Wie sang Peter Licht einst so schön? „Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf’m Sonnenberg“. Und wo Licht ist, ist bekannermaßen immer auch Schatten. Für den zweiten Teil der Chemnitzer-Kiez-Portraits haben wir uns die kugelsicheren Westen übergeworfen und uns mit Einbruch der Dämmerung im freien Fall in die sozialen Schluchten des Sonnenbergs gestürzt. Zwischen Unterführung und Underworld wollten wir in dieser schaurigen Schattenwelt wandeln, um zu sehen, ob der Sonnenberg seinem räudigen Ruf tatsächlich gerecht wird. Da er das absolut tut, gibt es heute für euch tausend Fotos und kaum Worte, weil das erfahrungsgemäß die meisten Klicks bringt und weil Worte manchmal auch einfach nur überflüssig sind (, wenn es Bilder dazu gibt).
Was bleibt uns da noch groß zu sagen außer:
Druck im Ohr, die Luft wird knapp, wir haben die hundert Höhenmeter erreicht, die den Sonnenberg von den traurigen Tälern der Stadt strahlend hell abheben, und man sollte solche Texte nie nachts um zwei schreiben. Jedenfalls geht die Reise jetzt los.
Friedlich sitzen junge Christen auf den Stufen der Arche, die sie vor den Sünden-Sumpf des Sonnenbergs rettet. An dessen Fuß, an der Augustusburgerstraße, befindet sich einer der heißesten Clubs der Stadt: Das New Generation. Jeden ersten Samstag im Monat steigt hier die „JesusParty“, jeden zweiten der „Jesus Party Dancefloor“, jeden dritten Samstag im Monat findet hier die „Jesus Party Worship Night“ und jeden vierten die „Jesus Party Lounge“ statt.
Szene-Kenner sprechen von fundamentalistischen Feiern orgiastischen Ausmaßes.
Mosenstraße! Mosenstraße! Es muss Mosen- straße heißen!
Alliteratives Allerei im Angebot der Metzgerei.
Zwischen Dreck und Drogenkriminalität gedeihen auch am Sonnenberg spießige Kleingartenanlagen, die „Hammerfrieden“ heißen, während nebenan die Tonne brennt.
Chemnitz, das Ostberlin des Ostens. Illegale Partys gab es hier schon, bevor Partys überhaupt illegal waren. In der gesetzlosen Nachwende-Zeit blühte hier immerhin eine Landschaft: Techno-Partys. Zum Beispiel auf dem Gelände des ehemaligen VEB Fahrzeugelektrik, das heute, wo vieles vom einstigen Spirit verblüht ist, fast verwelkt an die alten, wilden, wahnsinnigen Zeiten erinnert.
Investiert wird dafür aber in die Blüte des neuen Fußballstadions.
An Spieltagen ist hier ausnahmslos alles voll.
Hier wird der Jugend das Blaue vom Himmel versprochen: Im Jugendclub „Substanz“ – wenn das mal nicht missverstanden wird.
Denn wenn wir schon beim Thema Substanz sind: Ist das grobes Koks, das hier auf der Straße liegt – oder sind es doch nur müde Meth-Bestände?
Komplett bewohnt.
Genereller Zustand der meisten Ladengeschäfte auf dem Sonnenberg.
Ein kleines Mittelaltergeschäft mit dem sympathischen Name „Rotten Chessie“ (vs. Taragones Feuer) – umgekehrt könnte Chessie Rotten wiederum fast der Name eines Sex-Pistol-Mitgliedes sein.
Ein Laden –
seine Schaufensterdekoration.
Und sein Angebot. Angeblich EFRE-gefördert.
Jetzt das Last-Minute-Ticket ins Glück lösen.
Das heimliche Tor zum Sonnenberg: Die Unterführung zwischen Hauptbahnhof und Dresdner Straße. Viel besagt, viel gefürchtet, kaum betreten.
des Tunnels.
Man erkennt es kaum noch, aber hier soll daran erinnert werden, dass Anfang der Achtzigerjahre keine Geringere als die Halb-Heilige Mutter Teresa die protestantische Proletariats-Hochburg Karl-Marx-Stadt besuchte und dafür extra im Trabi über die DDR-Autobahn fuhr, um..
…einen Orden in dieser gottlosen Gegend zu eröffnen: Die Missionarinnen der Nächstenliebe bzw. der Orden von Mutter Teresa.
Den es bis heute gibt und der sich, wie Mutter Teresa auch, um die Armen kümmert und dabei selbst in Armut lebt. Einmal in der Woche gibt es hier eine Essensausgabe für die bedürftigen Bewohner des Sonnenberges, die immer stark frequentiert ist. http://www.sz-online.de/nachrichten/als-mutter-teresa-trabi-fuhr-2335478.html
Ein Urgestein im Chemnitzer Nachtleben.
Auslage des einzigen echten „Fashion“-Ladens auf dem Sonnenberg.
Und das, was vom alten Glanz übrig blieb.
Wo nachts manchmal Menschen überfallen werden.
Delikate Hipster-Speisen.
Wo nachts schon mal Dixi-Klos brennen.
Der Blick auf die Speiskarte des Hotel und Restaurants ist eigentlich nur mit Dollar-Zeichen in den Augen möglich:. Vorspeisen kosten hier schon mal 19 Euro und halbwegs normale Nudeln ab 16. So ist das auf dem Sonnenberg: Die einen nagen am Hungertuch und sind auf die Essensausgabe der Nonnen angewiesen, während hier die Elite im Champagner badet .
Goldene Zeiten im Kiez.
Wo man eigentlich immer Crystal-Opfer trifft.
Wir wollten die neue Video-Rekorder-Generation testen. Jetzt. Hier. Aber der Laden hatte geschlossen.
Die Einsamkeit der Bierflasche.
Unser Homie Homa im Portrait. Homa das Weed, Alter!
Streetart wird groß geschrieben auf dem Sonnenberg. Weed auch.
Who needs a heart when a heart can be broken?
Die EU förderte in einem beispielosen Projekt den Abriss von verfallenen Altbauten auf den Sonnenberg. Für jedes frisch abgerissene Haus gibt’s drei Millionen Euro gratis oder so (keine genaue Recherche möglich weil spät) – und deshalb jetzt viele Grünflächen, die zum Verweilen einladen. So geht gute Stadtentwicklung.
Wo man eigentlich nie ohne kugelsichere Weste langlaufen sollte.
Hier entsteht ein urbaner Gemeinschaftsgarten.
Die erste erlesene Sonnenberg-Erdbeere.
Wem Garten-Arbeit zu mühsam und selbstangebautes Zeug zu Öko ist, der kann immer noch auf den ein oder anderen Dönerladen nebenan zurückgreifen.
Dass hier gerade die Feuerwehr vorbeifährt ist natürlich ein Geschenk des Zufalls.
Hier bekommt man nachts um drei noch ein Bier.
Unscharf im Bild: Mann mit Swag. Also mit Goldkette. Und Dollarzeichen dran. Auf dem Weg ins „Alexander“ vermutlich. Auch auf dieser Straße vermutet: Das geheime Ersatzteile-Lager vom MS BEAT.
Born Slippy.
Eine Institution im Chemnitzer Kulturleben, wo auch wir schon regelmäßig mindestens die Hälfte unseres monatlichen Bafögs gelassen haben. Damals, als wir noch reich für immer waren.
Wo manchmal auch der Bus hält.
Wo früher das difranco war, ist heute eine dubiose Bar.
Halb Spiel-Cafè, halb Späti: Ein bewährtes Geschäftsmodell auf dem Sonnenberg – böse Blicke von den Bar-Besetzern gibt’s hier ganz für umsonst.
Wo sich Kids mit lila-gefärbten Haaren unterhalten: „Ey Alte, du bist 21, schwanger und säufst? Ich glaubs ne, echt. Geht gar ne!“
Am Sonnenberg gibt es eigentlich nur zwei Arten von Geschäften: Getränke-Läden und längst geschlossene A&V. Dafür aber auch ein Sozialkaufhaus.
Wo man bis zu den Bonzen im Schlossviertel schauen kann.
Die Gebote, die Kinder für den Lessing-Platz gemalt haben, teilen wir in der Re:marx-Redaktion grundsätzlich auch. Und zwar bedingungslos.
Ähnlich wie in der Re:marx-Redaktion hält sich allerdings auch auf dem Lessing-Platz kaum jemand daran.
Re:marx in Gefahr: Einen randvoll mit Bierflaschen gefüllten Mülleimer fotografieren, neben dem eine randvoll mit Alkohol gefüllte Gruppierung Menschen sitzt, und dabei dumm angemacht werden: Check.
Wo schon wieder Gras drüber wächst.
„Allah mag Schweine“
Das ist auch der Sonnenberg: Deutschlandfahnen, Reichsflaggen und irgendwo daneben hängt ein Regenbogenwimpel. Auf dem Fußweg prangt ein grünes Hakenkreuz und 50 Meter weiter vorne kann man im Rastafari-Laden linksradikales Gutmenschenzubehör kaufen. Das kann man politische Vielfalt nennen, vielleicht klafft hier aber neben der Arm-Reich- auch einfach eine riesige Links-Rechts-Schere.
Hat 2011 den Architekturpreis für herausragende Hütten gewonnen: Die Sparkasse an der Zietenstraße.
Intellektüre im Lesecafè „Kaffeesatz“, wo der Sonnenberg seinen akademischen Schein bewahrt.
Der Sonnenberg war das alte Arbeiterviertel der Stadt. Davon ist nicht mehr viel geblieben, außer ein Laden für Berufsbekleidung und das Arbeiterwohlfahrts-Gedächtnishaus. Sonnenberg ist heute ein Hotspot für die krassen Hipster, denen der Kassberg zu elitär und Bernsdorf zu langweilig ist, für die tragisch durch’s soziale Raster gefallenen, kaputten Seelen und für kleinkriminelle Drogenopfer. Und für den ein oder anderen Re:marx-Redakteur, von denen man ja auch nie genau weiß, ob sie zu a), b) oder c) zählen.
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Bullshit! Wenn man den Sonnenberg mit anderen deutschen „Ghettos“ vergleicht ist er beinahe schon das wahre Paradies. Dass das Viertel nicht das aufgeräumteste ist, sieht man auch in ganz Chemnitz. Der Sonnenberg ist vollkommen ok
Das ist die schönste Bildstrecke, die ich seit Langem gesehen habe.
Wassn los? Iss doch nur halb so schlimm!