Besser als Heute Morgen: Die 1. internationale Chemnitzer Lyrikzeitung
Besser als Heute Morgen: Die 1. internationale Chemnitzer Lyrikzeitung

Besser als Heute Morgen: Die 1. internationale Chemnitzer Lyrikzeitung

Wer kann sich nicht daran erinnern, wie er im Deutschunterricht Goethes Zauberlehrling herunterstammelte und danach mit einem harschen „Vier, Setzen!“ schweißgebadet zurück auf seinen Platz verwiesen wurde? Für viele von uns ein Kindheitstrauma, das dazu führte, von Lyrik und Poesie in Zukunft respektvollen Abstand zu halten. Doch warum sollte man nicht auch der Lyrik eine zweite Chance im Leben geben? Immerhin soll sie ja unterhaltsam sein und nicht frustrierend.

Genau diese Annahme muss den Machern der ersten internationalen Chemnitzer Lyrikzeitung bei ihrem Vorhaben zugrunde gelegen haben, denn sie bieten uns und der Lyrik eine zweite Chance einander warm zu werden. Re:marx traf sich mit den beiden Mitinitiatoren Christian und Frank zum Interview bei Tee und Kippe, um der Sache auf den Zahn zu fühlen:

 

DSC_0011Warum macht ihr so ein Projekt?
Das ist gleich die schwerste Frage. Damit haben wir schon das 371-Interview versaut. Hauptsächlich machen wir das, um angenehm beschäftigt zu sein. Natürlich interessieren wir uns auch für Lyrik, aber es war eigentlich auch mal so ein Experiment ein Printmedium raus zu bringen. Dass es nun Lyrik geworden ist, hat sich erst später entschieden.

Wieso der Titel: „Besser Als Heute Morgen“?
Das bezieht sich auf die Form des Mediums, denn die Zeitung an sich ist ja ein sehr flüchtiges Medium und egal zu welchem Zeitpunkt du dir diese Zeitung durchließt, es gab immer einen Zeitpunkt an dem es dir schon mal schlechter ging. Oder auch besser. Die Interpretation hängt ja vom Leser ab, wie es bei Lyrik eben auch ist. Da hängt ja auch vieles davon ab, wer das Gedicht ließt, wie es ihm gerade geht und wie er es dann interpretiert.

Wer sind die Autoren der Gedichte und wie seid ihr auf sie gestoßen?
Die Zeitung enthält Gedichte von unbekannten Autoren und etablierten Lyrikern, wie Matthias Zwarg oder Andreas Altmann, der 2012 den sächsischen Literaturpreis gewinnen konnte. Für manche ist es aber auch die erste Veröffentlichung, denn wir haben auch bei vielen Leuten in unserem Bekanntenkreis einfach auf Verdacht gefragt und sind fündig geworden. Mittlerweile haben wir sehr viele Gedichte zusammengetragen, mehr als wir in einer Ausgabe veröffentlichen können. Das spannende daran war, dass wir einfach mal gefragt haben, wer so Lyrik macht und es am Ende doch ganz viele Leute gibt, die was schreiben und Spaß daran haben.

Matthias Zwarg: Bald war Winter
Eine Stadt stirbt abends halb sieben
Und am Himmel beginnt der Krieg.
Die Menschen und ihr guter Wille
Treffen sich in aller Stille und
Wer nicht verlieren kann, der siegt.

Ein Kind mit schwerer Kindheit trifft
Auf andere schwere Kinder.
Wer etwas sehen will, sieht nichts.
Ein paar Tage noch, dann war Winter.

Wir wollten grad etwas sagen, doch
Wir hatten das Wort vergessen.
Wie war das Thema? Weißt du noch?
Erst die Moral, und dann das Fressen?

Ein Polizist im Kampfanzug
Möchte jetzt nur noch Hause.
Es war nicht Liebe, nicht Betrug
Es war nur Mittagspause.

Wir standen auf der falschen Seite
Am richtigen Straßenrand.
Die Drogerie gegenüber war schon pleite.
Der Spatz auf dem Dach und nicht in der Hand.

Es war kalt und wir begannen zu frieren
Fackeln leuchteten durch die Nacht.
Die Erinnerung fing an sich zu zieren
Vor den klirrenden Kette der (Ohn) Macht.

Eine Frau ging spät und sehr einsam
Mit Plastiktüte und Kopf, beides leer.
Ein paar Jungen sangen gemeinsam:
Wir haben doch gar keine Lieder mehr.

Die Stadt ist dann noch einmal gestorben
Ein paar Minuten nach Mitternacht.
Keiner hat (Wir haben) uns den Abend verdorben.
Wir feiern die Liebe und nicht das Morden
Schlaf endlich ein, mein Kind, schlaf sacht.

Chemnitz, 5. März 2012
Ab wann ist die Zeitung zu haben und wo kann man sie bekommen?
Wir zelebrieren die offizielle Veröffentlichung der Zeitung am 4. Mai an der Buchhandlung Lessing auf dem Kassberg, wo die Zeitung dann auch erhältlich sein wird und Gedichte vorgetragen werden. Außerdem wird es sie in Kneipen und Friseuren in Chemnitz geben. Also eigentlich überall da, wo man etwas Zeit zum Lesen hat. Neben Chemnitz geben wir noch einige Exemplare nach Zürich weiter. Dort gibt es einen Verein, der ist so etwas wie ein AJZ für Fünfzigjährige. Die geben selbst auch künstlerische Magazine raus und haben uns etwas gesponsert. Vielleicht verteilen wir auch noch ein paar Exemplare in der Straßenbahn.

An wen richtet sich die Zeitung?
Eigentlich an jeden. Auch wenn wir damit kein Massenpublikum erreichen werden, soll es auch Leute treffen, die Lyrik eigentlich gar nicht juckt, die dann nur aus Langeweile darin lesen und was wiederentdecken. Viele Leute sprechen ja auf Themen an, die den Alltag betreffen und wo sie sich wiederfinden können. Davon handeln auch einige Gedichte, aber die meisten drehen sich schon um die Klassiker, wie Liebe, Tod und Vergänglichkeit. Hauptsächlich soll es die Leute unterhalten. Wenn die Gedicht den Leser zum Nachdenken anregen, wäre das auch nicht schlecht, aber das ist nicht unbedingt unser Ziel. Spaß an der Lyrik ist uns wichtiger.

Sind weitere Ausgaben geplant?
Wie anfangs schon erwähnt, haben wir mittlerweile sehr viele Gedichte zusammengetragen, sodass wir im Herbst wahrscheinlich eine zweite Ausgaben machen werden. Wann genau die dann erscheint, wissen wir noch nicht. Wir wollen uns damit auch nicht unbedingt unter Druck setzten. Es hat auch bei der ersten Ausgabe relativ lang gedauert, weil wir das ja eigentlich nur nebenbei machen und die Idee erst mal wachsen musste.

Re:marx bedankt sich für das ausführliche Interview, den Tee und ein druckfrisches Exemplar der 1. Internationalen Chemnitzer Lyrikzeitung.

 

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