Das harte Leben als Rockstar – on the road als Merchboy von …Thanks And Get Ready! Teil 1 – Chemnitz: Club Sanitätsstelle, 27.02.2015
Das harte Leben als Rockstar – on the road als Merchboy von …Thanks And Get Ready! Teil 1 – Chemnitz: Club Sanitätsstelle, 27.02.2015

Das harte Leben als Rockstar – on the road als Merchboy von …Thanks And Get Ready! Teil 1 – Chemnitz: Club Sanitätsstelle, 27.02.2015

Fußballer, Feuerwehrmann, Fernsehstar – ein jeder träumt seit der Möglichkeit, klare Gedanken zu fassen und nicht einfach nur bei jeder Notdurft seinen Unmut mit Hilfe von lautstarken Ausrufen zu äußern, von einer späteren Bilderbuchkarriere. In diese Riege fällt auch das Dasein als Rockstar – auch wenn dies eher selten bei vorpubertierenden Teenies der Fall ist und sich erst später als zukünftige Traumeinnahmequelle manifestiert (es sei denn man hört auf einen klangvollen Namen wie Justin Bieber oder Bruce Schröder). Problematisch wird das nur, wenn derjenige vom lieben Jott weder mit einem gewissen Gesangstalent, noch mit jeglichem Taktgefühl gesegnet wurde. Um trotzdem zumindest ansatzweise das #lifeontheroad kennenlernen zu können, bleibt so nur die Arbeit im Hintergrund übrig. Was wäre schließlich ein Axl Rose ohne seine Roadies? Korrekt: Eine Rose im Wind, die ziellos durch die Welt umherirrt – unfähig, seine Knospen an einem Fleckchen Erde zum Sprießen zu bringen. … … … Zurück zum eigentlichen Thema: Wenn die beste Chemnitzer nicht-mehr-zweier-sondern-mittlerweile-dreier Kombo fragt, ob man bereit sei, während ihrer Tour quer durch Deutschland mit dem verheißungsvollen Namen „we never split-reunion show“, die stolze zwei Tage umfasst und in Chemnitz und dem weltberühmten Kurort Seiffen hausieren sollte, den Merchboy zu mimen, dann macht man nicht nur unzählige Nebensätze, sondern kann zudem einfach nur zusagen. Schließlich starteten viele Karrieren erst im hohen Alter. So viele, dass eine Aufzählung nahezu unmöglich und absolut sinnlos wäre. Was während den beiden Tagen alles an Impressionen gesammelt wurde, darf nicht der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Desdawegen hier nun der erste Teil des harten Tourlebens:

20.27 Uhr: Ankunft in der Sanitätsstelle. Der Weg dorthin wurde forschen Schrittes getätigt. Dementsprechend macht die Lunge Soundcheck wie die Vorband Aniconic. Die Begrüßung der bereits anwesenden Bandmitglieder von …Thanks And Get Ready! lässt deutlich zu wünschen übrig: Einer bringt sein Blutlevel vor dem Herrenklo auf Bühnenniveau, einer rennt aufgeregt wie vor einem Lovoodate hin und her – und der Dritte präpariert in aller Seelenruhe den Ort des Geschehens, das Zentrum der Macht, the place where the magic happens: den Merchandisestand. Hier soll es also beginnen – das Rockstarleben. Shirts in den Farben grau, schwarz und blau hängen tiefenentspannt an der Wand, ein Poster inklusive den mehr aber eigentlich eher weniger attraktiven Gesichtern der Band bildet den Mittelpunkt der hängenden Szenerie, etliche Sticker und CDs liegen auf dem Tisch verteilt. Ein paar Tränchen kullern dem Merchboy runter, so schön ist dieser Anblick. Der Stand schmiegt sich perfekt im Veranstaltungsort ein: Die eintreffenden Gäste müssen zwangsläufig einen Blick darauf werfen und werden beim Gang zwischen Bar und Konzerthalle immer wieder daran erinnert, der Band etwas Gutes zu tun und nicht das komplette Geld für völlig überteuerte Flüssigkeiten rauszuschmeißen. Nach dieser Melancholieattacke wird der Platz hinter dem Tisch eingenommen. Let the games begin.

21.01 Uhr: Während bei elektronischen Veranstaltungen, die ihren Beginn bei 23.00 Uhr ansetzen, die ersten Gäste aus, äh, reiner Höflichkeit frühestens zwei Stunden später antanzen, sieht das bei dieser Konzertveranstaltung komplett anders aus: Exakt eine Minute nach Eröffnung stehen die ersten zehn Besucher an – lange bevor überhaupt an einen Kassierer (nicht der, der bei Circus Halligalli seinen Piephahn rausgeholt hat, der aufgrund des massiven Körperbaus seines Trägers extrem…naja…klein aussieht…hihi – „klein“) überhaupt zu denken ist. Dieser trudelt seelenruhig und heute mal mit fünf anstatt der üblichen vier Rasierklingen unter dem Arm ein paar Minuten später ein. Weibliche Begleitung inklusive, versteht sich. Begrüßung gegenüber dem Merchboy: Fehlanzeige. Zu oft scheint er ihn in Situationen erlebt zu haben, die sein Bild ihm gegenüber in den Grundzügen erschüttern lässt. (Ganz schön viele Pronomen.) Aber das ist auch vollkommen in Ordnung. Der Merchboy ist vielmehr dankbar für das Bild, was sich ihm in den kommenden Stunden bieten wird. Aber.eins.nach.dem.anderen!

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21.13 Uhr: Der „Headliner“ ist weiterhin schwer beschäftigt. So erweist sich der Biernachschub als deutlich mangelhaft. Zeit genug, um in Ruhe

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(Moment – erst einmal das Tinder-Tagespensum wegwischen.)

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(Alle Likes verbraucht – kein einziges neues Match. Tag im Eimer.)

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die sich bietenden Bilder zu analysieren: Die Schlange an der Bar nimmt bereits jetzt unerwartete Ausmaße an. Der Bruder des Bassisten von …TAGR! erscheint unangekündigt, was zu herzzerreißenden Szenen führt, die in der Form nicht einmal Casablanca bietet. Und der Türsteherkassierer flirtet ununterbrochen mit seiner Begleitung, die zugegebenermaßen weiß, wie sie ihre Haare zu stecken hat. Das Merchandise ist noch komplett vorhanden, aber die Band hat ja auch noch nicht gespielt, und wer kauft schon gerne die Katze im ominösen Sack.

21.22 Uhr: Die ersten bekannten Ladies kommen an, die selbstverständlich eiskalt ignoriert werden – man muss schließlich seinem Rockstarimage gerecht werden.

21.40 Uhr: Bisher keinen Nachschub an Flüssigkeit erhalten. Während die erste Kanüle ziemlich fix angerissen werden konnte (5,0! – das Budget floss eindeutig woanders hin), lässt weiteres trotz explizitem Nachfragen auf sich warten. Die Laune sinkt deutlich spürbar.

21.42 Uhr: Endlich trauen sich Menschen an den Stand und blicken ungläubig auf die Milliarden Sticker.

21.45 Uhr: Scheinbar kümmerte sich der Veranstalter eher kümmerlich um die Verpflegung für seine gebuchten Gäste, was dazu führt, dass jegliche Bandmitglieder mit Bockwürsten, Brötchen und Senf durch die Gegend laufen. Kritik durchaus angebracht.

21.50 Uhr: Die Frau des Bassisten russischer Abstammung kommt an. Das erste Highlight des Abends, denn die Familie kann als dem Merchboy ziemlich zuträglich bezeichnet werden. Gleichzeitig bildet dieser Abend den ersten Ausgang als frisch gebackene MILF, was zu einer erkennbaren Aufregung auf allen Seiten führt.

21.56 Uhr: Der Schwager von der Frau vom Bassisten (O.O) kauft das erste Nicki. An dieser Stelle ein Gruß an alle Ostler!

22.01 Uhr: Der Bassist enthüllt sein bisher unter einem Pulli verstecktes Shirt. Es enthält den Namen des Merchboy als Aufschrift. Abermals breitet sich Feuchtigkeit in den Augenpartien aus. Mit viel war zu rechnen, aber irgendwo kennt auch die Vorstellungskraft seine Grenzen.

22.05 Uhr: Endlich hält jemand Smalltalk mit dem Merchboy. Nun ist es ja so, dass der Trick am Smalltalk ist, darauf vorbereitet zu sein. Was zunächst nach einer sich ausschließenden Tatsache klingt, macht nach einigen Überlegungen erheblich Sinn. Irgendjemand hat übrigens mal gemeint, dass Sinn nichts machen kann. Ist ja schließlich keine Person. Aber zurück zum Wesentlichen.

22.10 Uhr: Das Konzert von Aniconic beginnt. Vor lauter Aufregung fällt selbst das Antworten bei Whatsapp schwer. Zusätzlich wird jegliche Konzentration durch die immensen Rauchschwaden nicht gerade erleichtert. Seit wann ist das eigentlich wieder innerhalb von geschlossenen öffentlichen Räumen erlebt? #habichwasverpasst?

22.18 Uhr: Selbst die Medien bekamen Wind von der Veranstaltung. Vielleicht wollten sie sich auch einfach nicht die Premiere des Merchboys verpassen. Auf jeden Fall schlängelt sich ein Redakteur in die heilige Konzerthalle mit Hilfe der nicht vorhandenen Gästeliste. Der Rubel scheint bei der Freien Presse nicht all zu locker zu sitzen.

22.24 Uhr: Das erste Angebot zur Wachablösung flattert rein. Mitleid oder Höflichkeit? Die Intention spielt letztendlich keine Rolle – die Offerte wird dankend angenommen und für die Eliminierung des deutlich spürbaren Blasendrucks genutzt.

22.45 Uhr: Der Bassist verschüttet eine erhebliche Menge Bier auf das Posterausstellungsstück. Nach einer kurzen Diskussion über ein mögliches Wechseln des Papiers stellt sich relativ schnell heraus, dass das so sein muss. Das ist also dieser berühmt-berüchtigte Rock’n’Roll-Lifestyle.

22.55 Uhr: Die erste Überforderung folgt. Nicht aufgrund massiver Verkäufe, sondern durch die Begrüßung von ganz schön spät eintrudelnden Bekannten. Wenigstens gelingt es dem Merchboy, dem Angeschlagensten der Truppe seine letzten fünf Euro für eine EP aus den Rippen zu leiern. Gibt Abzug auf der Karmaskala und das Paradies rückt noch weiter in die Ferne, aber was tut man nicht alles für seine Passion.

22.58 Uhr: Die Zeit scheint für einen Moment stehenzubleiben: Ein Wesen betritt die Sanitätsstelle, das aufgrund seiner Ausstrahlung alles in den Schatten stellt. Perfekt sitzende Kleidung, ein Lächeln wie Angela Merkel, nur komplett umgekehrt, und ein Pony, der so gerade ist wie die B101 in Brandenburg zwischen Jüterbog und Kloster Zinna. Kurzum: Menschliche Vollkommenheit. Die bisherige Flüssigkeitsaufnahme trägt sicherlich ihren Teil zur Gefühlsduselei bei, doch auch im Nachhinein entfleucht dem Merchboy beim Gedanken an dieses Geschöpf ein dezentes „haaach…“. Aber, und hier nimmt die Geschichte eine entscheidende Wendung, wie sollte es anders sein, wird sie von einem eher jungen Herren begleitet. Jetzt hilft nur noch die Flucht nach vorne in Form einer aggressiven Ablenkungsmethode – in Fachkreisen auch „Bier“ genannt.

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23.00 Uhr: Der Türsteher blättert scheinbar gelangweilt auf einem Barhocker breitbeinig in einer Zeitung, während seine Begleitung zwischen seinen Schenkeln nach Aufmerksamkeit ringt. Was sich zunächst als Unterhaltungsfaktor während den Ruhephasen des Merchboys herausstellt, entpuppt sich nach und nach als wahre Neidquelle. #einsam #miäää

23.02 Uhr: Der Headliner beginnt nahezu pünktlich – die Masse bewegt sich zur Bühne. Dementsprechend ruhig wird es in allen anderen Räumen. Eine weitere kurze Melancholieattacke folgt, schließlich ist lediglich der Gitarrist ab und an vom Stand aus zu sehen und der Rest nur zu erahnen. Trost spendet der zweite Zonk: Während handelsübliche Bands ihre Hits zu guter Letzt und nach gezwungenen „Zugabe“-Rufen spielen, rotzen …TAGR! auf diese vermeintliche Norm und hauen ihren Gassenhauer „Cracks“ direkt als Zweites raus. Ein Mal mit der Zeile „see my mind burst – into two“ infiziert, lässt sich diese erst wieder abschütteln, wenn… Hm… Eigentlich lässt sie sich nie wieder abschütteln.

23.32 Uhr: Eine halbe Stunde gespielt – und noch immer ist eine öffentliche Ehrung des Merchboys nicht in Sicht. Enttäuschung macht sich in eine kaum in Worte zu fassende Art und Weise breit. Stattdessen stehen zwischen den Songs die üblichen vermeintlich dilettantischen Ansagen im Vordergrund, deren Funktion als allgemeine Erheiterung, aber vor allem ebenso als Regenerationspause bezeichnet werden kann – schließlich handelt es sich bei den drei Jungs nicht unbedingt um die aktuellen Rekordhalter des Marathonlaufs.

23.37 Uhr: Die „neue Platte“ bekommt ihre offizielle Vorstellung. Falls diese wahnsinnige Metapher noch nicht von jedem erfolgreich verarbeitet werden konnte, sollte dies spätestens jetzt der Fall sein. Gemeint ist damit kein physischer Tonträger, sondern der Mensch hinter dem Schlagzeug, der, bei allem Respekt, über nicht allzu viel Haupthaar verfügt. Leider geht in diesem Zusammenhang die Ehrung des Merchboys nahezu komplett unter. Nach kurzer Überlegung, die Sachen zu packen und fluchtartig das Gelände zu verlassen, wird kurzerhand der Frust mit Hilfe einer einstudierten Atemübung entfernt. Gewusst wie!

23.50 Uhr: Türsteher und Begleitung verlassen bereits vor dem Veranstaltungsende die Location. Entweder überzeugte der Sound nicht vollends die beiden, oder die Hormone siegten am Ende doch. Die Gewissheit, dass zumindest gegen letzteres in der Nacht noch etwas unternommen wird, kann als durchaus gegeben angesehen werden.

23.58 Uhr: Für eine gewisse Zeit bleibt das Herz des Merchboys komplett stehen, denn das erwähnte gottgleiche Wesen entscheidet sich dafür, ein Shirt zu kaufen, was anfänglich in etwa so abläuft:

„Hallo – ich hätte gerne ein Girlie-Shirt in Blau, Größe S.“
Er [Augen weit aufgerissen, Mund leicht geöffnet, an der Flasche festkrallend, viel zu viel Zeit für eine Antwort verstreichen lassend]: „Ok, Moment.“

Oder anders und leicht zusammengefasst ausgedrückt: Es ist nicht möglich, einen miserableren ersten Eindruck von sich zu präsentieren. Die Aufregung erreicht ihren Höhepunkt, als der Merchboy beim Versuch, die Bandkasse zu öffnen, den winzigen Schlüssel versehentlich fallen lässt und selbst nach fünf-minütiger Sucherei nicht findet. Mit sichtbarem Mitleid in den wunderwunderschönen Augen schlägt (nennen wir sie einfach mal) L. vor, später noch einmal wiederzukommen, was der Merchboy dankend annimmt. Zeit, durchzuatmen und sich selbst in den Allerwertesten zu treten. Ein paar Minuten vergehen, und sowohl der Schlüssel, als auch L. tauchen wieder auf. Dieses Mal wieder in Begleitung des Liebhabers. Das Geschäft geht nun lupenrein über die Bühne, und mit der Abwicklung folgt die trostlose Erkenntnis: Das wird heute nichts mehr mit dem Kennenlernen.

0.12 Uhr: Das Konzert findet sein Ende. Die obligatorische Zugabe besteht aus einem exklusiven neuen Song, der sich deutlichst von den Anderen abhebt. Ein sieben-minütiger Postrockbrocken, der zeigt, wo zukünftig die musikalische Reise hingehen wird. Musikjournalistische Phrasen sind übrigens ähnlich eklig wie Rosenkohl.

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Etwa 01.00 Uhr: Die Motivation, alles genaustens zu protokollieren, lässt von Minute zu Minute nach. Die Band befindet sich mitten im Abbau, ab und an wird eine EP über den Merchandisetisch gereicht, und L. macht sich mit Anhang sichtlich angeheitert (auch das noch!) auf den Weg nach Hause. Das klingt insgesamt deprimierender, als es sich in dem Moment angefühlt hat. Eine zufriedenstellende Anzahl an verkauften Konsumgütern, mehr zahlende Gäste als erhofft und ein reibungsloser musikalischer Ablauf lassen den ersten Abend als absolut geglückt bezeichnen und die Vorfreude auf den folgenden Tag in die Höhe schnellen. Schließlich soll mit Seiffen ein Ort folgen, der in der Form noch überhaupt nicht auf der mentalen Landkarte des Merchboys verzeichnet war.

Fortsetzung folgt.

[Achtung: Jegliche Parallelen zu real existierenden Personen, Gegenständen und Orten sind absolut nicht unbeabsichtigt.]

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