Die Post der Moderne: Autokratie Chemnitz
Die Post der Moderne: Autokratie Chemnitz

Die Post der Moderne: Autokratie Chemnitz

Zuerst die gute Nachricht: Man muss sich als Klima-Aktivist:in nicht umständlich auf die Straße kleben, um in Chemnitz von aggressiven Autofahrer:innen überfahren zu werden. Es reicht schon, wenn man die Straße einfach nur zu Fuß überquert, an der Ampel, bei Fußgänger-Grün. Überhaupt muss man in dieser Stadt nicht mal unbedingt Klima-Aktivist:in sein, um regelmäßig von aggressiven Autofahrer:innen umgefahren zu werden – es reicht, wenn man einfach nur zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist. Wobei das nach Chemnitzer Maßstäben auch schon eine Art Klima-Aktivismus, ach was, Klima-Terrorismus ist, denn Chemnitz ist eine gottverdammte Autokratie. So ereignete sich vergangenen Freitag beim Klimastreik folgendes: Die Fridays For Future-Demo überquerte eine grüne Fußgänger-Ampel. 

Das geht natürlich zu weit – vor allem, weil die Demonstrierenden dabei auch noch provokante „Verkehrswende jetzt!“-Schilder trugen, anstatt endlich mal „ordentlich arbeeten zu gehen“, weshalb einige wutverdieselte Chemnitz-Fressen extra hart aufs Gaspedal traten und beinahe absichtlich ein paar Jugendliche überfahren hätten. They kinda had it coming, wie irgendjemand in eurer Lieblingsserie jetzt abgeklärt und kaltherzig sagen würde, weil sie mit ihrem grünem Lastenradikalismus und „hysterischen“ Zukunftsängsten unseren hart arbeitenden Autos die Parkplätze wegnehmen wollen. Zu allem Auspuff-Überfluss formiert sich jetzt auch noch die Letzte Generation so langsam in Chemnitz, die Stadt macht sich also bereit für die größte Boomer-Eskalation seit dem versunkenen Skoda im Schlossteich. Die Facebook-Kommentarspalten glühen schon mal vor, Gott weiß, was passiert, wenn der Lulatsch mit Kartoffelbrei beworfen oder das „I Love C“ mit Fake-Kohle beschmiert oder, am allerschlimmsten, der Autoverkehr kurz aufgehalten wird. Am Wochenende gab es bereits den ersten Vorgeschmack auf das potentielle, vermutlich nie dagewesene Empörungs-Eskalations-Niveau, nämlich bei den überaus aggressiven Reaktionen diverser Chemnitzer MdBs auf die Grundgesetz-Aktion, die man vielleicht streitbar oder drüber finden kann, die im Grunde aber völlig harmlos war. Am Ende stellt sich die Frage, wer hier eigentlich „hysterischer“ ist: Die Menschen, die um ihre Zukunft, oder die Menschen, die um ihre Autos fürchten.
Doch Chemnitz kann sich entspannt im Fahrersitz zurück lehnen, denn hier gilt zum Glück immer noch das deutsche Grundgesetz, Artikel 1: Das Abgas des Autos ist unantastbar. Es gilt auch die Wandtattoo-Maxime: „Lebe stets so, dass Volker Wissing stolz auf dich wäre“, und das Wandtattoo wirkt, denn Volker Wissing macht jetzt Verkehrspolitik nach Chemnitzer Modell: Wenig Deutsche Bahn, viel deutsche Autobahn. Der geplante Deutschlandtakt der Bahn soll bald nach Vorbild des Chemnitzer ICEs fahren, nämlich erst 2070, beziehungsweise nie. Dafür sollen wiederum die Autobahnen nach Vorbild der Chemnitzer Brückenstraße ausgebaut werden, nämlich zehnspurig. Da passt es auch gut, dass die geldgebeutelte Kulturhauptstadt bei VW, also bei Volkswagen, nicht bei Volker Wissing, angeklopft und nach Geld gefragt hat, was total Sinn macht – denn was könnte besser zu Chemnitz passen, als ein Sponsoring der Automobil-Industrie? Wir freuen uns jetzt schon auf die VW-Kulturhauptstadt 2025, die Allianz-Arena der europäischen Kulturprojekte: 3000 Garagen, aber als dezentrales Autohaus, Tanzen am Tempolimit im Garagencampus, die European Peace Ride rollt mit PKWs nach Pilsen und schnallt sich ihre 5000 Euro Carbon-Maschinen einfach auf die Dachgepäckträger. Die frisch gepflanzten Apfelbäume werden wieder gefällt, weil man Parkplätze braucht und die FDP investiert ihre Aktienrente in ein zukunftsfähiges c-Fuel aus Apfelsaft. Der OB präsentiert den neuen VW-Kuhareq in sieben exklusiven Speziallackierungen, das Hup-Festival feiert Straßenmusik mal anders, die Befahrungen bringen neues Leben in stillgelegte Parkhäuser und die Tankstellen verkaufen ein eigens gemischtes Kultur-Benzin, von dem jeweils ein Euro pro Liter an die Auto-Lobby geht.

Das ZDF weiß nicht, wo Chemnitz liegt, wobei das ja vielen so geht. Deshalb wird aktuell die internationale Serien-Produktion „Concordia“, die in Chemnitz spielt, ausgerechnet in Leipzig gedreht. Im Filmbusiness ist das eigentlich normale Praxis: Görlitz zum Beispiel muss ständig als irgendeine Dreißigerjahre-Nazi-Stadt herhalten, dabei bräuchte Görlitz dafür nicht mal unbedingt historischen Film-Kontext. Für Chemnitz ist das aber so, als würde man dem Chemnitzer Minderwertigkeitskomplex, der ja ohnehin schon angeschlagen auf dem Boden liegt, noch mal extra brutal auf die Tränendrüse treten. Allerdings hat auch niemand je gefragt, wie es eigentlich Leipzig damit geht, sich seinen Fame mittlerweile als billiges Chemnitz-Double verdienen zu müssen. Die Empörung ist jedenfalls ziemlich funny, aber auch natürlich auch total berechtigt. Der Plot der Serie klingt schließlich so, als hätte Miko Runkel höchstkarnevalspersönlich das Drehbuch geschrieben: Chemnitz wird dank permanenter Kamera-Überwachung zu einem gewaltfreien, sozial und wirtschaftlich florierenden City-Paradies, bis am Erzgebirgsrand ein schrecklicher Mord passiert. Diese Story hat Leipzig einfach nicht verdient!

Ramsan Kadyrow hingegen weiß, wo Chemnitz liegt, also vielleicht. Der Tschetschenen-Tchef will demnächst Ostdeutschland besetzen, als Rache dafür, dass die BRD jetzt Panzer in die Ukraine liefert. Zufällig trifft sich das ganz gut, denn Ostdeutschland will offenbar auch unbedingt von Russland besetzt werden. In Sachsen werden derzeit jedenfalls schon mal Russlandfahnen geschwenkt wie sonst nur Reichsflaggen. Wobei das mit den Russlandfahnen auch daran liegen könnte, dass Reichsflaggen mittlerweile verboten sind und der propagandablinde Widerstands-Ossi bei seiner Montagsdemo neuerdings auf Russlandfahnen umschwenken MUSS, wenn er Seite an Seite mit Nazis für Freiheit, Frieden und gegen Diktatur marschiert. Hauptsache, man solidarisiert sich aus bloßem Opferossi-Trotz mit irgendeinem menschenverachtenden Aggressor.
Chemnitz wiederum wird gerne von Uwe Steimle besetzt, und das, obwohl der aus Dresden kommt. Aber Steimle vereint einfach das Schlimmste aus allen Welten, und das gefällt vielen (Umlands-)Chemnitzer:innen: Hier etwas Homophobie, da mal Anflüge von Antisemitismus, zwischendurch ein bisschen Lügenpresse-Hetze, dort eine Prise Corona-Schwurbelei und ganz viel Dresdner Dialekt, natürlich alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Die typische Montagsdemo-AfD-Litanei eben, aber vielleicht repräsentiert Steimle am Ende auch nur einen Querschnitt aller in Sachsen salonfähigen Stille-Mitte-Meinungen. Das würde wiederum erklären, warum sich bei seinem vom Schalom hofierten Auftritt im Kraftwerk trotz ambitionierter Cancel-Versuche der Grünen eine Menschenschlange quer durch Chemnitz kringelte wie sonst nur beim Apotheken-Prozentemontag oder Einlass Roland Kaiser Konzert. Oder warum Kuha-Boss Stefan Schmitdke auf Instagram öffentlich traurig darüber war, die Veranstaltung verpasst zu haben. Die lange Menschen-Schlange endete bei einer Erkenntnis: Jammerton, Steimle, Scherben – das ist der Punk der Sachsen. 

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