Die städtische Stromerzeuger-Koryphäe eins energie hat erkannt, was wir schon lange wissen: Die DDR ist vorbei, der Nischel muss weg! David Hasselhoff wird kommen und den Marx-Kopf niedersingen und damit wohl auch die indigenen Nischel-Jumper ausrotten. Das wird dann kurz traurig, aber irgendwie sind trotzdem alle glücklich, liegen sich in den Armen, tanzen auf den Trümmern, schwingen Wunderkerzen. Denn: Endlich kann sich die Stadt ein ordentliches Vermarktungskonzept zulegen, die Bronzezeit ist vorbei. Chemnitz braucht dann eine neue Corporate Identity, und da diese wohl eher nicht himmelblau wird, haben wir da sieben ganz besondere Farben im Sinn. Der Lulatsch — auch bekannt als „Heizkraftwerk Chemnitz-Nord“ — trägt nicht umsonst den gleichen Namen wie Oberbürgermeisterin Babalulatsch:
Er ist das perfekte Wahrzeichen für Chemnitz, ein Symbol mit Strahlkraft. Besser, höher und weiter sichtbar als das Marx-Monument. Das ist nur 13 Meter hoch und guckt grantig und grau auf die Einlassschlange vorm Starlight. Der Lulatsch hingegen ist der Everest der Schornsteine, man sieht ihn weit über Chemnitz hinaus, man sieht ihn in Glösa und in Wittgensdorf, in Borna und in Zwickau. Man schmeckt seinen Smog, wenn man auf dem Chemnitztal-Radweg Richtung Markersdorf radelt. Man spürt seine Energie, wenn man zuhause die Heizung aufdreht. Man fühlt sein warmes Licht, wenn man sich nachts vorm Brauclub erbricht. Professionelle Wikipedia-Klugscheißer lieben ihn: Mit Sätzen wie „Wusstest du eigentlich, dass der Schornstein das höchste Bauwerk Sachsens ist?“ oder „Der Lulatsch ist genau 301,8 Meter hoch, das höchste Kunstwerk der Welt“ oder „Aquamarin, erdbeerrot, laubgrün, himmelblau, melonengelb, signalviolett, verkehrsgelb“, kann man jede verkrampfte Smalltalk-Situation lässig auflockern.
Viel mehr noch ist der Lulatsch ein Sinnbild dafür, dass auch aus etwas unsäglich Grauem später mal was strahlend Buntes werden, dass es jeder in Chemnitz zu etwas schaffen kann — man muss nur die bohème Fassade wahren und irgendwas mit Art machen. Vom hässlichen Schlot zum schönen Schornstein: Der Lulatsch symbolisiert die moderne Stadt, steht für Umwelt- und Lichtverschmutzung. Für Industriegeschichte und Arbeiterschweiß. Für pervers hohe Betriebskostenabrechnungen. Für Offenheit und Toleranz, für „Esse für alle“ — er hat fast die gleichen Farben wie die Regenbogenflagge und wird entweder als „Gay Pride Tower“ in die Geschichte eingehen oder von den kategorischen Bunt-Gegnern Pro Chemnitz abgerissen werden.
Wenn man wie Chemnitz sonst nichts zu bieten hat, malt man einfach seinen Schlot bunt an und wird Kulturhauptstadt. Und so hilft er der Stadt aus dem dunklen Selbstfindungsdickicht, in dem sie sich verlaufen hat, ein Leuchtturm in der Nacht. Eine sakrale Säule der Hoffnung, an die man sich nachts, wenn man mal wieder nicht schlafen kann, weil man die Welt in Scherben glaubt, leise betend wendet. Der Lulatsch ist immer da, zeigt uns den Weg, hilft uns bei der Orientierung im Großstadtdschungel, ein bisschen wie der Fernsehturm in Berlin oder der Eiffelturm in Paris, nur eben touristisch noch nicht so erschlossen. Das würde die eins gerne ändern und hat deshalb den „farbenfrohen Fanshop“ für alle Stadtwerkefans und Stromsammler eingerichtet. Dort kann man Schals und Socken bestellen, Räuchermännchen und Duschtücher, Bleistifte und Sonnenbrillen. Als ausgewiesene Marx-Kopf-Gegner unterstützen wir das Unterfangen der eins energie grundsätzlich, sind aber mit der bisherigen Auswahl unzufrieden. Der Lulatsch kann mehr sein, als nur ein Strickmuster für Schals. Er kann, gemeinsam mit dem Technobus, Chemnitz endlich zu einer echten Großstadt machen. Zu einer Stadt, die auch Leute von außerhalb des Erzgebirges anlockt. Zu einer außergewöhnlichen City mit modernem Charakter und Shopping-Flair, auf die endlich auch die beliebigen Marketing-Floskeln anderer Cities zutreffen. Wir haben da ein paar Vorschläge zur optimalen Schornstein-Vermarktung.
Lulatsch-Kreissaal: Der CFC ist insolvent — da hilft es auch nicht, dass im Flemminger CFC-Kreissaal ständig neue Vereinsmitglieder geboren werden. Ein Lulatsch-Kreisaal mit beruhigender siebenfarbiger LED-Beleuchtung, Schornstein-Fototapete und Nebelmaschine würde da weitaus mehr Chemnitz-Identität stiften.
Lulatsch-Restaurant: Drehscheibe Chemnitz: Nach Vorbild des Berliner Fernsehturms bekommt der Schornstein ein Drehrestaurant mit fantastischem Panorama. Über eine 90 Grad steile Außenseilzugbahn gelangen die Gäste ins Restaurant. Dessen Highlight ist der große Räucherofen, in dem man sich sein Fleisch selbst in original Lulatsch-Rauch zubereiten kann. So schmeckt Chemnitz.
Edles Drei-Gänge-Menü: „Chemnitzer Essen“ Auszug der neuen Speisekarte der Villa Esse: „Der Lulatsch ist bekanntermaßen Franzose. Als Vorspeise wird deshalb eine ofenfrische, bunte Baguette-Stange mit Butter gereicht. Als Hauptgang servieren wir handgefärbte und selbstgedrehte Lulatsch-Spaghetti an Jagdwurst und Maggi. Zum Nachtisch gibt es die rauchig-süße Lulatsch-Bratwurst „Original Rostler“ mit Bautz’ner Senf. Ein kulinarisches Highlight für alle Chemnitzer.“
Cocktail „Long Island Lulatsch“ Man nehme Wodka, Ramazotti, Pfeffi, Blue Curacao, Goldkrone, Pflaumenlikör und Limoncello und mische das zu sieben gleichen Anteilen in einem sehr langen Cocktailglas. Wird pur und ohne Wasser oder Eis serviert. Stößchen!
Lulatsch-Leuchtstäbe: Das perfekte Accessoire für eine Nacht im N’Dorphin oder eine Fahrt im Technobus. Auch als Wunderkerzen erhältlich.
Lulatsch-Bong: Blowe dopen Smoke in die Luft like a Lulatsch.
Technobus, Sonderedition „Schornstein“: Rave and Ride in Regenbogenfarben.
Lulatsch-Kondom: Safersex für den kleinen Lulatsch. Mach’s mit. Treib’s bunt.
Zigaretten „Lulatsch Strike“: Smogging kills.
Psychedelische Droge „Essid“: Die Welt ist dir zu trist, der Club zu leer, der Rave nüchtern kaum zu ertragen. Schmeiß Essid ein und sprenge die Pforten deiner Wahrnehmung. Du siehst nicht nur sieben komplett neuen Farben, du schmeckst sie auch, du spürst die LED-Lichter, du atmest bunten Rauch aus. Dieser intensive Esse-Trip wird dein Bewusstsein verändern und dein Leben ruinieren.
Lulatsch-Tampon: Wenn aus Regelblut Lebensfreude wird: Unser extra bunter Schutz für die starken Tage.
Lulatsch-Duftbaum: Für PKW, LKW und Segway. Erhältlich in den Duftnoten „Braunkohle“, „Schwarzkohle“ und „Tristesse“
Lulatsch-Fototapete: Für alle, die in einem Loch ohne Lulatschblick hausen müssen. Für alle, die Chemnitz für eine coolere Stadt verlassen mussten. Für alle, die noch niemals im New-Yorck-Center waren. Der Sehnsuchtsort Schornstein als Fototapete im Originalmaßstab.
CFC spielt fortan in Lulatschfarben: Wenn es dem CFC mal wieder schlecht geht, also meistens, schiebt die eins ja gerne mal ein paar Milliönchen zur Vereinsrettung rüber. Umso verwunderlicher ist es da, dass der CFC nicht gleich auch in Lulatsch-Farben aufspielt. In Chemnitz ist der Himmel ohnehin nie blau.
Haartönung „Septa-Color“: Bi-Color und Ombrè ist vorbei. Septa-Color ist das neue Unicorn-Hair.
Lulatsch-Kontaktlinsen: Sieh die Welt mal mit neuen Augen — mit Pupillen in den Farben deiner Stadt. Für etwas mehr Lokalkolorit im Alltag.
Sleeve-Tattoo „Colors of Heaven“: Ideal als Cover-Up für alte CFC-Tattoo- oder Tribal-Sünden. Feines Detail: Die schwarze Rauchwolke, die sich über den Brustkorb schlängelt.