Der Mann ist in der Krise. Also angeblich – und nicht unbedingt in Chemnitz: Männer profilieren sich durch Kulturprojekte und Rennradrunden, Männer bilden Männerbanden, Männer machen komische Sachen, anstatt in Therapie zu gehen, Männer sind wie im Herbert Grönemeyer-Song, Männer sind schließlich auch nur Menschen. Und wenn Männer mal gendern müssen, sind manche von ihnen derart verunsichert, dass sie ein eigenes Festival brauchen, um ihre männliche Mitte wieder zu finden. In Chemnitz steigt am Wochenende deshalb das erste Männerfestival – und damit ist nicht etwa die Kulturhauptstadt (das ist das Makerfestival) oder ein lokaler Ableger des Southside/Hurricane gemeint, sondern ein esoterisches Männlichkeitsfest in der Holzkirche, unten am Kappelbach, wo die maskulinen Energien noch im Fluss sind.
„Wir möchten Euch Männern mit diesem Männerfestival wieder zu Eurer ureigenen Kraft zurück führen. Ihr bekommt einen lebendigen und intensiven Eindruck davon, wie sich kraftvolle, herzliche und selbstbestimmte Männlichkeit anfühlt“, steht auf der Webseite des Männerfestivals. Das klingt nach Pick-Up-Artist-Party, nach testosteronsüchtigen „Do you even lift?“-Pumpern, nach Rare-Medium-Ribeye Ron Swansons, ein bisschen auch nach Berlin Mitte-Life-Crisis, kommt aber aus der Öko-Esoterik-Ecke. Man wird nicht so richtig schlau, ob die männlichen Energien, die hier freigesetzt werden sollen, einfach nur super achtsam und spirituell, leicht rechtsdrehend oder doch nur im normalen Maß unterschwellig frauenfeindlich sind. Das Männerfestival ist ein Ort, wo der vom modernen Leben völlig weichgespülte Krisen-Mann beim schamanischen Tantra-Ecstatic-Kakao-Ritual lernt, endlich wieder Mann zu sein. Hier kann er all seine Unsicherheiten, Selbstzweifel, Unmännlichkeiten und Tränen — also alles, was eigentlich völlig normal sein sollte im Leben — in Schwitzhütten, bei Feuerläufen und Männerkreisen meditativ wegatmen. Hier gibt es sie noch, die Räume, in denen Männer endlich mal geschützt unter sich sein können, fernab vom fiesen Feminismus — genau das, was die Welt jetzt dringend braucht. Angeblich wird dabei auch toxisches Verhalten entgiftet, aber wenn man sich auf der Webseite des Männerfestivals herumtreibt, sich die Referenten und ihre spirituellen Vorbilder anguckt und dabei selbst ein bisschen abdriftet in eine Welt voller Schamanismus, Männermantras, „Digitaler Patriarchen“ und Blogbeiträge über Frauen als Test-Objekte für das gesteigerte Männlichkeits-Game, mannifestiert sich eher ein gegenteiliger Eindruck. Die Inhalte sind auch Männern gegenüber problematisch: Es geht um „Krieger-Energie“, Körperlichkeit, kraftvolles Mann-Sein, Kettensägen, Wildnis, Feuer, es geht darum, die alten Rollenbilder aufzubrechen und sie noch archaischer zu machen.
Fabian Edzard Schneider zum Beispiel ist so ein wichtiger Alphafestival-Akteur und nebenbei Betreiber der Webseite „Mann im Glück“ sowie Coach für das „MenEncounter“-Training. Dort lernt Mann unter anderem, seine Stimmung „nicht mehr von den Launen seiner Frau abhängig zu machen“ oder nicht mehr „klein beizugeben bei attraktiven Frauen und dominanten Männern“. Wer einmal durch so ein Männertraining gegangen ist, wird nicht nur zum von jeglicher Unsicherheit befreiten „ganzen Mann“, sondern kann dabei auch „echte Männergemeinschaft“ erleben — ganz normaler Chemnitzer Politik- und Kultur-Alltag eigentlich. Das Männerfestival ist ein Festival für Männer, von Männern. Also eigentlich wie jedes andere Festival auch höhö, aber mit NOCH besserem Programm: Es gibt „Der Wilde Mann – Kraftvolles und körperbewusstes Mannsein lebendig erfahren“, es gibt „Bogenschießen“ mit Danilo Magister, „Axtwerfen, Kettensägen“, und „Kakao-Zeremonie und Ecstatic Dance“ mit Renè Schliwinski, und wir schwören, dass wir uns das nicht ausgedacht haben.
Ein weiterer Mann ist in der Krise, und die Rede ist natürlich von Käse Maik. Denn bei Käse Maik sorgt der Fachmäusemangel (die beiden Verkäufer gehen in Rente und es gibt bisher keine Nachfolger:innen) dafür, dass auf dem Chemnitzer Markt vorerst nicht mehr die Löcher aus dem Käse fliegen. Chemnitz ist erschüttert — der Brie Bro vom Brühl Bro ist schließlich Teil der urbanen Identität. Brutaler rechter Übergriff im März? Schulterzucken, joa schon blöd, aber so ist das halt in Chemnitz. Kein Käse Maik auf dem Markt mehr: WAS WIRKLICH ERNSTHAFT? ACH DU SCHANDE WEINEMOJI. Natürlich kann man ins Head-Quarter nach Wittgensdorf fahren, aber das ist erstens ganz schön umständlich und zweitens einfach nicht dasselbe. Es läuft aktuell nicht gut für Chemnitz, könnte man meinen: Menschen, die zu Gast sind, werden von Nazis verprügelt, weil sie Englisch sprechen, über rechte Gewalt wird lieber geschwiegen, gleichzeitig werden dem Kosmos, dem Festival für Demokratiebildung, die Gelder gestrichen, niemand versteht, was die Kulturhauptstadt eigentlich so treibt — und dann muss man für das ganz besondere Käse Maik Markterlebnis jetzt auch noch nach Zwickau oder Leipzig fahren, ausgerechnet.
Andererseits läuft es ganz gut für Chemnitz, könnte man auch meinen: Überall wird gebaut, was man durchaus als Zeichen des Fortschritts und Wohlstands deuten kann. Die Gentrifizierung schreitet voran und damit auch die richtige Stadt-Werdung – in Chemnitz weiß man allerdings nie so richtig, ob man das geil finden soll oder ob man lieber ranziger Underdog bleiben will. Weil der Chemnitzer Lokalpatriotismus wirklich seltsame Beton-Blüten treibt, freut man sich in der Stadt über den jährlichen Abwasser-Meth-Report mindestens genau so, wie über einen Play-Off-Platz der Niners. Die wichtigste Nachricht: Erfurt ist endlich geschlagen im Abwasser-Ranking und Chemnitz führt wieder bei den Meth-Rückständen in Deutschland, belegt sogar europaweit einen soliden fünften Platz. Neu, und da wären wir beim Thema Gentrifizierung, ist aber: Bei den Kokain-Rückständen rangiert Chemnitz nun auf Platz zehn. Also auf Platz zehn von insgesamt zehn teilnehmenden Städten oder so, die Teilnahme am Abwasser-Controlling ist ja freiwillig, aber hey: Jedes Ranking, in dem Chemnitz überhaupt vorkommt, ist ein gutes Ranking. Jedenfalls ist Chemnitz jetzt endgültig wie Berlin, und man ahnt, was der Stadt als nächstes droht: Meth-Häuser werden für viel Geld schick saniert und müssen teuren Kokain-Buden weichen, der Sonnenberg wird unbezahlbar, aus den bodenständigen Meth-Bikes werden bonzige Koks-Taxis, der Camp David Fraktur Swag weicht einem luxuriösen Ed Hardy/Philip Plein Schick und so weiter. Und weil die urbane Chemnitz-Identität aus DREI Säulen besteht, nämlich dem Meth-Problem, Käse Maik und der MRB nach Leipzig, zum Schluss noch eine Meldung aus dem Hogwarts- bzw. Horror-Express:
Der Spiegel empfiehlt die Strecke Leipzig-Chemnitz als eine der „schönsten Bahnstrecken für das 49-Euro Ticket“ und schreibt dazu: „Mindestens bis ins Jahr 1980 zurück geht die etwa einstündige Zeitreise im RE6. Die Waggons, gezogen von einer Diesellock, kommen noch aus DDR Produktion.“ Abgehängt-Sein, aber als nostalgischer Trend. Bald werden reihenweise Reiseblogger diesem ganz besonderen Gefühl der Rückständigkeit hinterher jagen und mit Selfie-Drohnen und GoPros und Leipziger Iced-Latte in die MRB steigen und dann werden sie in Chemnitz landen, also vielleicht, wenn sie Glück haben. In dieser Stadt, die immer noch selbstzweifelnd zwischen zwei Welten hängt, zwischen der urbanen und der dörflichen.
Eine Freundin hat mich letztens spontan auf einen Geburtstag mitgenommen. Es war eine ziemlich kleine Runde, was ich nicht wusste. Ein Gast (weiß, männlich) kam dazu, mit weiblicher Begleitung. Er trug ein Tuch um den Kopf gewickelt, ein gemustertes Hemd und eine Leo Leggings. Als meine Freundin und ich im Gespräch unsere Haltung zu kultureller Aneignung teilten (zb. bestimmte Sachen gehen als Weiße gar nicht, wie Afro Frisuren), sagte der Mann, er würde ein schamanisches Ritual anleiten, die Kakao-Zeremonie und dann den Männern aber auch sagen wo es herkommt, damit die selbst dazu weiter recherchieren können. Auf Nachfrage sagte er, es wären Männerrunden/Männerseminare, die er veranstaltet. Warum ausschließlich für Männer? Weil sie sich dort in einem Safe space bewegen und zb. auch ihre Weiblichkeit umarmen lernen (sich gegenseitig halten). Ob sich ihr Verhältnis zu Frauen dadurch verändert? Das kann er jetzt nicht sagen aber das wäre ja schon ein Ziel dessen. Seine Begleitung hat während des ganzen Abends kaum geredet und wirkte sehr unsicher und schüchtern. Mein Eindruck des Ganzen hat sich in eurem Bericht bestätigt!