Wiki-How Chemnitz: Wählen gehen und gut dabei aussehen
Wiki-How Chemnitz: Wählen gehen und gut dabei aussehen

Wiki-How Chemnitz: Wählen gehen und gut dabei aussehen

Am Sonntag ist es endlich soweit: Die Kommunal- und Europawahlen Landtagswahlen werden tausend wahlwütige Chemnitzer Sachsen an die Urnen locken, wie es sonst nur die städtischen Friedhöfe tun. Das Wahllokal gilt gemeinhin als der Nachtclub der politischen Landschaft: Wie fast nirgendwo anders gilt es hier, der oder die Coolste zu sein, Haltung oder die Fassung zu bewahren, den Absturz abzuwenden, der am Ende doch wieder passiert (vor allem, wenn man SPD-Wähler ist), und nicht der/die Erste oder Letzte im Wahllokal zu sein, weil das bekanntermaßen peinlich ist. Das Wahllokal ist ein Ort für gebrochene Herzen und triumphale Freudestaumel, für Rausch und Ernüchterung, fürs Fremdflirten und fürs Prügel  austeilen. Damit ihr am Sonntag auch mit Abstand die Coolsten an der Urne seid, haben wir euch vorab nochmal ein kleines Wiki-How geschrieben. Heute: Wählen gehen und gut dabei aussehen.

1_Finde deine Wahlunterlagen:
Deine Wahlbescheinigung hast du schon vor Wochen bekommen, versehentlich für einen Brief vom Finanzamt gehalten und direkt weggeschmissen? Das ist schlecht, aber du kannst trotzdem wählen gehen – dafür brauchst du nur deinen Personalausweis und das richtige Wahllokal. Vielleicht hast du den Brief aber auch gemeinsam mit dem Amtsblatt und dem Photoshop-Phillip-Flyer der authentischen Pizzeria „Himalaya“ aus dem Briefkasten gefischt und auf den Papier-Mount-Everest in deiner staubigsten Schlafzimmerecke geworfen? Das ist super, jetzt musst du ihn nur noch finden. Deine Wahlbescheinigung hängt längst laminiert und von Wahl-Flyern gerahmt an deinem Sachsen-Wutboard? Das ist perfekt. Ab zur Urne! 

Perfektes Outfit deiner Wahl: Europa-Sweater, Lulatschschal, gute Laune und festes Schuhwerk

2_Achte auf ein lässiges Outfit:
Schon der große deutsche Wertschöpfer Karl Marx hat gesagt: „Wer in der Jogging-Hose zur Urne geht, hat die Kontrolle über sein Wählen verloren“, deshalb solltest du dich unbedingt in deinen guten Wahlsonntagsstaat werfen und sicher gehen, dass nicht nur das Kreuz sondern auch das Haar richtig sitzt. Für alle, die auf das Wahlgeheimnis schwören, wird es schwierig, dieses auch style-technisch umzusetzen, da fast alle Farben parteipolitisch besetzt sind: Die aktuell wieder angesagten Bauhausfarben implizieren eine seltene FDP-SPD-AfD-Koalition, die niemand ernsthaft wollen kann, Schwarz ist in Sachsen schon lange ein No-Go und bei reinem Rot ist die Gefahr groß, vorm Wahllokal von Pro Chemnitz oder der NPD auf die Fresse zu bekommen. Bleibt also nur zeitloses Chemnitz-Beige, auch als „Kleines Schwarzes“ des Ostens bekannt. Schlicht, schick, nicht zu sexy, sondern seriös und so senil, wie man sich an einem gewöhnlichen sächsischen Wahlsonntag eben zeigen will.
Prinzipiell ist es aber cooler, beim Wahloutfit so viel Mut und Farbe zu bekennen wie der CFC in seinem „Kampf“ gegen Rechts, und ganz offen das Trikot seiner Lieblingspartei  zu tragen. Einige Chemnitzer Sachsen schwören auf großflächige Wehrmacht-Tattoos, CFC-Schals, Kleidungsstücke in Kohlmann-Gedächtnis-Orange, das auch nur ganz beiläufig an das Pariser Westen-Gelb erinnert, und „Ich bin Chemnitzer Sachse und stolz drauf“-Badges im Facebook-Profilbild, doch das sind absolute No-Gos in der laufenden Mode-Saison.  Stattdessen lautet das Style-Motto des diesjährigen sächsischen Superwahljahrs „Fashion statt Fascho“.

Deswegen lautet unser  Fashion-Tipp: Trendbewusste Urnengänger stylen sich politisch lässig: Europa-Sweatshirt und Lulatsch-Schal für ein bisschen Lokalkolorit, festes Schuhwerk und gute Laune sind Pflicht.

3_Geh zur richtigen Uhrzeit wählen
Die Wahllokale öffnen um 8 Uhr morgens, Reinfeiern ist also definitiv eine Option und du kannst einfach die Nacht vorher beim innerstädtischen Hutfestival-Exzess durchmachen. Einerseits ist es zwar cool, nach einer hart durchzechten Nacht in die Wahlkabine zu kotzen und trotzdem das Kreuz richtig zusetzen, andererseits ist es auch so peinlich wie der/die Erste im Club zu sein oder Montagmorgen vorm Lidl nach Heidi Klum BHs anzustehen. Vermutlich wirst du um die Uhrzeit keine Bekannten, sondern nur deinen Opa im Wahllokal treffen, aber dafür hast du deine Bürgerpflicht früh erfüllt und kannst beim Katerfrühstück im Minutentakt die Homepage der Stadt Chemnitz den weltweiten Live-Ticker zum Niedergang des Ostens aktualisieren. Das Gegenteil davon wäre, kurz vor 18 Uhr wählen zu gehen, weil die coolen Kids eh immer zu spät kommen, allerdings ist das wiederum ein bisschen so, wie um vier in den Club kommen, und feststellen müssen, dass von der heftigen Party nur noch ein räudiger Restetanz übrig geblieben ist. Wenn du Menschen komplett meiden, aber nicht auf’s Wählen verzichten willst, kannst du auch Briefwahl beantragen oder einfach mittags um zwölf wählen gehen, wenn sich die Stadt  der Freistaat kollektiv schmatzend über den Sonntagsdöner beugt.  

Unser Tipp: Als beste Zeit zum Sehen und Gesehenwerden bzw. Wählen und Gewähltwerden gilt zwischen 16 und 17 Uhr, wenn der Fernsehgarten vorbei, der Restalkohol im Lebergewebe versickert, der Braten verdaut und das Hirn wieder frisch und fröhlich ist. 

Cornern vor der Wahlkabine mit Clutch und Kläffer

4_Geh nicht alleine wählen
Allein auf ein derart wichtiges politisches Event zu gehen ist, als würdest du zu Silvester Raclette nur mit dir selbst machen, alleine im pinken Flamingo über den Schlossteich rudern oder der einzige Fahrgast in der Parkeisenbahn sein. Also triff dich mit deiner Clique zum Vorglühen oder besorgt euch beim Späti um die Ecke Snacks und Weglimos und lauft vereint zur Wahllocation. Alternativ könnt ihr euch auch auf eure Volksfahrräder schwingen und noch mal kurz beim benachbarten Wahllokal vorbeifahren, um den anderen zu demonstrieren, welcher Wahlkreis die Urne mehr owned. Am Ende wählt zwar jeder für sich allein, aber der Weg dorthin macht gemeinsam viel mehr Spaß. Bitte daran denken: Don’t drink and vote! 

5_ So wählst du richtig:
Bei der Europawahl hast du nur eine Stimme und wählst damit eine Partei. Bei der Kommunalwahl hingegen hast du drei Stimmen, die du beliebig auf die Kandidaten deines Wahlkreises verteilen kannst. Du kannst einem Kandidaten alle drei, aber auch nur eine Stimme geben Landtagswahl hast du zwei Stimmen, mit der Erststimme wählst du den Direktkandidat oder die Direktkandidatin für deinen Wahlkreis, mit der Zweitstimme eine Partei. Falls du alle zwei Hakenkreuze bei der AfD setzt, ist es wichtig, auch noch ein drittes, vielleicht auch ein viertes zu machen. Bei der sächsischen Landtagswahl musst du dich außerdem entscheiden, ob du taktisch wählst und somit eventuell Idealverrat begehst oder ob du dich mit einer Mitleidswahl blamierst, aber dafür stark bedürftigen Parteien zu zwei, drei Stimmen mehr verhilfst.
Vielleicht bist du mit der Hälfte aller einigen Kandidatinnen und Kandidaten verwandt, bekannt, befreundet, verheiratet, zerstritten oder benachbart und solltest darauf achten, dass du dir deine Wahl nicht durch etwaige Sympathien, Antipathien oder Bestechungsversuche vernebeln lässt. Es  hilft, nochmal ganz genau zu reflektieren, ob dich dein Nachbar in letzter Zeit verdächtig oft zum Grillen eingeladen oder wieviele Drinks dir deine Kollegin zuletzt so spendiert hat. Stattdessen solltest du die Wahlplakate entscheiden lassen: Inhalte haben die alle nicht, die Slogans sind auch alle gleich, aber Farbgestaltung, Typografie und Interpunktion sind immer gute Indikatoren für Wählbarkeit.

Bitte nicht nachmachen: Selfie-Stick in der Wahlkabine könnte gegen die Regeln verstoßen

6_In der Wahlkabine
Die Urne ist keine besonders grammable Location, aber wenn du trotzdem Selfies oder Insta-Stories in der Wahlkabine machen willst, solltest du darauf achten, dass der Stimmzettel nicht mit im Bild ist. Lautes Mit-Headset-Telefonieren oder eine Facebook-Live-Übertragung würden wir eher nicht empfehlen. Auch würden wir dir davon abraten, den Selfiestick mitzunehmen, um heimlich rüber in die Nachbarkabine zu fotografieren und bei deinen Freunden abzuschreiben. Die Wahlkabine ist zwar ein stilles Örtchen, aber noch lange kein Klo, deshalb ist es das Beste, wenn du dein Telefon einfach in der Tasche lässt und dich auf den Stimmzettel konzentrierst, auch wenn du deine Follower natürlich gern an dem Mega-Event teilhaben lassen würdest. Für alle die Prüfungsangst haben und vor der Wahl super aufgeregt sind: Entspannt bleiben, tief durchatmen, in die Wahlkabine gehen, den Stimmzettel in Ruhe ausfüllen, in die Briefumschläge stecken, in die Urne werfen, fertig. Falls die Wahl zu schwer war, kannst du im Nachhinein immer noch eine Petition dagegen starten. 

Profi-Tipp: Vergiss nicht, auf deinem Wahlzettel zu unterschreiben, wenn du die AfD gewählt hast. 

7_Nach der Wahl
Nach der Wahl ist vor der Wahlergebnis-Hochrechnung: Jetzt kannst du dich entspannt zur dritten Halbzeit vorm Rathaus verabreden und dich ungehemmt mit den Anhängern der anderen Parteien kloppen, während das Glockenspiel „Die Gedanken sind frei“ läutet. Alles ist möglich: Chemnitz-Fahnen, Vuvuzelas, Bengalos, Sachsen-Schals, Lulatsch-Merch, GGG-Wimpel und CVAG-Buttons, Autokorso, FDP gegen Grüne, SPD gegen CDU, Freie Wähler gegen Die PARTEI, Lars Fassmann gegen alle, Miko Runkel gegen die Innenstadt, alle zusammen für ein besseres  Chemnitz SACHSEN. Irgendwo findet sicher eine Aftershowparty statt, bei der ihr gemeinsam die Homepage der Stadt Chemnitz globalen Liveticker zum Niedergang des Ostens f5en und parallel dazu die Phoenix Live-Berichterstattung suchten könnt. Jeder Mensch geht anders damit um, wenn das Wahlergebnis nicht wie gewünscht ausfällt und die Lieblingspartei absteigt oder trotz eines klaren Drei-Stimmen-Vorsprungs auswärts doch noch kläglich ausscheidet. Ob Frustkiffen im Stadthallenpark, Sorgen wegspülen mit Schnaps, Wutausbrüche an der Bushaltestelle, Trauermarsch zum Nischel oder stilles Weinen auf den Treppen der Pablo Neruda-Grundschule – Anlass zum Traurigsein wird es auf jeden Fall geben. Trotzdem zählt beim Wählen der olympische Gedanke: Dabei sein ist alles.

Dritte Halbzeit macht auch vorm Balkendiagramm Spaß

2 Kommentare

  1. An dieser Stelle möchte ich doch mal noch auf eines hinweisen: Die Briefwähler! Und die Briefwählerinnen. Egal ob m/w/d. Es gibt sie.
    Diese Rubrik und eine nicht zu unterschätzende Wählergemeinschaft wird in dem Artikel völlig ausgeschlossen, verschwiegen oder als unbeachtet unter die noch nicht aufgestellten Wahlurnen gekehrt, so wie es mit den vielen Kanditaten geschieht welche als Kanonenfutter dienen und nie eine wirkliche Chance haben die Geschicke der Stadt weiter fünf Jahre und immer wieder aufs Neue ins Abseits der Beliebheitsskala zu führen.
    BriefwählerInnen sind gleichberechtigte WählerInnen und haben den gleichen Anspruch darauf zu erheben gleichberechtig mit benannt zu werden. Auch BriefwählerInnen kommen ihrer demokratischen Pflicht immer gut gekleidet und volltrunken oder auch nüchtern nach. Eine Onlinepetition könnte das verschweigen dieser Gruppe bei der nächsten Wahl verhindern helfen.

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