Das Leben steckt voller Rätsel. Wieso kommt sich zum Beispiel jemand, der 200 Kilo wiegt und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Herrenrasse“ trägt, nicht albern vor? Oder wie kommt ein DJ auf die behinderte Idee, sich Jay Frog zu nennen? Das Herrenmensch-Paradoxon ist nicht so einfach zu erklären. Vielleicht spielt fehlende Mutterliebe eine Rolle. Auch eine triste Jugend oder ein Opa mit den falschen Gute-Nacht-Geschichten könnten genauso Gründe sein wie ein Alkoholiker-Papa, ein Badeunfall in der Ägäis oder ein Fummel-Onkel im Fußballverein.
Für DJ Jay Frog gibt es hingegen eine ganz einfache Erklärung. Der Mann heißt im wirklichen Leben, wer hätte es gedacht, Jürgen Frosch. Die Karriere des Jürgen Frosch begann mit dem Spiel von Flöte und Xylophon in der Jugendzeit. Später faszinierten ihn die Sounds aus dem Amiga-Computer so sehr, dass er sich elektronischer Musik zuwendete, schreibt er auf seiner Homepage. Ab 2002 bediente er die Synthesizer bei Scooter.
Seit 2006 ist Jürgen Frosch alias Jay Frog zwar nicht mehr bei der Kapelle um Megafon-Gott H.P. Baxxter – auf seiner Homepage wird das allerdings nicht erwähnt. Dort steht immer noch: „Vier Singles und ein Studio-Album später ist das Leben eines Popstars zu seinem Alltag geworden und für seine zweite Leidenschaft nach dem Produzieren, dem Auflegen, findet der mittlerweile zweimalige Echo-Preisträger nur noch selten Zeit.“
Vergangenen Samstagabend hat sich der gefeierte Popstar trotzdem irgendwie Zeit frei geschaufelt, um im Diamond, der neuen Diskothek im Terminal 3 in Chemnitz, aufzulegen.
Nachdem wir bereits das Stairways in den Ruin clubcheckten, scheint sein seltener Auftritt im Rahmen der feierlichen Clubimmatrikulation also der perfekte Anlass für eine Wiedergutmachung in Form eines unserer stadtweit gefürchteten Clubchecks zu sein…
Ambiente:
Genau sechs Jahre lang residierte die 1700 Quadratmeter große Monsterdisse Starlight auf drei Etagen im Stadthallenblinddarm „Terminal 3“, einem Objekt von Immobilienmogul Claus Kellnberger (Rawema, Rosenhof, Conti-Loch, Johannisplatz, Ermafa etc.). Im Februar 2012 war Schluss, weil man so was auf Dauer einfach nicht ertragen kann. Die Türsteher fingen an sich gegenseitig rauszuschmeißen, weil niemand mehr kam. Unbekannt ist nach wie vor, was Danny Szillat, Betreiber des Flower Power, dazu veranlasste, das Starlight nur elf Tage später nahezu unverändert als Stairways wieder zu eröffnen. Wenig überraschend wurde das ein Flop, den er wahrscheinlich immer noch abbezahlt. Nach fünf Wochen war dann wieder Schluss.
Das Diamond könnte sich deutlich länger halten und ist ziemlich schick geworden. Die Tanzfläche ist nun ebenerdig und liegt nicht mehr zwei Stufen tiefer. Aus drei Etagen wurde eine, aus 1700 Quadratmetern wurden 700 (in den beiden unteren Etagen soll ein asiatisches Restaurant eröffnen). Die Wände sind braun gestrichen und mit einer edlen goldenen Tapete verziert. Es gibt einen großen Raucherbereich mit schwarzen Ledersofas, von dem aus man durch die riesigen Panoramascheiben auf die Straße der Nationen blickt. Das DJ-Pult steht leicht erhöht an der Stirnseite der Tanzfläche, die unter einer Glaskuppel liegt und umgeben ist von kleinen Podesten für die extrovertierteren Tänzer. Die clubbige Atmosphäre wird höchstens durch ein peinliches Relikt aus der Großraumdisco-Zeit getrübt: Gogo-Tänzerinnen in Plastikfummeln, die versuchen Jay Frogs Popmusikverschranzungen in Bewegung umzusetzen.
Publikum:
Langes Anstehen gehört nicht zu den Bürden des Chemnitzer Nachtlebens. Vor dem Diamond bildeten sich hingegen an beiden Eröffnungstagen lange Menschenschlangen, deren männliche Glieder man sonst vor allem im Fitnessstudio treffen kann – oder im Rondell der Roten Turm Galerie. Ernsthafte Empörung konnte man aus Kommentaren wie „Die lassen hier schon seit zehn Minuten keinen mehr rein“ oder „Ich werd‘ langsam schon wieder nüchtern“ heraushören. Nicht wenige gingen deshalb auch kurzerhand lieber zum Tempora-Festival in die Stadthalle oder in den Fuchsbau. Dresscode bei den Männern: Sneakers, Jeans, ziemlich enge T-Shirts mit Logo oder Spruch drauf und sportlich-kurze Haare. Die Frauen folgten eher dem Zara und H&M-Schick: kurze, enge Kleidchen und Handtaschen und viel Haarspray. Auffällig wenig tätowierte oder gepiercte Menschen, was aber auch mit dem niedrigen Durchschnittsalter des Publikums zu erklären sein dürfte, das kulturell eher unbedarft, dafür aber auch nicht so prollig wie im Brauclub wirkte.
Gegen drei Uhr kam ein Punker-Pärchen reingewankt, nach eigener Aussage nicht aus Versehen, sondern „um den Laden aufzumischen“. „Endlich mal normale Leute“, freuten sich die Undercover-Redakteure und entzündeten gemeinsam die erste Zigarette auf dem Tanzlaminat.
Programm:
Geschäftsführerin Christina Kühn ist gerade mal 24 Jahre alt, stammt aus Pirna und arbeitete vorher als Kauffrau für Speditions- und Logistikdienstleistung in einer Containerfirma. Ihre musikalische Vision beschreibt sie in der Freie Presse jedenfalls folgendermaßen „Der Donnerstag soll den Studenten gehören, mit Musik der 90er-Jahre bis zum Jahr 2010. Freitags sollen die Diamonds, also die Frauen, belohnt werden.“ Da werde sie sich immer mal etwas Neues einfallen lassen. Zum Beispiel denke sie da an männliche Gogo-Tänzer oder Süßigkeiten. Samstags stehe dann House und „Club-Musik, wie man sie aus dem Radio kennt, nichts zu Spezielles“, auf dem Programm.
Abschleppchancen:
Wegen der Musik braucht man also nicht ins Diamond gehen. Saufen kann man zuhause billiger. Und unterhalten lässt es sich an Orten, an denen man nicht von Jay Frog zusammengebeatet wird, auch besser. Die eigenen Abschleppchancen kann man hier also praktisch unter Laborbedingungen testen. Nur schade, wenn der „Schulkollege“ oder der kleine Bruder der unbekannten Tanzpartnerin ständig fragen, ob alles in Ordnung ist. Oder wenn die unbekannte Tanzpartnerin II zwar ein T-Shirt mit dem Logo der Rolling Stones trägt, aber leider noch nie von der Band gehört hat. Schade auch, wenn der unbekannte Tanzpartner das Wort „missionieren“ falsch versteht oder schon kurz nach eins den Kurzen an der Bar wieder ins Glas zurück spuckt.
Alles in allem ist die Vokabel „anbaggern“ aber für Orte wie diesen wie geschaffen – es ähnelt ein bisschen einer Erasmusparty, nur dass der andere eben leider auch deutsch spricht. In Zeiten des allgemeinen Bevölkerungsschwundes qualifiziert sich der Club somit eigentlich für Fördermittel vom Freistaat.
Licht und Sound:
Ein LED-Laufband über dem DJ und kleine bewegliche Scheinwerfer, die die Farbe wechseln, sorgen für solide atmosphärische Beleuchtung, die von einer sparsam eingesetzten Nebelmaschine unterstützt wird. Auf Stroboskop, Schwarzlicht und Disco-Kugel wird verzichtet. An dieser Stelle über den Sound zu sprechen wäre so, als würde man bin Laden fragen, wie das Wasser im Arabischen Meer ist.
Preis-Leistung:
Eintritt kostete am Samstag fünf Euro. Dafür gab es Jay Frog. Und Gogos. Fünf Euro entsprechen in etwa dem Wert eines Standardmenüs bei Mc Donalds. Abesehen davon gibt’s hier das Bier für 2,50 Euro, Wodka (Absolut) mit Bitter Lemon für 4,50 Euro und für Nostalgiker sogar Danziger Goldwasser.
Service, Hygiene und der Rest:
Das Personal an den beiden Bars und der Garderobe ist freundlich, schnell und erfüllt Extrawünsche ohne angewidert auszuspucken. Die Securitys sind eben so wie sie überall sind. Ansonsten: alles neu, alles sauber.
Das Diamond hat von Donnerstag bis Samstag geöffnet. Donnerstags kostet der Eintritt vier Euro, für Studenten zwei, freitags und samstags fünf Euro.
Fazit:
Auch auf der intellektuellsten Haus-Party gibt es den Moment, an dem keiner mehr Bock auf Niveau hat, man zu Scooter abzappelt und Erinnerungen an die Pubertät, die damit verbundene Scham sowie Ekstase einen erinnernswerten Kater der Marke „wie bin ich eigentlich heim gekommen?“ produzieren. In der richtigen Stimmung kann man sowas im Diamond erleben. Ansonsten bleibt man besser im Weltecho/ Lokomov/ Aaltra/ Odradek
Vielen Dank für den interessanter Post! Sehr schön Blog.
Hmm. Die Geschäftsführerin rennt im schlapperlook rum und ist ne mogelpackung. Soll wohl ungelernt sein und von Papa verwöhnt.
Soweit man sieht ist das eine GmbH. Da wird/wurde viel geschummelt.
Vielleicht hat Herrenrasse-nennen-wir-ihn-Kai auch ein gutes Gespür für (Selbst-)Ironie.
… hat Fronk kein „Gespür“ (!) für Ordografie.
…. http://www.duden.de/rechtschreibung/Gespuer
Obacht, auf dem letzten Foto ist eine Person gleich dreimal zu sehen.
die sehen einfach alle gleich aus