Maken war letztes Jahr, seit der europäischen Kulturhauptstadt muss man in Chemnitz vor allem Kunst kennen. Bei all den wichtigen Kunstevents, die es gab und gibt, kann man schon mal die Übersicht verlieren: Was sagt man wo? Wen trifft man wo? Wo sind die wichtigsten Spots, wer die wichtigsten Player im Chemnitzer Kunstgame? Eine Übersicht über alles, was ihr kennen solltet
Kunstsammlungen
Wen man hier trifft: Westdeutsche Kulturtouristen mit Hüten, Kunstkompetenz und Reiseführern, Menschen, die es nicht ganz bis nach Dresden geschafft haben, Ingrid Mössingers Schatten, Leute, die Edvard Munch noch persönlich von früher kennen, Osmar Osten.
Was man hier macht: Ganz klassisch: Die Arme hinter dem Rücken verschränken, mindestens zwei Minuten vor jedem Bild stehen bleiben, immer auch einen Schritt zurückgehen für den besseren Gesamteindruck, danach vielleicht noch ein Piccolöchen im Museumscafé.
Was man hier sagt: „Ach, der Schrei, das ist doch nur ne kleine Litho.“ – „Ich habe mir für Ende Oktober noch mal drei Zeitslots gebucht.“ – „Wie, Munch war nur drei Wochen in Chemnitz? Ich war auch mal drei Wochen auf Capri. Machen die jetzt auch ne Ausstellung über mich, höhöhö.“ – „Das Schiff ist völlig überbewertet“ – „Die moderne Kunst wäre ohne Die Brücke heute nicht dieselbe!“ – „Also wir auf dem Kaßberg sagen ja KaSchmiR zu Schimdt-Rottluff!“
Was man hier trägt: Seidene Halstücher und Schals, Karl Schmidt-Rottluff-Colorcode (Grün, Blau, Gelb, Rot), „Schrei“-Socken aus dem Giftshop, gedecktes Beige, um dem grellen Expressionismus etwas mehr Ernsthaftigkeit entgegenzusetzen. Man kann sich auch in die Farben der Esse hüllen, eine modische Reminiszenz an Daniel Buren, aber die Wahrscheinlichkeit, dass man dann sofort von der eins Energie verklagt wird, ist hoch.
Wen oder was man hier kennen sollte: Sämtliche Brücke-Künstler, Frédéric Bußmann, Karl Schmidt-Rottluffs Eltern, Bob Dylan, die Befindlichkeiten der ehemaligen Clara-Mosch-Mitglieder, die Kuratorin, Osmar Osten.
Größter Fauxpas: „Die Dresdner hams gut, die haben Caspar David Friedrich“, versehentlich Kartoffelbrei auf den Schmidt-Rottluff kleckern, nichts über Edvard Munch oder Van de Felde wissen.

Museum Gunzenhauser
Wen man hier trifft: Leipziger:innen, die in Kunstpartybussen angekarrt werden und sich darüber beschweren, dass im Museumsfoyer nach 22 Uhr keine Afterhour mit Koks-Buffett geht, Leipziger:innen, die wieder mit Kassetten auflegen, Leute, die gerade angekauft wurden, das Who-is-Who der hippen Chemnitzer Kunst- und Kulturszene, Michael Ballacks feines Kunstgespür, Osmar Osten.
Was man hier macht: Bier trinken und rauchen, Fotos von der „Das Kapital“-Hüpfburg, im Sommer auf der Treppe draußen rumlungern und die Leipziger:innen beim Wichtigsein beobachten, Fotos vom roten Treppenaufgang, tanzen, heimlich slowenischen Crémant trinken.
Was man hier trägt: Eine seltene deutsche Ausgabe des „European Realities“-Katalog als Accessoire unterm Arm.
Was man hier sagt: „Wie, du wurdest noch nicht angekauft?“ – „Das Gunzenhauser ist unser Moma“ – „Nee, also es sind schon auch Dresdner da“ – „Die Topfpflanzenecke ist meine Lieblingsecke“ – „Neue Sachlichkeit ist billig im Vergleich zum Expressionismus, also kauft!“ – „Unseren größten Kunstfauxpas hatten wir in New York“ – „Die Letten sind auch echt super!“ – „Sehen wir uns dann nochmal im Balboa?“ – „Ich möchte den Kandinsky da kaufen!“
Wen oder was man hier kennen sollte: Sämtliche europäische Strömungen der Neuen Sachlichkeit, Ruprecht Geiger, Otto Dix, die Kuratorin, Osmar Osten.
Größter Fauxpas: Zurück nach Leipzig fahren, statt endlich nach Chemnitz zu ziehen.
Purple Path (Eröffnung)
Wen man hier trifft: Auf jeden Fall immer jemanden von der Kulturhauptstadt GmbH, die Fotodrohne von Radar, Alexander Ochs und alle zehn kunstinteressierten Erzgebirger:innen, Osmar Osten.
Was man hier macht: Warten, bis die lange Rede von Alexander Ochs endlich vorbei ist, warten, bis die lange Rede von Alexander Ochs endlich vorbei ist, warten, bis die lange Rede von Alexander Ochs endlich vorbei ist, warten, bis die lange Rede von Alexander Ochs endlich vorbei ist, danach vielleicht noch ein bisschen Blasmusik.
Was man hier trägt: Opas alte Bergmannstracht, dicke Daunenjacken, Parkas, festes Schuhwerk, die „So-geht-Sächsisch“-Jacke von Michael Kretschmer, bunte „Chemnitz2025“-Beutel.
Was man hier sagt: „Ich hab meinen ersten Turrell damals in Kalifornien gesehen, das werde ich nie vergessen.“- „Kunst im öffentlichen Raum ist noch mal ganz anders zu bewerten!“ – „Dafür ist wieder Geld da!“
Wen oder was man hier kennen sollte: Tony Craggs Arbeiten in Wuppertal, den James Turrell in Freising, den Kurator, Osmar Osten.
Größter Fauxpas: Noch mehr reden als Alexander Ochs.

POCHEN
Wen man hier trifft: Alle wichtigen POCHEN-Männer und ab und an auch ein paar andere Gäste, Osmar Osten.
Was man hier macht: Sich eine halbe Stunde lang über sämtliche Texte beugen und trotzdem nicht verstehen, was zur Hölle eigentlich gemeint ist, in dunklen Hallen vor schwerer, bedrückender Kunst und anstrengenden Klanginstallationen stehen und so tun, also würde man alles verstehen oder über seine strapazierte Ost-Seele sinnieren.
Was man hier trägt: Schwarz, Stufenschnitt, seine neu entdeckte Ost-Identität, und immer ein kleines Fremdwörterlexikon mit sich herum.
Was man hier sagt: „Es heißt Biennale, weil es aller ZWEI Jahre stattfindet.“ – „Ich verstehe einfach gar nichts“ – „Ich hasse Klanginstallationen“ – „Diesmal sind aber ein, zwei gute Arbeiten dabei“ – „Die haben ja auch ne ordentliche Kuration“ – „Im Polylog mit der dichotomen Gesellschaft wird die paradoxe Gegenwart zu einem neuralgischen Ist-Komplex komprimiert.“ – „Ah ja, klar.“ – „Sagt doch gleich, dass es um den Ukraine-Krieg geht.“ – „Ich geh noch mal zur Bar.“
Wen oder was man hier kennen sollte: Mindestens einen oder zwei der wichtigen POCHEN-Männer, außerdem mindestens hundert wichtige Fremdwörter, Fördermittelgeber:innen, Osmar Osten.
Größter Fauxpas: „Das Ost-Thema nervt mich langsam.“ In leicht verständlicher Sprache kommunizieren.
Begehungen
Wen man hier trifft: Eigentlich immer jemanden, den man kennt und auch mag, Osmar Osten.
Was man hier macht: Leute treffen, die man kennt und auch mag, mit denen dann an der Bar abhängen und quatschen und dabei Akteure in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten. Zwischendurch schaut man sich bisschen Kunst oder eine anstrengende Performance an, aber Kunst ist hier nebensächlich.
Was man hier trägt: Die Besucherzahlen wie eine Trophäe spazieren und Neunzigerjahre-Vintage-Bloussons.
Was man hier sagt: „Nie wieder Regionalliga“ – „Hast du den Freie-Presse-Artikel gelesen?“ – „Früher war die Bar liebevoller gemacht“ -„Die Location ist schon cool“ – „Die haben dieses Jahr sogar mal eine richtige Kuratorin“ – „Die Arbeiten in der einen Halle sind das Beste, was ich je bei den Begehungen gesehen habe, aber der Rest ist wie immer.“ – „Die erste Halle berührt mich null!“ – „Ey, 7,50 Euro für ein Radler?“ – „Voll der Ausverkauf!“ – „Tja, so isses halt, wenn man sich professionalisiert“ – „Kleingartenanlage war am besten“ – „Brauerei war auch nicht schlecht“ – „Hach ja, damals im Gefängnis, das war schön.“
Wen oder was man hier kennen sollte: Die Geschichte aller Begehungen seit 2003 inklusive aller Vereinsvorstände seit 2003 und aller Locations in chronologischer Reihenfolge rückwärts, Osmar Osten.
Größter Fauxpas: Jedes Nicht-Erscheinen angesehener Akteure wird von den Machern registriert. Jedes!

Hallenkunst
Wen man hier trifft: Alle alten wichtigen Graffiti-Männer der vergangenen 50 Jahre, den Erfinder der Sprühdose, Raplegenden (Torch) und Mythen von Raplegenden (Samy Deluxe), DJ Ron, DJ Shusta, alle jungen wichtigen Graffiti-Männer der vergangenen fünf Jahre, andere VIBs (Very Important Bros).
Was man hier macht: einen auf Straße, aber den Vernissage-Sekt gibt’s dann doch nur für VIBs.
Was man hier trägt: Eigentlich egal, Hauptsache es ist von Carhartt. Außerdem: Längst verblichene Streetcredibility und die Last, jetzt ein seriöser Künstler zu sein.
Was man hier sagt: „Das hab ich damals in New York gesprüht“ — „Meine erste U-Bahn, 1984 in Berlin“ — „Du bist Teil der Legende“ — „Beat Street hat mich radikalisiert“ — „Das meiste, was hier hängt, ist Quatsch“ — „Vieles ist Kitsch“ — „Das dort ist schön. Ja, das ist ja auch MALEREI“.
Wen oder was man hier kennen sollte: Torch, the Complete History of Hip-hop since 1973, die Leute von früher vom Splash!
Größter Fauxpas: Die zehn Säulen des Hip-hop nicht korrekt benennen können, nix von Carhartt tragen, nicht wissen, wer Torch ist.

Galerie Borssenanger (Eröffnung)
Wen man hier trifft: Das hippe Who-Is-Who der Chemnitzer Kunst- und Kulturszene, Leute aus Leipzig, Dresden UND Berlin, alle wichtigen Akteur:innen von den Kunstsammlungen, Museum Gunzenhauser, POCHEN, Begehungen, Purple Path UND Hallenkunst. Osmar Osten.
Was man hier macht: Chips essen und Wein trinken, im Wirkbauhof cornern, mal kurz rüber ins Atomino gucken und feststellen, dass man zu alt für Einlass ab 23 Uhr geworden ist, rote Punkte unter Bilder kleben lassen.
Was man hier trägt: Beanies im Bernsdorfstyle.
Was man hier sagt: „Nehm ich den smokenden Siebenschläfer oder die quarzende Kaulquappe?“ —„Oder doch das rauchende Rotkehlchen?“ — „Der Wirkbau ist das neue Leipzig.“ — „Wo issn der Jan?“ — „Wieso maltn der keine Frauen?“ — „Heute waren wieder Touristen da, aus Düsseldorf!“ — „Wenn der Michael Ballack dann erstmal seine Galerie in Chemnitz hat“ — „Was hattn der so?“ — „Ach, nix Gescheites“ — „Die Leipziger spielen sich wieder auf!“ — „Hat der Bohnenmeister noch auf?“ — „Der Bohnenmeister hat immer zu.“
Wen oder was man hier kennen sollte: Osmar Osten.
Größter Fauxpas: Karaoke singen, „Ich kauf mir lieber was in der Rebel Art Gallery.“
Momentum Galerie
Wen man hier trifft: Leute, die fast alle wesentlich jünger sind, als man selbst (in Chemnitz selten), aber durchaus auch renommierte Kunstakteure, Jan Böhmermann, Jan Böhmermanns alten E-Roller.
Was man hier macht: Raven oder draußen stehen und rauchen.
Was man hier trägt: Schwarz, Leder, Keta-Pony, klobige Schuhe, jugendliche Coolness, eine gewisse Abgeklärtheit.
Was man hier sagt: „Ey hier ist wie Berlin!“ – „Ich kenn hier fast niemanden“ – „Krass, so viele junge Leute“ – „An der Bar kann man mit Paypal zahlen“ – „Wir spielen sowas von Berlin“ – „Das ist der Roller vom Böhmermann!“
Wen oder was man hier kennen sollte: Wen oder was man alles kennt, ist hier noch völlig egal.
