Megastars die Stadt und ihre Bewerbung um die europäische Städtekönigin 2025 bereichern könnten.

 

Michael Ballack: Unser Capitano, der Sommermärchenprinz, der Grund, warum man als Mädchen damals Sportärztin werden wollte: Neben dem mies guckenden Maskätzchen gilt Michael Ballack als die einzige legitime Legende des CFC. Weil man als Chemnitzer Prominenter entweder woanders geboren wurde, und nur mal kurz in Chemnitz gelebt hat, oder in Chemnitz geboren wurde, und danach nie wieder in Chemnitz gelebt hat, wurde Michael Ballack in Görlitz geboren. Weil Michael Ballack dann aber in „Wittschensdorf“ aufwuchs, für die Betriebssportgemeinschaft „Motor Fritz Heckert Karl-Marx-Stadt“ spielte und mit dem CFC in die Regionalliga abstieg, hat er mehr Chemnitz-Credibility als Pfandflaschen Rico und der Reifenstecher zusammen.

Warum Ballack: Chemnitz könnte ein bisschen mehr sein wie er: Ein bodenständiger Kosmopolit, der seinen sächsischen Dialekt nie ganz abgelegt hat, Kunst sammelt und mit Neo Rauch im Atelier abhängt. Außerdem war Michback das Gesicht von „Ab in den Urlaub“ und kennt sich demnach gut mit Touristen aus — und mit zweiten Plätzen, Stichwort „Vizekusen“. Das könnte von Vorteil sein, falls Chemnitz gegen Dresden verliert, weil Dresden die warmherzigere Willkommenskultur hat. Der Zweite ist zwar der erste Verlierer, aber mit dem Micha als Mr. Kulturhauptschaft wird es nur noch Gewinner geben. Wie man ihn zurück locken könnte:  Mit einem Job als Regionalliga-Experte bei „Sport im Osten“ und einem ordentlichen Abschiedsspiel in der ehemaligen Community-4-You-Arena.
Wo er wohnen würde: In einer modernen Villa mit Infinity-Pool und Lulatschview, direkt am Chemnitztalradweg
Wie er Chemnitz zur Kulturhauptstadt machen könnte: Er übernimmt die Kunstsammlungen, wird Sportchef beim Verein und entwickelt ein innovatives Konzept, das viertklassigen Fußball mit erstklassiger Kunst, Hoch- mit Fankultur verknüpft. Das Brücken schlägt zwischen dem Chemnitz, das bei Wagners Ring Sektgläser schwenkt, und dem Chemnitz, das in der Südkurve blau beschalt Beleidigungen grölt.
Alternative, falls es nicht klappt: Torhüter Ralf Fährmann. Lange beim CFC, mittlerweile bei Schalke zur Nummer 2 degradiert – einmal Chemnitz, immer Chemnitz.

Matthias Schweighöfer:
„Schweigi“ ist auch ein bisschen wie Chemnitz: Eigentlich ein Indie-Typ, der sich im Mainstream verlaufen und nie wieder zurückgefunden hat. Einst war er die große deutsche Kinohoffnung (Kammerfilmmern! Schiller! Soloalbum!) wurde dann leider tillschweigerisiert (Schlussmacher, Vaterfreuden, Der Nanny), so wie Chemnitz nie die große deutsche Städtehoffnung war, dann aber leider verkellnbergert wurde. Schweighöfer hat zehn Jahre in Chemnitz gelebt, das entspricht einer durchschnittlichen Chemnitz-Verweildauer, und Abi am Andrègymnasium gemacht, während seine Mutter am Schauspielhaus engagiert war. Ja, es soll sogar Leute geben, die gemeinsam mit ihm in der Theater-AG gespielt haben, das aber öffentlich nie zugeben würden.

Warum Schweighöfer:  Chemnitz ist eine Stadt, die in ihrer Beliebigkeit fast schon einzigartig ist. Mit Beliebigkeit und Mainstream kennt sich Schweighöfer  bestens aus, weiß aber auch, wie man trotzdem charmant, „authentisch“ und supersweet bleibt – als Mr.  „Stadt mit drei O“ wäre er deshalb prima geeignet.
Wie man ihn zurück locken könnte: Mit der Amazon-Prime-Serie „You are Hacker.T“ über Hacker im Heckert, bei der er sich endlich mal wieder als ernsthafter Charakter-Schauspieler beweisen könnte. Oder mit einem Dauerengagement in der Chemnitzer Stadthalle, dem Las Vegas des Ostens, wo er zweimal wöchentlich mit der „Lachen. Weinen. Chemnitz-Show“ auftreten und den längst verloren geglaubten Glamour der Nullerrjahre in die Stadt zurückbringen würde.
Wo er wohnen würde: Oben drin im Oberdeck, ein modernes, offenes Loft mit Boxspringbett, industriellem Shabby-Chic-Interior und Blick auf die müde funkelnden Arbeiterstadtlichter der pulsierend schnarchenden Erzgebirgsmetropole.
Wie er Chemnitz zur Kulturhauptstadt machen könnte: Mit der rührenden Hochglanz-Dramödie „Der Ronny“ über eine Neunzigerjahre-Jugend in Chemnitz inklusive Nacktszene am FKK-Bereich des Rabensteiner Stausees.
Alternative, falls es nicht klappt: Levina – die ist auch mal in Chemnitz zur Musikschule gegangen, macht tillschweigerfilmtaugliche Musik und hat beim ESC so gut abgeschnitten wie Chemnitz bei sämtlichen wichtigen Städterankings (vorletzter Platz).

Katarina Witt:
In Sachsen auch liebevoll „de Wittn“ genannt.  Stammt aus Berlin, aber auch aus der stählernen Karl-Marx-Städter Kaderschmiede, wurde unter den Fittichen Jutta Müller zum Weltstar im Eiskunstlauf und von Ingo Steuer bespitzelt – eine Leistungs- und Leidensgeschichte wie man sie in Chemnitz liebt und lebt

Warum: Zurückhaltung, Bodenständigkeit, harte Arbeit  — das sind die unerschütterlichen Grundfesten des Chemnitzer Wesens, und Kati vereint sie alle.  Darüber hinaus verkörpert sie ein Stück DDR-DNA, und auf dieses bis dato vergessene Kapitel der Karl-Marx-Städter Stadtgeschichte sollte man bei der Bewerbung unbedingt setzen.
Wie man sie zurück locken könnte: Mit einer eigenen Tanz-Show im Pentagon3, einer Freitagabend-Talkshow im Sachsenfernsehen und der Moderation der Flirtparty im Eissportzentrum.
Wo sie wohnen würde: Klassisch und zeitlos In einer Stadtvilla am Rande des Küchwalds
Wie sie Chemnitz zur Kulturhauptstadt machen könnte: Mit der von ihr präsentierten RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus. Das Betondschungelcamp“, bei der hochkarätige europäische Promis in Chemnitz ausgesetzt werden und sich irgendwie in der Stadt durchschlagen und extrem harte Betondschungelprüfungen absolvieren müssen, z.B. mit der MRB unversehrt nach Leipzig gelangen oder Sonntagabend eine geöffnete Bar auf dem Kaßberg finden. Wer am längsten durchhält und am Ende alle Zenti-Rendezvous-Zeiten auswendig kann, wird BetondschungelkönigIn.
Alternativen, falls es nicht klappt: Matthias Steiner. Der hat sich auch in Chemnitz zum olympischen Gold trainiert und außerdem. Genau!

Alexander Gauland
Der stets schlecht krawattierte Gaulandleiter der AfD wurde 1941 im Gau Chemnitz geboren, wuchs im großbürgerlichen Super-Gau Kaßberg auf und besuchte unter anderem ebenfalls die Andrè-Schule. Doch weil ihm nach dem Abitur das Studium versagt wurde, kam er 1959 als Flüchtling nach Westberlin, wo er zunächst in einem Notaufnahmelager untergebracht wurde, das wollten wir hier nochmal extra erwähnen. Alexander Gauland war mal schwer CDU und ist jetzt schwer AfD, quasi ein Symbolbild  für die landespolitische Laufbahn Sachsens. Die Ausschreitungen in seiner Heimatstadt nannte er eine „normale Reaktion“ – Gauland könnte die Stimme des gelbwestigen Wutbürgertüms und ein Repräsentant des Altersdurchschnitts der Stadt werden.

Warum Gauland: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert. Nach den Ereignissen im August kann sich Chemnitz jetzt endlich frei entfalten und eine Bewerbung mit dem Motto „Mit Rechten leben“ einreichen, in der sie offen kommuniziert, dass sich das Problem nicht einfach so wegvermarkten lässt.
Wie man ihn zurück locken könnte: Mit einem rechten Flash-Mob in der Chemnitzer Innenstadt, mit wöchentlichen Nazi-Demonstrationen vorm Nischel, einer Bürgerstreife und einem Pro Chemnitz-Bürgertreff. #ohwait
Wo er wohnen würde: In der Barbarossastraße 22 natürlich, der Mann steht schließlich auf und für Altbewährtes
Wie er Chemnitz zur Kulturhauptstadt machen könnte: Indem er die weinerliche Subkultur mit ihrer endlosen Geldgier gleichschaltet und Chemnitz endlich wieder deutscher und traditioneller macht, dazu gehört allerdings auch die Abschaffung des unsäglich progressiven „Stadt der Moderne“ Titels.
Alternativen, falls es nicht klappt: Beate Zschäpe –  das ist ohnehin viel realistischer und im Frauengefängnis ist immer eine wohlig warme Zelle für sie frei.

Ein Kommentar

  1. Ramona Fröhner

    Hier wird wieder dem alten und vergangenem nachgeweint und versucht zurück zu holen. Das neue, das eigentliche und das traditionelle Chemnitz kommt auch 30 Jahre nach der Wende immer noch nicht zum tragen.

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