Wirkbau oder Die Fabrik: Welches Chemnitzer Maker-Mekka ist besser?
Wirkbau oder Die Fabrik: Welches Chemnitzer Maker-Mekka ist besser?

Wirkbau oder Die Fabrik: Welches Chemnitzer Maker-Mekka ist besser?

Wohnungen in irgendwelchen angesagten Chemnitzer Stadtvierteln waren gestern, heute hat man Spaces (Büros) in sanierten oder halbsanierten Industriekomplexen (Fabriken). Man ist nicht mehr einfach nur Mieter, man ist Maker — oder Member. Man hängt nicht mehr einfach nur mit den Leuten aus dem Kiez im Hinterhof ab, man networkt mit der Community in stylischen Areas. Man setzt sich nicht einfach nur mit dem Laptop in ein schickes Café, das es in Chemnitz gar nicht gibt, man arbeitet mit agilem Mindset an neuen Projekten und Innovationen. In welchem der drei coolen Chemnitzer Stadtviertel ihr wohnt, juckt also nicht mehr — was zählt, ist, wo ihr euren Makerspace habt. Hier stechen zwei große Player heraus: Die ehemalige Tüllfabrik an der Zwickauer Straße und der Wirkbau mit seinem schönen Turm, in beiden wurden früher Textilmaschinen produziert. Doch während die Fabrik gerade noch von Malte Ziegenhagen höchstpersönlich saniert wird und lautstark um potenzielle Maker wirbt, ist der Wirkbau schon fertig entwickelt und von sehr wichtigen Makern besiedelt. Wir haben beide für euch auf wichtige Maker-Kritierien wie Mindset, LinkedIn-Potenzial, Nazi-Umfeld, Wellnessfaktor und Michael-Ballack-Galerien gecheckt. 

Mindset: Chemnitz zeichnet sich bisher eher durch seine Low-Performer-Mentalität aus: Geringes Durchschnittseinkommen, niedrige Mieten, auf den Straßen nur Skodas statt Porsches unterwegs, kaum Achievements beim internationalen Fernverkehr, schlechte Performance bei sämtlichen Wirtschaftsrankings, die Maker meckern nur und die anderen Städte erwähnen uns nie in ihren LinkedIn-Beiträgen. Nur innerhalb der reichweitenstarken Nazi-Targetgroup performt die Stadt einigermaßen. Die Fabrik will das ändern und aus dem ewig lowperformenden Chemnitz eine echte Leadership-City mit agilem Mindset machen. Agil heißt im Fabrik-Kontext, dass man sich mit seinem Macbook auch mal demonstrativ ins Café-Fenster setzen kann, also das, was in „richtigen Städten“ schon seit 20 Jahren normal ist. Wobei „richtige Stadt“ eben eine Frage des Mindsets ist, und wenn wir alle nur genug Geld in unsere Fabrik-Memberships investieren, muss sich Chemnitz nie wieder mit richtigen Städten vergleichen. Das ist natürlich toll, aber am Ende dreht sich Chemnitz hier wieder nur um sich selbst, wie so viele notorische „Mindset“-Sager:innen. Der Wirkbau hingegen braucht gar kein Mindset, er ist einfach gefestigt in seiner Haltung: EUROPA steht in großen Leuchtlettern an der Fassade. Fazit: Wenn Chemnitz irgendeine Art von Mindset braucht, dann ja wohl Europa. Dieser Punkt MUSS an den Wirkbau gehen. Wirkbau 1, Fabrik 0. 

Publikum: In der die Fabrik trifft man LinkedIn-Poser und Peter Patt, im Wirkbau Leute aus New York und angesehene Leipziger Spinnerei-Akteure. Während sich in der die Fabrik mittelalte Männergrüppchen und selbsternannte Expert:innen gegenseitig KI-Bla und die laufende Niners-Saison erklären, diskutieren im Wirkbau kunstbeflissene Kulturkenner:innen darüber, ob die Nacktheit bei POCHEN-Peformances ein Akt der Subversion oder ein archaischer Affront ist, beides ist natürlich ähnlich anstrengend. Im Wirkbau klirren junge Menschengrüppchen mit Bierflaschen und reden berlinerisches Halb-Englisch bei überteuertem Flat White im Bohnenmeister, in der Fabrik werfen sich Baller gegenseitig leere Marketing-Buzzwords zu. In der Fabrik kann man dank „organisiertem Zufall“ der deutschen Designlegende Werner Aisslinger begegnen und ihn aus Versehen mit Lars Fassmann verwechseln, im Wirkbau legt Lars Eidinger auf. Im Wirkbau gibt es Mieter, in der Fabrik Member. In der Fabrik trifft man einen künstlichen Malte Ziegenhagen-Avatar, im Wirkbau den echten Osmar Osten. Fazit: New York ist cooler als LinkedIn, deshalb muss dieser Punkt wieder an den Wirkbau gehen. Wirkbau: 2, Fabrik: 0

Dachterrassen: Die Fabrik hat natürlich gar keine Dachterrasse, sondern ein „Rooftop“, das sagt man so, wenn man schon mal „Die Höhle der Löwen“ geguckt und deshalb Ahnung von Investments hat. „Unser Dach bietet mehr als nur eine Terrasse“, steht auf der Webseite, nämlich einen Basketballplatz, eine Outdoor-Küche — also wahrscheinlich einen Webergrill — und die „Memberlounge“. Das klingt ein bisschen wie die DB Lounge, in die man nur reindarf, wenn man erste Klasse-Tickets gebucht hat, und ist deshalb bei „eat the rich“ mitgemeint. Aber weil für Highperformer, wie man sie in der Fabrik nun mal trifft, der Sky das Limit ist, hat man von hier oben aus einen „einmaligen Ausblick auf die Kulturhauptstadt 2025“ — und auf das Jugendzentrum der Identitären Bewegung. Ganz bodenständig hingegen der Wirkbau: Das Rooftop heißt hier ganz schlicht und bürgernah „Dachgarten“ und braucht gar keine exklusive Lounge, weil es mehr Bäume hat als der Chemnitzer Markt und mehr Stadtgrün als die gesamte Innenstadt und Atomino-Sommerfeste noch dazu. Ein echter Value für die Community, wie man drüben in der Fabrik sagen würde. Fazit:  Weil Dachterrassen grundsätzlich gut sind, gibt es einen Punkt für beide. Wirkbau 3, Fabrik 1 

Hier gibt es keine Treppen, hier gibt es nur Bulletpoints

LinkedIn-Potential: LinkedIn, auch bekannt als Facebook für Businessboomer, ist der Dyson-Föhn unter den sozialen Netzwerken — angeblich total krass, am Ende kommt aber auch nur heiße Luft raus. In ihrer sich ewig selbstbestätigenden Inhaltslosigkeit sind LinkedIn-Posts aber fast schon eine eigene Kunstform, und diese Kunstform hat die Fabrik perfektioniert. Während der Wirkbau nicht mal ein eigenes LinkedIn-Profil hat (übrigens ein unterschätztes Qualitätsmerkmal), IST die Fabrik LinkedIn, aber als realer Ort. Heißt: Alle sind Expert:innen, Speaker, Leadershipper, Brand Visionär:innen oder Creative Creators also irgendwie wichtig, aber niemand weiß, wofür. Auf LinkedIn schreibt die Fabrik über sich selbst: „Hier entsteht eine Community zum Vernetzen und Verwirklichen. Damit Visionen zu Realitäten werden. Und Verbindungen zu Innovationen“, und mehr muss man auch gar nicht über LinkedIn wissen.
Fazit: In den Wirkbauhallen schallt’s zwar und vorm Atomino wird geraucht, in der Fabrik ist aber mehr Schall und Rauch: Hier gibt es keine Treppen, hier gibt es nur Bulletpoints und die führen alle nach oben. Punkt für die Fabrik. Wirkbau: 3, Fabrik: 2 

Nomads: Es kann keinen geschäftigen Working-Business-Something-Space geben, ohne dass superwichtige Maker mit MacBook vor einer überteuerten Schüssel Salat sitzen. Dafür gibt es im Wirkbau — und im Rest der Stadt — eigentlich nur einen einzigen Ort, das Nomad. Das Nomad hieß früher ganz normal „Suppengrün“, hat sich dann einen fancy Namen gegeben und sorgt seitdem dafür, dass die ganze Stadt bald nur noch nach dem „Grilled Veggie“-Salat schmecken wird, auch die Fabrik. Denn dort soll es ebenfalls eine Nomad-Filiale geben, genauer gesagt eine „Nomad Bakery“. Das ist LinkedIn-Lingo und heißt übersetzt so viel wie „Bäckerei“. Für irgendein Brot und paar Zimtschnecken an einem angesagten Laden anstehen, das kannte man bisher eigentlich nur aus Berlin Mitte, aber weil in der Fabrik eben nicht nur Bread, sondern auch ein neues Chemnitzer Mindset gebaked wird, kann man das wahrscheinlich auch bald an der Zwickauer Straße tun. Das Haupt-Nomad, in dem es das beste Essen aller Nomads gibt, bleibt allerdings im Wirkbau — und hat zudem ein großes Avocado-Bild an der Wand, wie es sich für moderne Lifestyle-Kantinen gehört. Fazit: Bakery ist ja ganz nett, aber Roulade ist besser. Der Punkt geht an den Wirkbau, die Fabrik bekommt einen halben Trostpunkt. Wirkbau: 4, Fabrik: 2,5. 

 

Berlinfaktor: Die Fabrik macht einen auf Möchtegern-Soho-Haus, der Wirkbau einen auf Spinnerei Leipzig, nur ohne Leute. Beides ist natürlich ein bisschen peinlich und erinnert an den Monitoringbericht der EU-Kommission zur Kulturhauptstadt, in dem stand, dass das ganze Co-Working-Maker-Spaces-Ding ja wohl seit 20 Jahren durch sei. Nicht in Chemnitz, liebe EU-Kommission, nicht in Chemnitz. Hier geht es gerade erst los. Die Frage ist also: Wo fühlt es sich mehr an wie in Berlin? Wenn man im Bohnenmeister teuren Flat White trinkt und sich danach in der Galerie Borssenanger feministische Art von Osmar Osten anguckt — oder wenn man auf dem Fabrik-Rooftop gemeinsam mit dem Malte-Ziegenhagen-Avatar Körbe wirft und danach in der Pitch Area zusammen mit Diana zur Löwen Business-Ideen austauscht? Die Antwort: Wenn man im Atomino sitzt und durch die großen Fenster die Züge über den Bahnbogen fahren sieht. Fazit: Das Atomino rettet mal wieder die Stadt. Ein Punkt für den Wirkbau wegen Kunst, Kaffee und Bahnverkehr, ein halber für die Fabrik wegen Werner Aisslinger. Wirkbau: 5, Fabrik: 3

Feministische Art oder Ideen pitchen mit Diana zur Löwen?

Wellnessangebote: Arbeit ist nicht alles, wichtig ist auch, dass man sich in seiner Freizeit fit hält, um auf Arbeit besser performen zu können. Die Fabrik hat das erkannt, und baut sich ein schickes „Gym“ (das ist LinkedIn für Fitnessstudio) in den Keller, wo man seinen High-Protein-Performer-Body formen kann. Wer seine Kinder mit auf Arbeit nehmen möchte, kann sie im „Kids Space“ parken, wo sie mit Gleichaltrigen networken, sich gegenseitig kreative Ausmalideen pitchen und im Basketbällchenbad toben können. Wer wiederum auf regelmäßige Trinkkuren schwört, kann eine kostenlose Tee-, Wasser- und Kaffeeflat in Anspruch nehmen, vorausgesetzt, man bezahlt mindestens 120 Euro im Monat für eine Membership. Der Wirkbau hingegen setzt auf die heilende Kraft der Tanztherapie: Hier kann man von Mittwoch bis Samstag im Atomino den Stress wegtanzen und bei einer anti-aryuvedischen Schnapskur der Besinnung entkommen. Den Tanzretreat bekommt man ab ca. 20 Euro pro Abend, inklusive Eintritt. Fortgeschrittene trainieren allerdings gegenüber im Tanzclub Orchidee. Fazit: Die Wasserflat gibt’s zwar aus jeder handelsüblichen Leitung, aber für die fancy Fitte bekommt die Fabrik einen halben Punkt. Der Sieg geht trotzdem an den Workoutbau. Wirkbau: 6, Fabrik: 3,5

Expert:innendichte: Klar, im Wirkbau sitzt mit Staffbase zwar das einzige Einhorn Sachsens und es gibt einmal im Jahr POCHEN-Veranstaltungen, die niemand versteht, aber die echten Expert:innen wird man zukünftig in der Fabrik treffen. Hier wird sich die geballte Chemnitzer Fachkompetenz versammeln, und zwar für alles, was gerade wirklich wichtig ist: KI, Basketball, Excel, Crypto, E-Mobility, Tech-Trends, Siebträgermaschinen, Mindset, Kulturhauptstadt, Paint, Creative Leadership, Outlook, Projekt Management, Mental Health, Teambuilding, Innovation, Investment, Fax, digitale Transformation, Entrepreneurship, das neueste Apple-Update, Tesla-Aktien, you name it. Fazit: Hier kann es also keine zweite Expert:innen-Meinung geben: Diesen Punkt schnappt sich die Fabrik. Wirkbau: 6, Fabrik: 4,5

Nazi-Umfeld: Machen wir uns nichts vor, in Chemnitz ist natürlich immer Nazi-Umfeld. Die Frage ist also: Wo ist MEHR Nazi-Umfeld? Im unmittelbaren Wirkbau-Umfeld sieht man gehäuft CFC-Ultras-Sticker, aber die gibt es mittlerweile überall. Ansonsten ist der Wirkbau von Bernsdorf umgeben, das ist durchaus international, und von Altchemnitz, das ist einfach nur leer. Die Fabrik hat ein bisschen mehr Pech: Die Zwickauer Straße ist, wie alle Chemnitzer Ausfallstraßen, vor allem ein verlängerter Minderwertigkeitskomplex in die nächstgrößere Stadt. Und dann eben ausgerechnet nach Zwickau. Dementsprechend dubios ist mitunter die Umgebung dort, irgendwie ein bisschen, naja, seltsam, wie zum Beispiel die Imbisse am Kappelbach. Und dann ist direkt gegenüber auch noch Schönau, wo neuerdings europäische Spitzen-Nazis nisten und sich ein neues IB-Nest hingebaut haben. Fazit: Zwickau schlägt Altchemnitz, Fabrik: 5,5, Wirkbau: 6

Michael-Ballack-Galerien: Beide Kreativfabriken hatten unabhängig voneinander einst große Ambitionen — auf eine von unserem Micha höchstpersönlich betriebene Art-Gallery mit ausgewählten Werken aus der privaten Kunstsammlung der CFC-Wade der Nation. Allerdings gelten beide Pläne soweit wir wissen mittlerweile als gescheitert, dafür soll demnächst aber angeblich ein Matthias-Schweighöfer-Theater auf dem Kaßberg eröffnen. Jedenfalls: Schwach! Punktabzug für beide: Wirkbau 5, Fabrik 4,5

Fazit: Der Wirkbau schlägt die Fabrik zwar ganz knapp, aber Expert:innen wissen, dass beide längst durch sind. Echte Maker investieren jetzt in einen szenigen Sonnenberg-Space in der Stadtwirtschaft oder melden sich zum 3D-klöppeln in einem gottverlassenen Maker-Hub im Erzgebirge an. Die Stadtwirtschaft ist wie die Fabrik, nur mit noch besserem Nazi-Umfeld und noch leereren Floskeln („hier entsteht ein Treffpunkt für Produktion, kreatives Schaffen und Unterhaltung“) und dabei auch noch eine städtische Interventionsfläche. Sie kann Maker-Hemdsärmligkeit, Entrepreneurship und Akteurs-Wichtigkeit miteinander vereinen wie der Wirkbau und steht dabei der Fabrik in Sachen LinkedIn-Lingo in nichts nach. Hier gibt es drei Höfe, unterteilt nach beliebten „Macher:innen-Aktivitäten“, zum Beispiel den „Eventhof: Flexibler Raum für Ereignisse, temporäre Events und performative Aneignung“ oder den „Kreativhof: Kreativer Austausch zwischen Arealnutzer:innen und Besucher:innen.“ Ihr wisst absolut nicht, was GENAU damit gemeint ist? Perfekt — das ist das Maker-Mindset für 2025.  

4 Kommentare

  1. Mein persönlicher Maker-Space ist, auch weil ich notorisch klamm und knickrig bin, die Universitätsbibliothek in der Alten Aktienspinnerei am Omnibusbahnhof.

    Da hat man loftiges Fabrik-Feeling, wunderbare Arbeitsplätze, günstige Lebensmittel im Ritter-Sport-Automaten, keine Membership Fee, aber dafür stets freundlichen und hilfsbereiten Service. Wo man anderswo in Bibliotheken ermahnt wird, wenn man eine Dose Cola öffnet, kann man hier essen, trinken und – ich hab’s noch nicht probiert, aber wahrscheinlich – sogar rauchen, während man mit den Fettfingern in den Folianten aus dem 16. Jahrhundert blättert. Noch dazu ist es, weil die Studenten heutzutage nicht mehr mit Büchern umzugehen wissen, nie überfüllt. Selbst Freitagabend findet man hier auch ohne Reservierung locker einen Tisch. Geöffnet bis um 22 Uhr, was für Chemnitz so gut wie 1 Uhr morgens ist.
    Junges, internationales Publikum. Und wenn man so alt aussieht wie ich, kann es passieren, dass sich die asiatischen Austauschstudenten im Vorbeigehen ehrfürchtig verbeugen, weil sie glauben, man sei ein Professor.

    1. Anonymous

      Die Alte Aktienspinnerei hört sich toll an! Wer es dort mag, wäre in welchen drei Stadtteilen gut aufgehoben? (Zum Wohnen)https://remarx.eu/2024/04/wirkbau-oder-die-fabrik-welches-chemnitzer-maker-mekka-ist-besser/?replytocom=105575#respond

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