Am zehnten Juni 2015 wählt der Chemnitzer Stadtradt einen neuen Bürgermeister für das Dezernat 3: Recht, Sicherheit und Umweltschutz. Ihm unterliegen das Rechtsamt, zentrale Verwaltungsdienste und die Beschaffungsstelle, das Ordnungsamt, Bürgeramt, Umweltamt, Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramt, sowie der Tierpark. Kurzum: Es geht um den Ordnungsbürgermeister. Die siebenjährige Amtszeit vom aktuellen Amtsinhaber, Popstar und Karnevalsikone Miko Runkel, neigt sich also dem Ende zu – oder geht einfach in die nächste Runde. Das Schicksal von Zucht und Ordnung der Stadt liegt in den Händen ihrer Räte. Zwar wurde Runkel seitens halbverwahrloster Linksradikaler immer wieder eine repressive Politik vorgeworfen, dabei wollte er ursprünglich nur ein paar Regeln gegen Menschen im öffentlichen Raum einführen – zum Wohle aller BürgerInnen der Stadt Chemnitz. Und tatsächlich. Was wäre die Stadt heute ohne das Alkohol- und Glasflaschenverbot oder das Untersagen von „aggressiven Betteln“? Wie viel schöner könnte es hier noch sein, wenn sich das Fahrradfahrverbot für die Innenstadt wirklich durchgestetzt hätte? Auch das Skateboard und BMX-Fahrverbot an „baulichen Anlagen entgegen ihrer Bestimmung“ und die Einführung einer Siesta in Chemnitz waren herrausragende Ideen, die Chemnitz zu einer noch sichereren Festung gemacht hätten, als sie es heute ist. Ohne Frage: Runkel hat ganze Arbeit geleistet. Und trotzdem denken wir: Da geht noch mehr.
Deshalb stellt Re:marx, mit zwei Sitzen selbst im Stadtrat vertreten, einen eigenen Kandidat für die Wahl des Ordnungsbürgermeisters 2015: Rico Ranunkel.
– sieht so der neue Ordnungsbürgermeister aus? –
Ranunkel, erst Mitglied der CDU, dann Gründer und Parteichef der PND, jetzt planlos, hat uns knapp zwei Monate vor der Wahl Einblicke in seine exklusiven Pläne für das Amt als Ordungsbürgermeister gewährt. Er wolle damit die Stadträte von seinem Sicherheits- und Ordnungskonzept überzeugen und der Oberbürgermeisterin zeigen, dass es auch eine Alternative für Chemnitz gibt, so Ranunkel bei der letzten Redaktionssitzung. Viele Stadträte und Bürgermeister hätten sich zu sehr auf die Zukunft versteift und seien darüber betriebsblind geworden, sagt er. „Sie sehen das wahre Potenzial von Chemnitz nicht“. Seine Agenda hat er „Chemnitz 2000“ genannt, es liegt ihm daran, nicht zu vorwärts gewandt zu sein und dennoch etwas in der Stadt zu bewegen. „Wir denken weiter“ lautet der Slogan für die Kampagne, die er nun gemeinsam mit Re:marx in den Untiefen der Stadtverwaltung pompös auffährt. Dafür wurden bereits am Montag zweitausend schwarze und türkise Luftballons auf dem Rathaus-Dach angebracht, die jedoch leider durch das Sturmtief Niklas vom Winde verweht und zuletzt über dem Vogtland gesehen wurden. Deshalb präsentieren wir hier exklusiv und erstmalig Ranunkels Konzept für das Amt als Ordnungsbürgermeister:
Die Agenda Chemnitz 2000
1) „Die Nacht der langen Schnäpse“ am 21. Mai wird zum gesetzlichen Feiertag in Sachsen, der Buß- und Bettag stattdessen abgeschafft
2) Einführung eines flächendeckenden FKK-Bereichs am Schlossteich
3) Einsatz einer Eingrifftruppe gegen Exhibitionismus am Schlossteich
4) Einsatz einer Eingreiftruppe während aller Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft am Karl-Marx-Monument
5) Verbot des Tragens der deutschen Nationalfarben während aller Länderspiele der Nationalmannschaft im gesamten Stadtgebiet
6) Einführung einer Bürgerwehrplicht für alle Bürgerinnen und Bürger mit Eintritt in die Volljährigkeit
7) Einführung einer Bußgeldstrafe von bis zu 500 Euro für Laut-Atmer im gesamten Stadtgebiet
8) Veranlassung der systematischen Ausrottung aller Singvögel zum Schutz der schlafenden BürgerInnen
9) Veranlassung der Abschaltung der Straßenbeleuchtung mit Beginn der Dämmerung – hierfür werden alle Straßenbeleuchtungskörper im Stadtgebiet mit hochmodernen Lichtsenoren und zusätzlich mit Überwachungskameras ausgestattet
10) Neue Verordnung für Beschwerden: Verbale Beschwerden dürfen zukünftig eine Lautstärke von 40 Dezibel nicht übertreffen – sonst droht ein Bußgeldverfahren gemäß der Bußgeldverordnung für Laut-Atmer
11) Demonstrationen werden im gesamten Stadtgebiet ohne weiteres untersagt
12) Im Stadtgebiet gelten außerdem neue Ruhezeiten täglich von 08:00 bis 08:00 Uhr
13) Ebenfalls untersagt wird die Ausübung von lauter Religion an Sonntagen und an allen anderen Wochentagen. Der Gesang des Muezzin und das Läuten von Kirchenglocken dürfen die Lautstärke von zehn Dezibel nicht übersteigen sonst droht ein Bußgeldverfahren nach Punkt 7
14) Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist für Menschen unter 21 Jahren ohne die Begleitung von Erwachsenen ausdrücklich untersagt
15) Errichtung einer verkehrsberuhigten Zone von Dresden bis Gera – dazu gehört auch die Abschaffung des Autobahnkreuzes und die Umleitung der A4 direkt in den Stausee
16) Errichtung eines Prangers für Ruhebrecher, Skateboarder und Langhaarige als wesentlicher Bestandteil des neuen Entertainmentkonzeptes
17) Vorgesehene Bauprojekte: Der Wiederaufbau der Chemnitzer Stadtmauer, sowie die Errichtung eines Regierungsviertels auf dem Sonnenberg
17.1) Baustopp für das Technische Rathaus im Conti-Loch: Errichtung einer mundgeblasenen gläsernen Kellnberger-Büste in zehnfacher Größe des Karl-Marx-Monumentes
18) Verordnung gegen schlecht gelaunte Gesichter: LSD im Trinkwasser
19) Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität: Einführung von Volksdrogenküchen auf dem Sonnenberg und auf der Limbacherstraße
20) Aufhebung des Alkoholverbotes in der Innenstadt. Verordnung einer Bierfontäne direkt aus dem Stadthallenbrunnen
– wird hier demnächst Bier fließen?
21) Wiederbelebung der Magic Love Street
22) Auswilderung aller Tierpark-Tiere im OdF
23) Renaturierung und Aufforstung des Steinernen Waldes
24) Verkehrsordnung: Einbindung der Parkeisenbahn ins Schienennetz der CVAG – Das Chemnitzer Modell 2000 führt vom Küchwald in den Hauptbahnhof und von dort bis nach Stollberg. Die Chemnitzer Parkeisenbahn bedient ab sofort auch die Strecke Chemnitz – Leipzig. Die Fahrspuren für Busse werden im gesamten Stadtgebiet durch Rollatoren-Spuren ersetzt.
25) Verordnung für die Auslagerung des CFC nach Aue und die Genehmigung eines RB-Jugendtraining-Camps im Gellertstadion
Ranunkels Pläne für das Amt des Ordnungsbürgermeisters sind imposant, weil sie weit über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinausgehen. Aber Ranunkel ist mit seinen kommunalpolitischen Visionen noch lange nicht am Ende. So wolle er sich beispielsweise das „Gendern für die nächste Wahlperiode aufheben“. Und den Volksentscheid wieder einführen: Chemnitzer BürgerInnen dürfen demnächst über ein milliardenschweres Großbraupojekt ihrer Wahl abstimmen. „Es ist doch nur gerecht, wenn sie selber bestimmen können, welche Art von Ruine demnächst in ihrer Stadt entsteht“, sagt Ranunkel dazu. Allerdings solle das dann „Agenda Chemnitz 3000“ heißen. Rico Ranunkel: Chemnitz‘ letzter Gerechter.
Vita: Ranunkel wurde im Mai 1970 im Fritz Heckert Gebiet in Karl-Marx-Stadt geboren und machte seinen Abschluss 1988 am EOS „Held des Sozialismus“ in Cottbus. Im September 1989 gelang ihm durch die Flucht in die Prager Botschaft die Ausreise in die BRD, wo er in Bingen am Rhein ein Magisterstudium im Fachbereich „Weinbau“ begann. Während seiner Studienzeit wurde er Mitglied bei der Jungen Union. Mehr über diesen Lebensabschnitt ist bisher allerdings nicht bekannt – für den Zeitraum von 1991 bis 2011 weist sein Lebenslauf eine kleine Lücke auf. 2011 kehrte Ranunkel als fast erfolgreicher Unionspolitiker auf Weinberg-Ebene in die neuen Bundesländer zurück, wo er im selben Jahr in den Zwickau Arcaden zum „Mister Christdemokrat Ost“ gewählt wurde . Ein Jahr darauf trat er wegen Verdacht auf Spendenskandal und Rebsorten-Plagiat aus der CDU aus und absolvierte ein Praktikum bei Horst Seehofer in München. 2013 zog es ihn endgültig zurück nach Chemnitz, wo er sich dem Blogger-Kollektiv re:marx anschloss und in die Alkoholsucht abrutschte. In dieser Zeit soll er die PND gegründet und der Nipster-Bewegung zu neuer Stärke verholfen haben. Im Mai 2014 organisierte er am Stadthallenbrunnen „Die Nacht der langen Schnäpse“ als Protest gegen die repressive Politik Runkels, wie er die „Runkelspielchen“ heute bezeichnet. Damals habe er den einsamen Entschluss gefasst, selbst als Ordnungsbürgermeisterkandidat gegen Runkel anzutreten. Im September letzten Jahres erschien seine Autobiografie „Mein Leben mit der Misanthropie“. Im November wurde er von der Parkeisenbahn angefahren und überlebte schwerverletzt. Jetzt ist er wieder da – und wie!
Viel Glück an Ranunkel für seine Pläne. Hoffe sie gehen alle in Erfüllung.