Die Post der Moderne: Was im Januar und Februar in Chemnitz geschah
Die Post der Moderne: Was im Januar und Februar in Chemnitz geschah

Die Post der Moderne: Was im Januar und Februar in Chemnitz geschah

Als wir uns für den Zweimonatsrückblick nochmal reizüberflutet durch die letzten Meldungen geklickt haben, ist uns aufgefallen, dass es in den vergangenen Wochen abseits der Kulturhauptstadtbewerbung eigentlich nur drei andere große Themen gab: Sonne, Grippe und Nazis. Wobei sich die beiden letzteren ziemlich ähnlich sind: Viraler Rotz, der gefährlich ansteckend ist und in jeder Hinsicht krank macht. Die Kulturhauptstadtbewerbung wiederum ist mit ihren Lenkungsgruppen, Programmräten, Beratern und Kulturbotschaftern so bürokratisch verwirrend, dass sie ein eigenes „abgefakt“ verdient hat. Die Sonne hingegen scheint. Der einzige zuverlässige Hoffnungsschimmer für die Stadt zu sein, denn kaum liegt die erste zarte Ahnung von Frühling in der Luft, eiskaliert ganz Chemnitz auf einem Niveau wie man es sonst nur aus dem mediterranen Süden kennt. Plötzlich tut die halbe Stadt so, als gäbe es sie im Winter gar nicht, bildet Schlangen vor Eiscafés wie die Leute in DDR-Witzen, lächelt manchmal sogar, sitzt selig in der Sonne und trinkt Aperol und sieht dabei kurz, ganz kurz nur, ein bisschen italienisch aus. Überall sind dann Menschen, wirklich überall, sogar auf dem Brühl, und man muss sich erstmal zurechtfinden mit so viel seltener Chemnitzer Lebensfreude. Wenn man sich erstmal aklimatisiert und vorm Café feierlich angesessen hat, kann man sich zurücklehnen undl in Ruhe die Post der Moderne lesen.

Gegen Grippe und Nazis ist Chemnitz leider nach wie vor nicht immun – beide halten sich ziemlich hartnäckig, die Stadt hat sich infiziert, und bräuchte eigentlich dringend eine Schutzimpfung. Die Rechte Szene rückt weg von den dumpfen Demos mit Pornostar-Plakaten, hin zum sorgfältig gesponnenen Netzwerk, denn das sächsische Manchester ist das ostdeutsche Dortmund. Erst wird ganz offiziell Beate Zschäpe zurückgekauft, dann das CFC-Logo von Neonazi-Veranstaltern missbraucht.

Pro Chemnitz macht keine Freitagsdemos mehr, Pro Chemnitz trägt jetzt Gelbwesten und sieht dabei noch lächerlicher aus als sonst, Pro Chemnitz bildet neue “Bürgerstreifen” aus, und folgt damit unserem beispiellosen Beispiel, Pro Chemnitz organisiert Themen-Abende und plant, unter Gegenprotest, einen Bürgertreff, und wir planen schon mal einen Clubcheck, der hat bis jetzt immer zuverlässig gegen neue Szene-Clubs gewirkt. Dem Verfassungsschutz ist plötzlich aufgefallen, dass Pro Chemnitz vielleicht doch rechts gefährlich ist und man da mal ein blindes Auge drauf werfen könnte.
Wir sollen nicht so immer viel über Nazis schreiben und schon gar nicht scherzen, beschwerten sich kürzlich mehrere Facebook-User bei uns, das verzerre schließlich das Bild von Chemnitz, das wäre doch überhaupt kein Thema mehr. Naja, ist es eben doch – auch wenn wir hier gerne anderes berichten würden. Das Thema ist zwar etwas stiller geworden, dafür aber konsistenter, etwas weniger akut, dafür aber chronisch, auf keinen Fall sollte man es unter den Teppich schweigen und schon gar nicht aus Image-Gründen. Es ist ein bisschen wie mit der MRB – über die haben wir auch schon tausendmal geschrieben und trotzdem liefert sie immer wieder neuen Anlass dazu. Die Medien feiern “Sechs Monate nach den Ausschreitungen”, die Hotelbranche und die Gastronomie-Betriebe beklagen spürbare Auswirkungen, der boomende Chemnitz-Tourismus, der bisher vor allem aus Weihnachtsmarkt-Groundhoppern, Schlagerfans und Betonwirtschaftslobbyisten bestand, ist eingeknickt, internationale Gäste haben ihre Besuche abgesagt, das alles war erwartbar.

Doch zum Glück gibt es die von grippalen Personalmangel und von schwerer Kommunikationsverstopfung geplagte CVAG, die BVG des Ostens – die aktuell scheinbar die Viren scharenweise in Bussen von A(ltendorf) nach B(ernsdorf) transportiert und die gerade Wutemojis sammelt wie andere Paybackpunkte. Die will dem Tourismusdebakel jetzt mit einem genialen, weil von uns geklauten, Konzept entgegenwirken: Der Ringbus soll es richten, wie immer.
In coolen Städten müssen Technoclubs meist Eigentumwohnungsbauprojekten, in Chemnitz muss das Nachtleben eher extremen Ruhebedürfnissen weichen, die Chemtrifizierung hat eben ihre eigenen Regeln. Doch jetzt passiert auch hier endlich das, was man sonst nur als urbanen Mythos aus Szenestädten wie Zwickau oder Bitterfeld kennt: Die Gentrifizierung des regionalen Personennahverkehrs. Der Technobus, der bereits letztes Jahr wegen veränderter Linienführung schließen musste, soll zum Touribus werden. Damit die unzähligen Touristen, die vor allem seit August 2018 nach Chemnitz kommen, auch mal was anderes sehen als Nazis vorm Nischel. Vom Techno- zum Touribus, von der Raver- zur Rentnerlinie, die MoPo zählt schon mal die touristischen Streckenhighlights auf. Unter anderem das Grab von Richard Hartmann, dem Jim Morrison der Eisenbahner-Szene. „Berühmte Gräber ziehen Touristen an“ steht im Text. Demnach müsste sich Chemnitz vor Touristen ja kaum retten können, so viel Hoffnung und Ambition wie hier schon begraben wurde.

Auch ein kitschiges Chemnitz-Video, das im Rahmen einer „So geht Sächsisch“-Ausschreibung entstanden ist, könnte dabei helfen, wieder mehr Ü65-Touris in Massen und Renterreisebussen in unser beschauliches Betonparadies zu locken. Was in anderen Städten nicht mal eine Randnotiz im Facebook-Feed wäre, war der Freie Presse fast schon eine Sonderausgabe und dem Sachsenfernsehen einen Brennpunkt wert. Als hätte es keine Baustellen, kein Winterchaos, keine Busausfälle, keinen Anwohnerärger und keine CFC-Krise gegeben, stürzte sich die Presse auf dieses Video wie die amtierende Mister Minderwertigkeitskomplex. Zu wenig positiv hieß es, zu wenig Nischel, zu wenig stolz, zu viel Oma, und am schlimmsten: zu wenig sächsisch, so empörte sich die Bild. Wenn sich eine Stadt an ein paar harmlosen, travelpornkonformen Bildern so sehr aufreibt, dann hat sie eindeutig einen dicken, fetten Mittelmaßkomplex.

Und sonst so?
Die Schlagzeilengenerator-Schlagzeilen der Monate sind eindeutig:
Züchter prügeln sich auf Bundes-Rammlerschau 
und:
Was passiert, wenn man sich erst im Stadthallenpark besäuft und anschließend gegen Kellnberger Sturm läuft? Genau: Betrunkener rammt Technisches Rathaus.

Ein Kommentar

  1. Wir brauchen nicht über Nazis zu reden. Wir sollten über die verlustig gegangene Demokratie und deren bezahlten Macher reden. Der Kreis würde sich nicht schließen aber der Ursprung unserer demokratischen Denkweise könnte zurück kehren. Zurück in die Köpfe derer welche nicht Chemnitz sehen sondern die Nazihochburg. Die dann doch keine ist. Ein Kohl macht noch keinen Mann.
    Bei der Kulturhauptstadt sieht es schon wieder ganz anders aus. Da wird mit sehr viel Geld Werbung für unsere Stadt gemacht. Aber auch diese ist mit Vorsicht zu genießen. In den TV Beiträgen und Magazinartikeln wird immer wieder der Mord an Daniel H. zitiert, welcher zum Zeitpunkt des Stadtfestes geschah aber nichts damit zu tun hatte. Die Demokratie hat auch hier versagt und nicht klar und deutlich gesagt wie diese dazu steht, hat sich in der von Staat und Kirche getrennte Einrichtung feiern lassen und derweil das Feld AfD und Co. überlassen. Es wäre ein leichtes gewesen das alles zu verhindern. Für Demokraten. Nicht für Politiker. Zum Schluß kommt dann doch immer noch was zur Kutlurhauptstadt. Die Macher haben sich wieder vermehrt und mindestens ein Dutzend Gruppen kämpfen nun dafür das sie das sind als was sie nach außen nicht mehr wahrgenomen werden. Da schieben sich wieder die alther bekannten Typen alles so hin und her bis es paßt. Schlimm wird es wenn dann Städträte mti ihren knabenhaft aussehenden Freundinnen das machen was sie als gemoptes Kind schon lernen mußten: Lügen und Betrügen was das Zeug herhält.
    Was soll´s. Es wird nicht besser und hoffentlich auch nicht schlechter. Bei der CVAG ist schon vor der nächsten Preiserhöhung Fasching angesagt und der Rest feiert schon seit gestern. Zur Stimmung kommt das passende Wetter.
    Wir lieben es.

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