Die Post der Moderna: Was im Frühling in Sachsen geschah
Die Post der Moderna: Was im Frühling in Sachsen geschah

Die Post der Moderna: Was im Frühling in Sachsen geschah

Mit 2021 ist es wie mit dem Snoozen: Eigentlich will man nur noch kurz liegen bleiben, ist ja schließlich erst März, aber dann wacht man plötzlich auf – und es ist Juni. Juni heißt, der Sommer geht los und das Jahr ist fast vorbei. Die Pandemie ist plötzlich auch vorbei, und fühlt sich verdächtig wie Gaslighting an: Erst sitzt man monatelang völlig isoliert und am Rande der Verzweiflung zuhause, und dann ist plötzlich der Sommer da und tut so, als hätte man sich das alles die ganze Zeit nur eingebildet. Juni heißt auch, wer jetzt keine Bilder von blassen Pflastern auf pandemieschlaffen Oberarmen in die Sozialen Netzwerke lädt, um mit seinem Impfprivileg zu prahlen, war einfach nicht bei der großen Antikörperbildung 2021 dabei. Juni heißt, in die Kneipen zu rennen und dabei als erstes „ich bin geimpft“ zu rufen, heißt, nicht mehr über das Wetter, sondern über Impfreaktionen oder Immunsystemkapriolen zu smalltalken und sich über Impfstoffe auszutauschen, als wären es Bananenbrotrezepte. Juni heißt, Impfarm und Sonnenbrille tragen und unverschämte Sätze sagen wie „Also ICH hab die Kreuzimpfung, die soll ja noch viel besser als zweimal BionTech sein.“ Juni heißt Menschen in Geimpfte, Genesene und Getestete zu unterscheiden. Wobei uns das ja völlig egal ist, wir unterscheiden nur in Menschen, die unsere Jubiläumsausgabe vorbestellt haben (extrem cool) und den Rest (kein Kommentar). Jedenfalls: What a very weird time to be alive.

In Sachsen sind Montagsspaziergänge noch angesagt, in Sachsen beißen Stadträtinnen Polizisten, in Sachsen feiert man einen Aufstieg mit Krawallen, in Sachsen holt die AfD zur Landtagswahl immer noch… ach nee huch, das war ja Sachsen-Anhalt, das andere Ost-Klischee-Abenteuerland.
In letzter Zeit haben wir das tagesaktuelle Geschehen ehrlich gesagt nur noch ziemlich halbherzig verfolgt und fühlen uns etwas uninspiriert, weil alles so nervt: Sachsen-Anhalt nervt, das Erzgebirge nervt, die Montags-Spaziergänge nerven, die informationsverkürzten Wokeness-Kacheln auf Instagram nerven aber auch, Twitter ist toxisch as fuck, Jens Spahn – old news, die Einkaufswagenpflicht in den Supermärkten nervt, die EU-Grenzpolitik nervt nicht nur, sie ist absolut beschämend, und ach ja, die CDU nervt, die Wahlumfragen nerven, Hans-Georg-Maaßen nervt, die Dynamo-Hools nerven, die CDU nervt, die AfD in den Stadträten nervt, das verzweifelte Aufbäumen der Konservativen gegen alle Fortschrittsbemühgen nervt, der Rechtsextremismus im Osten nervt, die CDU nervt. Wir sind nicht mehr pandemiemüde, wir sind Nazis-im-Osten-müde oder CDU-Skandal-müde oder Social-Media-müde. Vor allem aber sind wir Kretsche-relativiert-mal-wieder-müde. Wird Zeit, dass die EM losgeht und so tut, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. 

Kretsche zum Beispiel, der Einknick-König im Land der großen Schlichter und Einlenker, nervt auch. Unser Micha ist neulich nach Russland gefahren, um dort mit Putin zu telefonieren, dann ist er nach Zwönitz gefahren, um dort Nazi-Proteste zu relativieren.
Denn Kretsche versteht sie alle: den Putin und die Sorgen der Bürger:innen, das Lamento von Kati Witt und die Bedenken der Querdenker:innen, das überlastete Pflegepersonal auf den Intensivstationen und die Menschen, die ihm sonntags beim Schneeschippen anpöbeln, die Eltern, die ihm Kinderschuhe vor die Staatskanzlei stellen, die Polizei, die ganz besonders kritischen Zeigefingerfragen von Markus Lanz. Nur „die Linken“, die versteht er einfach nicht. Mit den Linken will er auch nicht reden, obwohl er sonst immer mit allen reden will. Michael Kretschmer ist die personifizierte Floskel „wir müssen reden!“, die Buntmacher*innen, aber als Ministerpräsident, der offizielle Psychotherapeut für die sächsische Seele. Sein Anliegen mag gutmütig und edel sein oder einfach nur machtversessen, man weiß es bei ihm nie so genau. Harmoniebedürftiger als ein Amigos-Song fährt Kretsche als Seelsorger durchs schöne Sachsenland und erspürt die Stimmung der ewig abgehängten Provinz, fühlt ganz genau, woher der Wind gerade weht und hängt dann sein Fähnchen rein. Wie ein Sky Dancer flattert er über der sensiblen, aber stolzen Sachsen-Seele und biegt sich dynamisch dahin, wo gerade die Wählerstimmen wanken. Und so ist er natürlich auch sofort nach Zwönitz gefahren, wo man Menschen, die mit Rechten marschieren und Polizist:innen angreifen, noch „friedliche Bürger“ nennt, wo Stadträtinnen Polizisten beißen, wo Sturheit und provinzieller Lokal-Stolz hinter der Wutgesichtswursttheke liegen, und hat dort wieder mal ne dicke Scheibe von der saftigen Sachsen-Sorge probiert.

 

Die scheint geschmeckt zu haben, denn DER ZEIT hat er gesagt: „Das Erzgebirge ist eine ganz besondere Region, typisch sächsisch. Es ist die Erdverwachsenheit, die Haltung, die Disziplin, auch die Fähigkeit, schwere Dinge zu tragen und gemeinsam solidarisch zu leben, die das Erzgebirge zu dem gemacht haben, was es ist.“ – und jeder, der während der Corona-Pandemie schon mal im Erzgebirge war, dürfte beim Lesen dieser Zeilen innerlich eskaliert sein wie ein Montagsspaziergang der Freien Sachsen. Apropos: Laut Kretschmer war quasi die Bundesnotbremse Schuld an der Eskalation, die er paar Wochen vorher übrigens noch befürwortet hat. Fast wie ein CDU-Ministerpräsident, der vor einer Bundes-Koalition mit den Grünen warnt, obwohl er auf Landesebene selbst mit ihnen koaliert. Oder der auf Twitter deutliche Worte gegen die AfD findet und sie dann wieder löscht, weil die AfD was dagegen hat… oh wait! Wir glauben übrigens nicht, dass er die AfD heimlich ganz gut findet oder so, wirklich nicht. Aber erstens stabilisiert man mit Opportunismus keine Demokratie, und zweitens kultiviert er seit Jahren eine AfD-Apeasementpolitik, als hätte er nichts aus der Geschichte gelernt. Und da sind unsere Belastungsgrenzen unserer ganzen persönlichen Sachsenseele auch mal erreicht.

Immerhin hat der Chemnitzer Minderwertigkeitskomplex aktuell endlich mal was erfreuliches zu erzählen: Also Culturhauptstadt halt. Wobei wir langsam nicht mehr wissen, ob das mit der Kulturhauptstadt das Beste oder das Schlimmste war, das Chemnitz jemals passieren konnte. Oder ob unsere Ansprüche einfach nur zu hoch sind, weil wir uns digitale, junge, urbane, mutige Projekte und Impulse wünschen, aber eine #Kulturhauptstadtsparkasse, den Pump Brudi, bunte Kreidemalereien auf Straßen, den Erzgebirgskrimi und einen Bürgermeister bekommen, der die Karte von Finnland hochhält als würde er bei „Die Höhle der Löwen“ gerade die erste schlüpferflexible Menstruationsbinde pitchen.

 

Weil wir uns darüber aber jetzt auch schon seit drei Monaten beschweren, wird es Zeit, endlich mal ein ganz anderes, total neues Chemnitz-Thema zu beleuchten. Gleich mal schauen, was es da in letzter Zeit so gab … Oh hier! 

„Bessere Bahnanbindung für Chemnitz lässt auf sich warten“.  

Oar nee, Leute. Wir sind erstmal raus. Schön Außengastro und Culturol kippen. Ist ja schließlich Juni. 

2 Kommentare

  1. ich bins...

    Erst wird´s gehyped und dann wirds kaputt geredet. Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass wir den Titel der Kulturhauptstadt bekommen haben und jetzt sind es noch mehr als drei Jahre hin, bis 2025. Was auch zu Chemnitz passt sind die nörgelnden Blogger. Chemnitz hatte sicher andere Probleme, als sich um das Kulturhauptstadt-Programm zu kümmern. Auch wenn es dem ein oder anderem nicht passt, aber der Titel ist die nächsten vier Jahre unser Marketing-Slogan.
    Besser wäre noch: Kulturhauptstadt? Weil wir´s können.
    Ich hab mich für die Jubiläumsausgabe registriert, aber weder eine Bestätigung noch eine Info bekommen, wann man die nun endlich zu Gesicht bekommt. Bis jetzt nur leere Worte, 2026 brauch ich das Ding dann auch nicht mehr.
    Statt wie früher (ja, damals war wirklich alles besser) die Gemütslage der Chemnitzer in Ironie zu ertränken, wird hier im Blog nur noch rumgenörgelt. Damals war er wenigstens Erwähnungen in der Freien Presse wert, jetzt ist es nur noch peinlich hierauf Bezug zu nehmen.
    Bevor der „mann hinter re:marx“ noch mehr abhebt, sollte er vielleicht mal andere den Blog schreiben lassen, um nicht ganz belanglos zu werden.
    Schon alleine, dass Kommentare zensiert werden ist ein Skandal. Und dann noch nichtmal eine Info per Mail dazu. Da frag ich mich, für was man unten seine Mailadresse angeben muss.
    Hier gibt es kaum noch Kommentare zu Blogs, weil se entweder wegzensiert werden oder sich niemand mehr hierfür interessiert. Beides macht es nicht besser…
    Wer das ist liest ist d**f… Ansonsten ist es wiedermal der Zensur zum Opfer gefallen. Größe zeigt man nur, wenn man drüber steht und nicht schmollend in der Ecke sitzt.

    1. Mann hinter re:marx

      erstens: toll, ein nörgler, der übers zu viele nörgeln nörgelt. next level chemnitz
      zweitens: ja, wir müssen unsere kommentare immer erst freischalten, weil wir das genau so wollen, und das dauert manchmal, weil wir nicht täglich nachgucken. oder welcher deiner kommentare wurde jetzt „zensiert“?
      drittens: die printausgabe gibts offiziell ab 16.07. in der galerie borssenanger.
      wir machen das im ganz kleinen team und nebenher, wir können das nicht anders stemmen.
      viertens: lol

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